Materialien 1964

Opfer des technischen Fortschritts

Neues Zentralstellwerk in München macht 97 Eisenbahner überflüssig

97 von 155 Bundesbahnern, die bisher für die Steuerung des reibungslosen Zugablaufs auf den 17 Stellwerken und Blockstellen des Münchner Hauptbahnhofs verantwortlich waren, haben ihren Arbeitsplatz Anfang Oktober verloren – Opfer der Automation. Die Kollegen werden zwar nicht arbeitslos, aber sie haben keine große Aussicht, eine Beschäftigung in der bisherigen Art zu finden. Das ist das Arbeitnehmer-Risiko, das die moderne Technik diktiert.

Täglich 1.000 Züge, 5.000 Rangierfahrten und dazu noch 600 Lokomotivfahrten: das wird jetzt von einem Zentralstellwerk aus dirigiert – und zwar automatisch. Jeder ein- und ausfahrende Zug und jede Rangierfahrt wird in das Streckennetz des Bahnhofs sozusagen „eingewählt“; das ist der einzige Handgriff, der noch gilt. Das weitere besorgt die Automatik des Stellwerks von sich aus; Relais übernehmen die Steuerung der Weichen und Signale. Die Anlage speichert die Wahl des Fahrweges und gibt die Strecke erst dann frei, wenn der vorfahrende Zug den vorliegenden Blockabschnitt freigemacht hat. Auf dem Gleisbild-Stelltisch kann der Fahrdienstleiter anhand von Leuchtzeichen jederzeit erkennen, wo sich die einzelnen Züge gerade befinden …

58 Männer, die in drei Schichten arbeiten, genügen jetzt zur Steuerung und Überwachung der 295 Weichen und Gleissperren,426 Signale und 306 Gleisstromkreise. Die für die nicht mehr benötigten bisherigen Stellwerksbesatzungen eingesparten Personalkosten machen so viel aus, dass sich die neue Anlage in 15 Jahren amortisiert haben wird.

Und noch ein Stückchen Eisenbahnromantik unserer Jugendzeit ist im Zuge dieser Automatisierung auf dem Münchener Hauptbahnhof verschwunden: den Mann mit der roten Kelle gibt es hier nicht mehr, es ist nichts mehr mit der Macht, die wir ihm früher angedichtet haben. Er ist ersetzt worden durch ein neues Abfahrts-Auftragssignal, und danach hat sich der Lokomotivführer zu richten. Co.


Metall 22 vom 3. November 1964, 10.