Materialien 1965

Ab April 1965 ...

brachen innerhalb der Subversiven die Konflikte auf. Der Aktionismus und das Taktieren mißfielen genauso wie die konzeptionelle Orientierung an einem traditionellen Linkssozialismus. In Mün-
chen hatte sich Dieter Kunzelmann der „Gesellschaft für wissenschaftlichen Sozialismus“ angenä-
hert. Rolf Gramke, der Repräsentant dieser Gesellschaft, gab die Zeitschrift „Schwarz-Weiß“ heraus. Er bezog eine Gewerkschaftsposition und stand in Beziehung zum traditionellen Räteso-
zialismus. Die Münchener Gruppe befürchtete, durch Kunzelmann und Gramke zu eng in eine dogmatische Linkstradition einbezogen zu werden. Im April kam es zu einem Eklat. Bei einem Treffen der Gruppe wurde Gramke aufgefordert, den Raum zu verlassen. Auf dem Münchener Konzil, das im selben Monat stattfand, fanden Kunzelmann und die Subversiven der Münchener Gruppe keine gemeinsame Sprache mehr. Die ästhetische Distanz zu den dogmatischen Entwürfen von Sozialismus schien aufgegeben zu sein. Kunzelmann, der an den Kontakten zu den Rätesozia-
listen festhalten wollte und der plötzlich wie ein traditioneller Linker redete, wurde aus der Sub-
versiven Aktion ausgeschlossen. Dutschke und Rabehl konnten an dem Konzil nicht teilnehmen. Dutschke weilte mit einer SDS-Delegation auf Einladung des Komsomol in Moskau und Leningrad. Rabehl war erkrankt und blieb in Berlin. Beide solidarisierten sich jedoch mit Kunzelmann und betrachteten sich selbst nicht mehr als Mitglieder der Subversiven Aktion.

Die Kritik an den Mitstreitern, die scheinbar in den rätekommunistischen Traditionen befangen waren, erfolgte auf dem Konzil seitens der verbliebenen Subversiven. Die Auseinandersetzung mit den Schriften Rolf Gramkes bildeten einen Einstieg, um Kritik am Linkshegelianismus bzw. Links-
traditionalismus von Dutschke und Rabehl zu üben. Gramke wurde vorgeworfen, dass er an über-
holten klassenkämpferischen Prinzipien des 19. Jahrhunderts festhalte, die es ihm verwehrten, die neuen Machtverhältnisse wahrzunehmen. Die Arbeiterschaft trage bei ihm Subjektcharakter und werde in der Aufmachung des 19. Jahrhunderts gesehen bzw. werde zu einem „Proletariat“ ideali-
siert, das es historisch in Deutschland nie gegeben habe und das erst recht nicht die Darstellung der Arbeiter und Angestellten in der Bundesrepublik abgeben könne. Es wurde herausgestellt, dass die Begrifflichkeit des orthodoxen Marxismus nicht ausreiche, die moderne Gesellschaft zu erfas-
sen. Der orthodoxe Marxismus besitze kaum noch kritische Impulse. Er sei unfähig, die Komplexi-
tät von Abhängigkeiten, Herrschaft, Macht, Subsumtion in der modernen Gesellschaft zu erfassen und er besitze keinen Zugang zu den Problemen massen- und individualpsychologischer Abhängig-
keiten und zur medienwirksamen Inszenierung einer Welt der Wünsche und Bedürfnisse. Er be-
sitze schon deshalb keinen Bezug zur Politik, weil er das politische Geschehen vom Standpunkt des Klassenkampfes oder der Auseinandersetzung der beiden Weltsysteme aus betrachte und über den inhärenten Geschichtsdeterminismus scheinbar immer laufe, wohin die Politik komme. Der sub-
jektive Faktor von Intelligenz und Provokation kam in dieser Orthodoxie nicht vor. Eine revolutio-
näre Gruppe, die sich der traditionellen Linkstheorie verschreibe, nehme unbewußt Herrschafts-
mechanismen der Gesellschaft in die eigene Gruppe auf und verliere dadurch ihre kritische und subversive Sichtweise. Umgekehrt müsse sie sich auf die Irrationalismen einer absurden Moderni-
tät einlassen, um revolutionär zu bleiben und die unterschiedlichen Spielarten von Macht und Herrschaft aufzuspüren. Nach Ansicht der Schreiber war die Subversive Aktion an einen Punkt gekommen, an dem sich die Denkweise der Totalität Welt und der logischen Methode von der Ableitung konkreter Einschätzungen aus abstrakten Prinzipien nicht mehr mit der permanenten Subversion vertrug.

Bernd Rabehl


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