Materialien 1966
Amtliche Befragung
»Sind Sie hier geboren?«
»Wie meinen?«
»Ob Sie hier geboren sind?«
»Nein, direkt hier nicht.«
»In welchem Ort sind sie dann geboren?«
»In einem Ort nicht, ich bin da geboren, wo die meisten Münchner geboren sind.«
»Dann sind Sie also in München geboren?«
»Nein, nein, München ist viel zu groß für ein Baby. Ich bin direkt in der Frauenklinik geboren: Maistraße Zimmer 15.«
»So genau wollt ich das auch wieder nicht wissen.«
»Bitte, Herr Inspektor, bei der Geburt geht es sehr genau zu. Wäre ich nämlich in Zimmer 16 geboren, wäre ich ja ein Mädchen. In Zimmer 16 nämlich kommen nur Mädchen zur Welt.«
»Ich will nicht die Zimmernummer wissen, sondern nur den Ort, wo Sie geboren sind – das genügt.«
»Ihnen genügt das vielleicht schon, Herr Inspektor, aber ich muss es schon genau wissen, was ich bin, ein Mädchen oder ein Bub, Zimmer 15 oder Zimmer 16.«
»Ihr Geschlecht stellt man doch auf ganz andere Weise fest, als durch Zimmernummern.«
»Man darf aber die Zimmernummern nicht unterschätzen, Herr Inspektor, wär ich nämlich heute statt in Zimmer vier in Zimmer 5 gegangen, dann säß ich jetzt nicht bei Ihnen, sondern bei einem ganz anderen Inspektor. In welchem Zimmer sind denn Sie geboren, Herr Inspektor?«
»Das geht Sie nichts an, ich stelle hier die Fragen – verstanden?«
»Nein.«
»Was heißt hier nein?«
»Nein heißt, dass es leicht sein könnte, dass Sie vielleicht zu Hause bei Ihnen geboren sind, und dass Ihnen damals die Frau Pflanzl auf die Welt gebracht hat.«
»Jetzt schweifen Sie nicht dauernd ab. Beantworten Sie nur kurz und bündig meine Fragen. Übrigens, meine Mutter hieß nicht Pflanzl – wie kommen Sie überhaupt auf diesen Namen?«
»Ja, die Frau Pflanzl hat sehr viele Kinder auf die Welt gebracht. Die müssten Sie doch kennen, Herr Inspektor, die wohnt gleich hier um die Ecke.«
»Ich kann doch nicht jede Mutter persönlich kennen. Jetzt kommen wir zur Sache. Beantworten Sie meine Fragen kurz und bündig.«
»Die Frau Pflanzl ist doch keine Mutter, Herr Inspektor. Die ist Hebamme, die hat sehr viele Kinder auf die Welt gebracht.«
»Mich jedenfalls nicht.«
»Das ist schade, Herr Inspektor, denn die Frau Pflanzl ist wirklich eine sehr nette Frau.«
»Jetzt schweifen Sie nicht dauernd ab, ich kenn die Frau Pflanzl nicht. Wann sind Sie geboren, an welchem Tag?«
»Oh, das ist schwer zu sagen, aber ich glaub ich war ein Sonntagskind.«
»Ich will nicht den Tag wissen, sondern das Datum und das Jahr, in dem Sie geboren sind.«
»Da muss ich jetzt nachdenken, Herr Inspektor.«
»Sie werden doch wenigstens wissen, wann Sie geboren sind, oder wollen Sie mich hier absichtlich zum Narren halten?«
»Ganz im Gegenteil, Herr Inspektor, wissen Sie, ich bin der Narr, ich hab immer nur meine Telefonnummer im Kopf und nur ganz selten mein Geburtsdatum. Meine Mutter hat ganz ernsthaft gemeint, dass ich in der Maistraße sogar mit einem anderen Kind vertauscht worden sein könnte, weil ich ihr manchmal nicht gescheit genug bin. Ihr Mann war nämlich sehr gescheit, der war damals Oberinspektor, hier in Ihrem Amt, da herinnen.«
»Wie hieß Ihr Vater?«
»Ja eben, da es nicht ganz sicher ist, ob er wirklich mein Vater war, oder ob ich nicht doch in der Maistraße verwechselt worden bin, möchte ich da lieber keine Namen nennen.«
»Sie werden doch wissen, wie Ihr leiblicher Vater hieß?«
»Wie mein leiblicher Vater hieß, weiß ich nicht genau, Herr Inspektor. Ich vermute nämlich manchmal, dass der Herr Oberinspektor Quirlein vielleicht doch nicht mein richtiger Vater war.«
»Herrn Oberinspektor Quirlein habe ich persönlich gekannt, der leitete früher dieses Amt hier. Ein sehr zuverlässiger, jovialer Mann.«
»Ja, das stimmt, jovial war er, er hat mir über Sie nur Gutes erzählt.«
»Über mich?«
»Wie heißen Sie gleich wieder, Herr Inspektor?«
»Murlhofer, Inspektor Murlhofer.«
»Ja, dann stimmt das. – Wann sind Sie gleich wieder geboren?«
»Am 15.3.1926.«
»Ja, ja, das ist richtig. Mein Vater hat mir nämlich von Ihnen erzählt.«
»Von mir?«
»Ja, ja, mein Vater hat gesagt, der Herr Murlhofer ist ein sehr disziplinierter, strebsamer und geduldiger Beamter, dem gehört die Zukunft.«
»Wirklich, das hat Ihr Vater über mich gesagt?«
»Ob er ganz wirklich mein Vater war, ist ja leider nicht ganz sicher, aber so hat er über Sie geredet, das weiß ich noch ganz genau, weil Sie seiner Frau, meiner Mutter also, immer ein bisschen den Hof gemacht haben. Einmal hat mein Vater sogar zu meiner Mutter gesagt, dass Sie vielleicht sogar mein Vater sein könnten. Aber da hat ihm meine Mutter eine geschmiert und hat gesagt, dass sie sich solche Verleumdungen nicht gefallen lasse. Und da hat mein Vater dann nachgegeben und hat mich als seinen Sohn voll anerkannt.«
»Bitte gehen Sie jetzt und rufen sie den nächsten herein.«
»Jawohl, Herr Inspektor.«
Artur Troppmann, Bayrische Typen und Originale, Landshut-Ergolding 1992, 106 ff.