Materialien 1966
Freie Aussprache im Betrieb
Zur Diskussion gestellt
In der Betriebszeitschrift eines großen Hauses wurde die Belegschaft zu Diskussionsbeiträgen aufgefordert. Einer unserer Kollegen hat es damit ernst genommen und einen Beitrag geschrieben. Bevor er ihn an die Redaktion einsandte, zeigte er ihn dem Betriebsratsvorsitzenden. Dieser riet ihm allerdings, vorsichtig zu sein, und so ist der Beitrag, den wir nachstehend auszugsweise bringen, in der Betriebszeitung nie erschienen. Schade.
Er schrieb: „Wie sie schon in der Weihnachtszeitung erwähnen, wird die freie Meinungsäußerung oft gekürzt. Jede Zeitschrift, jede Tageszeitung, bringt von einer Lesermeinung nur einige Sätze, so dass meist der tiefere Sinn des Beitrages nicht mehr zu finden ist. Vielleicht liegt es am Platzman-
gel. Ich glaube jedoch, der springende Punkt liegt darin, dass sich die Redaktionen hüten, eine offene Lesermeinung gegen die Regierung oder hohe Persönlichkeiten in vollem Umfang zu veröffentlichen.
In unserem Unternehmen und seinen Betrieben ist es oft nicht anders. Es ist doch selbstverständ-
lich, dass der Verkäufer nicht dem Abteilungsleiter, und der nicht dem Chef widersprechen darf.
Es steht da so vieles auf dem Spiel. Es gibt viele Angestellte, die ihrem Herzen gerne einmal Luft machen möchten. In den wenigen Betriebsversammlungen, die in den vergangenen Jahren stattge-
funden haben und in der letzten Zeit überhaupt ausgefallen sind, meldete sich selten einer zu Wort, weil er Angst hat, zuviel zu sagen. Wären die Abteilungsleiter und Geschäftsführer freund-
licher und netter, gäb es bestimmt ein viel besseres Betriebsklima.
Es wäre schön, wenn sich die Menschen lieben könnten, wie Sie in der Weihnachtsausgabe schreiben. Aber leider meinen viele, sie seien mehr und besser als andere, hängt der eine den anderen hin, wo er kann, und versucht einer dem anderen eins auszuwischen. Den graden oder goldenen Mittelweg finden nur wenige. Freundlichkeit und Entgegenkommen werden immer kleiner geschrieben. Ihrem Gedanken, dass die Jagd nach dem Materiellen daran schuld sei, und dass alle, ob Angestellte oder Arbeiter meinen, mit Ehrlichkeit und Offenheit nicht so vorwärts kommen könnten, muss ich leider zustimmen. Aber der Wille zur Gemeinschaft, der Mut zur Diskussion und das Bestreben für ein besseres Betriebsklima sollte von oben nach unten gehen. Der Chef und Vorgesetzte haben es in der Hand.“
Münchner Ausblick. Mitteilungen der Gewerkschaft Handel – Banken – Versicherungen HBV, Ov. München 2 vom Februar 1967, 2.