Materialien 1967
Besprechung
Ott, Sieghard: Das Recht auf freie Demonstration
Luchterhand Verlag, Berlin/Neuwied 1967 (108 S., kart., 10,80 DM)
Diese Monographie des Münchner Rechtsanwalts ist die erste ausführliche Darstellung des Demonstrationsrechts in Deutschland. Diese Verspätung hängt damit zusammen, dass das Demonstrationsrecht nicht als klassisches bürgerliches Freiheitsrecht verfassungskräftig tradiert ist, und ist zugleich Ausdruck des noch heute vorherrschenden Grundrechtsverständnisses, das sich an der Trennung von Staat und – prinzipiell unpolitischer – Gesellschaft orientiert und bürgerliche Freiheit nur als Freiheit von staatlichen Eingriffen in Freiheit und Eigentum versteht. Ott interpretiert das Demonstrationsrecht nicht als Substrat einzelner Freiheitsverbürgungen (Art. 5, 8 GG), sondern als spezifische Ausformung des Prinzips der Volkssouveränität, als „Recht des Bürgers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung“ des Volkes (30). Wenn allerdings, wie der Autor betont, politische Demonstrationen „ein Mittel der Opposition sind, und zwar vor allem von Gruppen, die nicht oder nicht genügend parlamentarisch repräsentiert“ sind (7), dann ist die Feststellung, die Demonstration sei „die gegebene Form des politischen Protests einzelner“ (ebd.) geeignet, die willens- und machtbildende Funktion politischer Demonstrationen eher zu verschleiern. Dass der Gesetzgeber die Gefahr massendemokratischer Willenskundgebungen für das Funktionieren etablierter Herrschaftsmechanismen sehr wohl erkannt hat, zeigt sich daran, dass das Versammlungsgesetz unpolitische öffentliche Demonstrationen (religiöse Aufzüge und „hergebrachte Volksfeste“) von den entscheidenden gesetzlichen Restriktionen ausnimmt (§ 17 VersammlG) und einen „Versammlungsleiter“ verlangt, dessen Ausstattung „mit einer gesetzlich geschützten starken Ordnungs- und Strafgewalt … nur schlecht zum Bild einer freiheitlichen demokratischen Versammlung“ passt (23). In diesem Zusammenhang kommt sog. „Spontandemonstrationen“ besondere Bedeutung zu, an die der Gesetzgeber nicht gedacht hat und die gleichwohl nicht deshalb, weil ihre Anmeldung „spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe“ (§ 14 VersammlG) nicht möglich ist, prinzipiell verboten sind. Ott schränkt den Begriff der Spontanversammlung sinnwidrig dadurch ein, dass sie nicht organisiert sein, insbesondere keinen Veranstalter oder Leiter haben dürfe (56, 57). Dagegen zutreffend Hoffmann, JuS 67, 398: „Spontane und kurzfristig anberaumte Versammlungen sind … zulässig, soweit objektive Umstände der Einhaltung der Anmeldungsfrist entgegenstehen und die Versammlung ihren Sinn und Zweck bei Beachtung der Anmeldevorschrift nicht erfüllen kann.“
Ott gibt eine erschöpfende Darstellung der mit den verschiedenen Demonstrationsformen zusammenhängenden Rechtsfragen und illustriert sie durch instruktive Beispiele aus der Rechtsprechung und der Praxis der Ordnungsbehörden. Er begründet die Unzulässigkeit des polizeilichen Verbots, Lautsprecher zu verwenden (47); von Versuchen, durch Auflagen auf den Inhalt der anlässlich der Demonstration beabsichtigten Meinungskundgabe Einfluss zu nehmen (ebd.); der Praxis des Verfassungsschutzes, anlässlich von Demonstrationen fotografische Aufnahmen von Veranstaltungsteilnehmern zu machen (73). Er weist nach, dass „das Interesse an einem ungehinderten Straßenverkehr grundsätzlich gegenüber dem Recht auf Versammlung zurücktreten“ muss (42) und behandelt die relevanten Straftatbestände (86 ff.) sowie die für Ausländer (97) und Minderjährige (94) geltenden Bestimmungen. Leider wird auf die Besonderheiten Berlins, wo das Versammlungsgesetz von 1953 nicht gilt, nicht eingegangen. Das Buch schließt die Lücke im Schrifttum auf diesem Gebiet nur zum Teil; nach wie vor fehlt ein Handbuch, das praktische Hinweise für die Durchführung von Demonstrationen gibt und die Möglichkeiten des Rechtsschutzes darstellt.
Heiko Dahle (Berlin)
Das Argument. Berliner Hefte für Probleme der Gesellschaft 46 vom März 1968, 155 f.