Materialien 1967
Erstes öffentliches „Jugendseminar für Geschlechtserziehung“
Die Bundeszentrale der HU eröffnete am 20. November 1967 in München das erste öffentliche „Jugendseminar für Geschlechtserziehung“. Das Seminar besteht aus fünf Vortrags- und Gesprächsabenden, in denen sich die Jugendlichen, die von Elternhaus und Schule in diesen Fragen allein gelassen werden, über alle für sie bedeutsamen Aspekte des Geschlechtslebens sachlich informieren können.
Im einzelnen werden folgende Themen behandelt:
1. „Die seelische Entwicklung vom Kind bis zum Erwachsenen“;
2. „Der körperliche Werdegang des Menschen von der Zeugung bis zur Geschlechtsreife“;
3. „Wie entsteht Liebesfähigkeit und wodurch wird sie gefährdet?“;
4. „Geburtenregelung und geschlechtliche Hygiene“;
5. „Die jungen Leute, die Liebe und die Sexualität“.
Die Leitung des Seminars hat der bekannte Sexualpädagoge und Münchner Stadtjugendamtsdirektor a.D. Kurt Seelmann übernommen. Außerdem wirken mit der Jugendberater und Kindertherapeut Oberstudienrat Günter Althoff und der Facharzt und Dozent für Gynäkologie Dr. Hans Ludwig.
Das Seminar können alle Jugendlichen ab 15 Jahren besuchen, Jugendliche unter 15 Jahren nur mit schriftlicher Einwilligung ihrer Eltern. Erwachsene können in begrenzter Zahl die Vorträge mitanhören, sind aber von den anschließenden Diskussionen ausgeschlossen.
Die Interessenten an der ersten Folge des Jugendseminars füllten den Medizinischen Hörsaal der Münchner Poliklinik bis auf den letzten Stehplatz. Stil und Gehalt des Kurses fanden bei den rund 250 jugendlichen Teilnehmern der ersten Folge begeisterten Anklang. Es liegen bereits eine große Zahl von Anmeldungen für die nächste Folge vor, die voraussichtlich im März 1968 stattfindet. Falls das Interesse anhält, soll das Jugendseminar in regelmäßigen Abständen fortgeführt werden. Es ist außerdem als Modell für andere Großstädte gedacht, in denen funktionsfähige Ortsverbände der HU bestehen.
Presse, Funk und Fernsehen berichteten, großenteils sehr ausführlich, über die neue Einrichtung zur Sexualaufklärung Jugendlicher. Die Redaktion der Fernsehsendung „Panorama“ verwendete Filmaufnahmen des HU-Jugendseminars in einer Sendung über Sexualerziehung in der Bundesrepublik. Die Humanistische Union hofft mit ihrer Initiative einen Anstoß zu geben, dass die Schulen die Aufgabe der Geschlechtserziehung bald selbst übernehmen. Die HU appellierte anlässlich der Eröffnung des „Jugendseminars für Geschlechtserziehung“ in einer Pressekonferenz an die Kultusminister der Bundesrepublik, das Problem der Sexualaufklärung der Schüler aus der theoretischen Diskussion endlich einer praktischen und zeitgemäßen Lösung zuzuführen. Solange dies unterbleibt, sei Selbsthilfe der Bürgerschaft etwa in der jetzt von der HU geschaffenen Form unumgänglich. Über 50 Prozent der 16- und 75 Prozent der 2Ojährigen haben, wie Erhebungen ergaben, bereits Beziehungen zum anderen Geschlecht, aber nur zwanzig von hundert Jungen und vierzehn von hundert Mädchen über 14 Jahren verfügen nach neuen sexualwissenschaftlichen Untersuchungen über das für ein gesundes und verantwortliches Liebesleben notwendige Mindestwissen. Dieses sozial gefährliche Missverhältnis soll die neue Einrichtung der HU durch sachliche und tabufreie Aufklärung verringern.
Mitteilungen der Humanistische Union 33 vom Oktober/Dezember 1967, 9.