Materialien 1967
Institution „Libresso“
Fehmeier: »Es hätte ein Büchercafe sein sollen, Libri und Espresso, was sich leider aus räumlichen Gründen nie hat verwirklichen lassen. Als der Brückenverlag, ein Verlag der DKP, 1967 die Buchhandlung in der Türkenstraße 66 übernahm, hatte sie bereits den Namen Libresso. Ich wurde Geschäftsführer. Ich war nie in der Partei, nur in der Deutschen Friedensunion. Die Eröffnung im August war ein rauschendes Fest. Es gab Listen und Empfehlungen von der Geschäftsleitung des Brückenverlages in Düsseldorf, es kam auch immer darauf an, in welcher Stimmung sie waren, aber im großen und ganzen hatte ich doch freie Hand, das Sortiment zu bestimmen. Unser Vorgänger Dr. Hans-Peter Hohn, der vorher eine Taschenbuchhandlung neben dem >Türkendolch< hatte, und der dann ins Haus vom Bäcker Strauß, dem Otto Strauß, umgezogen war, hatte uns ein interessantes Sortiment hinterlassen: viel Filmliteratur. Aus dieser Zeit haben wir auch gute Kunden übernommen: den Faßbinder, den Wim Wenders, den Enno Patalas.
Ich bin Buchhändler, war Geschäftsführer eines Verlages in Essen, betrieb dann von zu Hause aus eine kleine Versandbuchhandlung, bis ich das >Libresso< übernahm. Wir waren das erste >Libresso<, nach uns haben noch andere den Namen übernommen. Die in Nürnberg und Regensburg gibt es noch. Das Münchner >Libresso< hat 1990, im Frühjahr, als >Akzente<-Buch-handlung in der Amalienstraße aufgehört zu existieren.
Ich war Geschäftsführer von 1967 bis 1979. Es war eine bewegte Zeit, es herrschte eine ungeheure Aufbruchstimmung. Am Anfang wollte ich ja alles hinschmeißen, es kam mir zu abenteuerlich vor im Vergleich mit einer normalen Buchhandlung. Von Filmliteratur verstand ich am Anfang ja rein gar nichts. Und ich war Neuling in Schwabing. Und ich fand die Gespräche unglaublich schwierig. Obwohl die Leute hier viel lockerer, freundlicher und höflicher waren als woanders. Es ging eigentlich ständig aufwärts, wir haben unseren Umsatz kontinuierlich gesteigert, bis auf eine Million. Das ist für eine Buchhandlung ganz gut.
Aber wir waren keine normale Buchhandlung: wir hatten nicht nur Bücher und Schallplatten, Folklore und Revolutionäres, wir machten auch Veranstaltungen, Lesungen, Konzerte. Wir organisierten Demonstrationen, zum Beispiel gegen die Notstandsgesetze und die Berufsverbote, sammelten für Vietnam, waren praktisch das Zentrum der >Stoppt Strauß!<-Kampagne und machten überall unsere Büchertische. Das wurde von der Geschäftsleitung des Brückenverlages gefördert, nicht unbedingt verlangt, aber doch gewünscht. Das mussten die Kollegen, wir hatten ungefähr ein halbes Dutzend, dann freiwillig tun.
Und sie taten es, was natürlich den Umsatz nicht unwesentlich gesteigert hat. Es war ein unglaublicher Einsatz, der aber für alle normal war, obwohl fast jeden Tag etwas los war.«
In den ersten Jahren wurde verstärkt von der Düsseldorfer Zentrale aus agitiert, wurden Listen empfohlener Bücher verschickt, Arbeitspläne erstellt, Strategien und Taktiken im Klassenkampf entwickelt. Da hieß es zum Beispiel 1981 in »betrifft: Literatur, Information für Vertriebsmitarbeiter der A.G. Sozialistischer und demokratischer Verleger und Buchhändler«: >Was unterscheidet eine (bürgerliche) Buchhandlung von einer collektiv-Buchhandlung ?<
(1979 hatte die Arbeitsgemeinschaft ihr Zehnjähriges gefeiert. Ihr gehörten an: 14 Verlage und 36 collektiv-Buchhandlungen, die alle auf DKP-Linie lagen und Geld aus der DDR bekamen.)
Hauptthema: Unterstützung der Friedensbewegung gegen die Stationierung von US- Atomraketen hier.
Wir wollen ein Element der Aufklärung sein.
Wir bekämpfen die neofaschistische Literatur.
Zurückdrängung der imperialistischen Ideologie, Entwicklung von Klassenbewusstsein.
Verbindung: geschriebenes Wort und politische Aktion.
Verbreitung sozialistischer und fortschrittlicher Ideen.
Kampf an der politischen, ökonomischen und ideologischen Front (Engels).
Der Marxismus-Leninismus ist die stärkste Kraft unserer Epoche.
Das Buch ist eine Waffe im ideologischen Kampf.
Literaturarbeit ist eine Aufgabe für alle!
(»Literaturarbeit« hieß so viel wie Büchertische machen.)
Schmidl: »Das waren oft Seifenblasen, diese Papiere, Wunschvorstellungen. Das Wichtigste an ihnen war, dass sie verfasst worden waren. Nicht so sehr, ob sie verwirklicht wurden. (lacht)
Wie Egon Erwin Kisch einmal gesagt hat: >Selten kommt der Leser zum Buch, das Buch muss zum Leser kommen und die Zukunft des Buchhandels liegt auf der Straße.< Daran haben wir uns gehalten.
Fehmeier: Die Miete im Straußhaus war anständig und preiswert, am Anfang 2.500 Mark für die Buchhandlung und den Lagerraum, am Ende 3.700. Als der 20jährige Mietvertrag abgelaufen war, wurde er nicht mehr verlängert, was sich mit einigem Geschick hätte abwenden lassen.
Felicitas: Da gab es ja diese Anti-Strauß-Kampagne. Wo im Fenster ein Strauß-Clown hing, den man kaufen und selber zusammenbasteln konnte. Oder das Plakat von Guido Zingerl mit Strauß als Arschgesicht. Oder die Sprüche, die wir auf den Buttons an der Kasse hatten: >Stoppt Strauß! Mehr Herz den Kindern, drum Strauß verhindern! Stoppt Strauß – aus Liebe zu Bayern. Strauß, der ist ein Hampelmann und die Bosse ziehn daran! Strauß, graus, raus, aus< … Es gab das Schwarz buch von Engelmann über Strauß, das sich gut verkauft hat. Wir dachten lange, unsere Strauß wären mit F.J. Strauß verwandt. Wäre zu schön gewesen.
Schmidl: Kommunisten bei Strauß! Dieser Strauß-Hampelmann im Schaufenster war es, der die Bäckerfamilie Strauß gegen uns aufgebracht hat, dass sie den Mietvertrag nicht verlängert haben. Weil wir uns sonst mit ihnen doch recht gut verstanden haben.
Fehmeier: Wie auch mit den Nachbarn, dem Lange von der Fotobuchhandlung, dem Kitzinger, mit seinem Antiquariat, den Leuten vom Cafe Hölzl, was früher die Bäckerei Strauß war, und denen von der Creperie in der Schellingstraße. Nur in der Hypobank gab es welche, die unsere Vermieter aufgehetzt haben: Wie konnten Sie nur solchen Leuten Ihren Laden vermieten, Kommunisten?!
In den ersten Jahren hatten wir die Lesungen im Lager hinten, das früher die Strauß’sche Backstube war. Später in der Buchhandlung vorn, wo es ein bisschen eng war und nicht viel mehr als fünfzig Leute Platz hatten.
Da haben dann gelesen: der August Kühn, der E.A. Rauter, der Roman Ritter, der Günter Herburger. Die 68er Zeit hat sich ja praktisch bei uns und um uns herum abgespielt, Die 68er Figuren waren ja alle mal bei uns: der Rainer Langhans, der Fritz Teufel, die Uschi Obermeier, der Rolf Pohle. Ach ja, der Teufel hat sogar einmal versucht, ein Buch mitgehen zu lassen, das >Klau mich!< hieß. (lacht)
Ansonsten hielt das Klauen sich im Rahmen, wir wurden ein bisschen verschont. Außer dem einen Mal, wo sie den Spendenbehälter mit namhaften Beträgen für Vietnam direkt von der Kasse wegklauten.
Für die RAF-Leute hatten wir nicht viel Sympathien.
Wir verstanden ihre Hauptmotivation: ungerecht behandelt zu werden von den Staatsorganen und der Gesellschaft. Aber ihre Reaktion darauf war für uns zu abenteuerlich und zu unpolitisch. Das Sortiment war im großen und ganzen liberal, Fachbücher hatten wir zu meiner Zeit nur für die Bereiche Film, Theater und Germanistik. Dann kamen die DDR-Bücher dazu. Alles, was irgendwie fortschrittlich war, so nannten wir es, hatten wir.
Es gab eine Zeit, wo wir morgens einen Stapel Marx, das Kapital Band 1 aufbauten und abends war es weg. Es gehörte damals einfach zum guten Ton, wenigstens einen Band Marx im Bücherschrank stehen zu haben.
Wir fühlten uns nicht merklich vom Verfassungsschutz beobachtet. Ich habe mich auch nicht darum gekümmert, weil ja alles, was wir machten, legal war. Unser Publikum waren vor allem Studenten, Intellektuelle und politisch Interessierte von der Uni, dem Dolmetscherinstitut oder den Gewerkschaften. Die städtischen Bibliotheken waren unsere Lieblingskunden, dann kamen die Institute: für Kunstgeschichte, für Zeitgeschichte, für Germanistik.
Der Tankred Dorst kam zu uns, der Habermas, der Erich Kuby. Der Peter Zadek hat eine Filmszene mit dem Erich Fried bei uns im Laden gedreht, der Schönhuber, als er noch ein anerkannter Redakteur beim BR war, einen Film über Schwabing, wo wir auch vorkommen. Dann gab es diesen Dr. Günter Müller, ehemaliger Juso-Vorsitzender in München, der dann zur CSU abdriftete, einen unserer eifrigsten Kunden. Er hat alles gekauft, was es an linken Zeitschriften und Neuerscheinungen gab. Es hieß, er sei Straußens Fachmann für linke Publizistik gewesen.
Mit der Basisbuchhandlung hatten wir gute Kontakte, der Trikontverlag war gleich um die Ecke, in der Schellingstraße. Eine wilde Sache. Das Haus gehörte dem Murr, dem anscheinend das Treiben irgendwann unheimlich wurde und er sie rausekelte. Da haben sie sich gerächt: sie haben den Micha angeheuert, einen Gammler, geborenen Jugoslawen aus einer Zigeunersippe, der russisch sprach und russische Zeitungen las und sowieso bei ihnen verkehrte. Dem haben sie ein Plakat übergestülpt, so als Sandwichman, wo drauf stand: Murr’s Würstchen-Scheiße! So promenierte er durch die Straßen, eine Art Anti-Werbung. (lacht)
Eigentlich wollte ich schon 1978 gehen, aber da kam die Geschichte mit meinem Stellvertreter dazwischen: er hat eine Kollegin geschwängert und behauptet, es sei ein anderer gewesen. Daraufhin wurde ihm von Düsseldorf gekündigt. Ein eklatanter Eingriff der Partei ins Privatleben. Meine Nachfolgerin wurde dann die Anne, die viel linientreuer war und das ganze Sortiment stark in feministische Richtung rückte. Sie hatte Pech: ihr Mann war mit einer Spendenkasse der DKP getürmt und die Ehe zerbrach. Sie hat dann die Tucholsky-Buchhandlung am Josephsplatz übernommen. Nach ihr kam der Otto Schmidl.
Schmidl: Ich war bei >Selecta< als Redakteur, einer medizinischen Zeitschrift, verdiente gut und war zufrieden. Dann kam eines Tages die, sagen wir mal, Empfehlung der Partei, man könne mich beim >Kürbiskern< brauchen als Chefredakteur. Da fing ich erstmal mit fünfmal weniger Geld an anno 1975. Zu Libresso wollte ich eigentlich überhaupt nicht, wenn das sich nicht fast nach einem Parteibefehl angehört hätte. Also fing ich 1985 dort an und blieb bis Dezember 1988. 1986, im April, war der Umzug von der Türkenstraße in die Amalienstraße. Von da an ging’s bergab.
Viele Kunden kamen nicht mehr, die Räume waren klein, höchstens 70 qm, die Kellerräume feucht, dass sogar das Telefon kaputtging. Das Reisebüro >Hansatourist< war mit umgezogen und saß da im feuchten Keller. Wir hatten eine Staffelmiete, die mit 5.000 Mark begann und am Ende über 6.000 betrug, der Vermieter war der berüchtigte Dr. Renner, der wegen Schikanen der Mieter und Spekulation verurteilt wurde und ins Gefängnis kam. Lesungen gab es nur noch wenige, es kamen auch nicht mehr so viel Leute, der Postkartenumsatz war zum Teil höher als der Buchumsatz und der Gesamtumsatz war auf 300.000 zurückgegangen.
Zwar musste sich die Buchhandlung nicht tragen, sie wurde über die DKP von der DDR finanziert, ihr Hauptzweck war die politische Propaganda, aber zu der Zeit kriselte es bereits im ganzen Sozialismus. Und besonders in der DDR.
Felicitas: Wir sind dann ja auch beide ohne Angabe von Gründen aus der Partei ausgetreten. 1989. Aber es war schon ein Einschnitt. Du, Otto, bist ja nicht viel später in die SPD eingetreten, ich bin zu einer anderen Buchhandlung gewechselt.
Schmidl: Trotzdem, das Libresso war eine Institution. Wenn ich an all’ die Lesungen denke! Als der Bierbichler den Oskar Maria Graf las, war es rappelvoll oder als der Tschingis Aitmatow da war, da standen die Leute an einem regnerischen Nachmittag Schlange. Oder als der Kroetz kam, der Martin Walser, der Peter Chotjewitz …
Felicitas: Die Ruth Rehmann, die Angelika Mechtel, die Erika Runge, die Monika Sperr …
Schmidl: Der Günter Amendt mit seinem Sexbuch und der Günter Wallraff mit seinem Türkenbuch. Da hatten wir 500 Exemplare bestellt und sie waren an einem Tag weg. Das waren so die Highlights.
Felicitas: Nicht zu vergessen die Gisela Elsner, die Sarah Camp, die Eva Strittmater, die Saliha Scheinhard und die Hella Schlumberger, die dreimal bei uns gelesen hat. Einmal sogar in ihrem Hof in der Türkenstraße, wo über achtzig Leute gekommen sind. Weißt du noch? (lacht) Aus der >Kurdischen Reise<?
Schmidl: Einmal, als der Jürgen Pomerin aus seinem Buch über Neo-Nazis las, er hatte sich eingeschleust und dann darüber geschrieben, war eine Nazigruppe gekommen und es sah stark nach Zoff aus. Zum Schluss waren aber starke Männer der Partei gekommen und hatten die Leute einzeln hinausbegleitet.
Felicitas: Anfang der 80er haben wir viele Fraueninitiativen ins Leben gerufen: einen Frauenstammtisch mit jour fixe mit DKP-Genossinnen, wir forderten frauenspezifische Gesichtspunkte und Frauenarbeitskreise, wir waren Teil der Frauenbewegung. Und was fiel den Genossen dazu ein? Wir wurden als >Weiber<, >Emanzen< und >Feministinnen< verteufelt. Da waren sie keinen Schritt weiter als ihre bürgerlichen Geschlechtsgenossen.
Schmidl: Mehr als die Hälfte unseres Umsatzes haben wir mit nicht-DKP-Kunden gemacht. Das war normales bürgerliches Buchhandelspublikum.
Als die Margarete von Trotha ihren Rosa-Luxemburg-Film drehen wollte, hat sie sich sämtliche Literatur dazu bei uns geholt. Oder wenn die Bavaria in Geiselgasteig etwas >Kommunistisches< machte, kam sie zu uns, lieh sich Bücher und Leninbüsten, zahlte eine Gebühr und brachte sie wieder zurück. Oder der Fahrer von der Hanns-Seidel-Stiftung, der immer kam, wenn chinesische oder sonstige kommunistische Gäste anstanden, der hat dann für Hunderte von Mark Bücher gekauft. >Ich brauch mal wieder so richtig was Kommunistisches!< hat er immer gesagt.
Felicitas: Und als es zu Ende war, hatten wir alle eine Heimat verloren, eine geistige.«
Fritz Fehmeier, Felicitas Sack, Otto Schmidl.
Hella Schlumberger, Türkenstraße. Vorstadt und Hinterhof. Eine Chronik erzählt, München 1998, 505 ff.