Materialien 1967

Zum Bla - Bla an den Kunsthochschulen

„Wenn aber Denken und Handeln einander ausschließen, dann müssen sie sich entscheiden: für die Gelehrtenrepublik, die von der Gesellschaft geduldet wird, unter der Bedingung, dass dort nur gedacht wird, oder für die Gesellschaft, wo manches anders getan werden muss, als es ge-
dacht war.“

K.M. Michel, „Sprachlose Intelligenz“ (Kursbuch 9)

Kunstjünger, welche sich um ihren Professor an der Kunsthochschule sammeln, – haben mit ihm eines gemeinsam, sie glauben unpolitisch zu sein und sie allein – als Individualisten – hätten ein Recht darauf. Solche Fatalismen, mit dem Hintergedanken “Politik ist schmutzig“, erscheinen um so politischer, weil sie völlig bewusstlos dem repressiven System integriert werden.

Die patriarchalische Struktur der Akademien, Statusunsicherheit und eine Scheinidentität mit dem, was in völlig isolierten Klassen „geleistet“ wird, tragen zur Einsicht bei, dass die studentische Selbstverwaltung im weitesten Sinne politisiert werden muss. Das heißt unter anderem, dass man sich in einer Demokratie, die auf ein System von Spielregeln zusammengeschrumpft ist, nicht auf die Wahrung dieser Spielregeln beschränken kann, – wenn man auf politische Aktionen mit wirk-
licher demokratischer Praxis aus ist.

Jede Gesellschaft bestimmt, vermittelt durch den jeweiligen Kulturtypus den Standort und somit den realen Wert der Kunst nach ihren geistigen, ökonomischen oder politischen Interessen. Dass Kunststudierende weltfremd sind, scheint ein Tabu der akademischen Administration und ver-
schiedener Interessengruppen (Auftraggeber z.B.). Hinzu kommt der Kunstmythos, vermittels eines Begriffs von Kunst, der noch aus dem bürgerlichen Bewusstsein seinen Stellenwert bezieht. Durch die demonstrativen Aktionen mit denen sich in diesem Sommer ein größerer Teil der Studenten gegen die repressiven Manipulationsmechanismen wandte und die sie die autoritär gewaltsame Struktur der Gesellschaft sinnlich erfahren ließ, wurde auch die Friedhofsruhe an der Münchner Akademie erschüttert.

Die seit Jahren verdrängte Problematik der unzulänglichen Verhältnisse der Akademie beginnt sich zu artikulieren. Dem Versuch an der Akademie, drei Vietnamfilme zu zeigen, folgte eine Kette von Aktionen. Die etwa 300 anwesenden Studenten deuteten das verdrängte politische Interesse an, – sonstige Veranstaltungen der studentischen Selbstverwaltung konnten nur durch Freibier und Feste ähnliche Anziehungskraft ausüben. Die aktuellen Fragen, z.B. nach dem politischen Mandat für Kunststudierende, müssen neu und in erweitertem Sinn gestellt werden – sie können sich nicht mehr isoliert auf den Bereich der bildenden Kunst beschränken. Die fortschreitende Automation im Rahmen der „technologischen Gesellschaft“ weist gerade der Kunst die Aufgabe kritischer Reflektion im Sinne wissenschaftlicher Arbeit und eines verhinderten Selbstverständ-
nisses zu.

Der Künstler als soziales Wesen, der sein Vermögen, Kunst hervorzubringen mit seinem Leben identifiziert, begibt sich nicht mehr – im Gegensatz zum bestehenden ökonomischen Prinzip – in die Außenseiterrolle. Kunst zu produzieren wird in der affirmativen Gesellschaft zur Existenzfrage.

Diese Situation wird im abstrakten, kaum noch erfahrbaren, Leistungsprinzip manifest. Deshalb ruft die Forderung nach der Aufarbeitung kritischer Theorie großes Unbehagen hervor, ist es doch eine weit verbreitete Meinung, ein Zuviel an theoretischer Arbeit halte vom künstlerischen Schaf-
fen ab.

Die an der Erhaltung ihrer Privilegien interessierten Professoren sanktionieren die partielle Kul-
turrückständigkeit, nicht reflektierend, dass Kunst als affirmativer Bestandteil der Gesellschaft sich selbst aufhebt. Die Phrase von der „positiven, konstruktiven Kritik“ erschöpft sich in system-
immanenter Onanie. Auch Hochschulreformen und Hochschulgruppen werden daran nichts ändern können, da sie sich mit dem Ziel, etwas verändern zu wollen häufig nur an den Versäum-
nissen der Vergangenheit orientieren, sich in Reformvorschlägen verlieren, anstatt auf eine Einheit von Theorie und Praxis hinzuwirken.

Eine Alternative zur bestehenden sozio-ökonomischen Struktur misst sich allein daran, ob sie der beispiellosen Form psychischer und ökonomischer Ausbeutung des Menschen, entsprechend er-
folgreiche Mittel der Kommunikation herzustellen vermag.

„Der Praxis um der Praxis willen kontrastiert nur scheinbar die Reflexion als Selbstzweck, Konse-
quenz eines Hermetismus, der um die Reinheit des Denkens mehr Sorge trägt als um seine Erpro-
bung an der Realität. Die Formel „Reflexion um der Praxis willen“, die beiden Haltungen entgegen-
zustellen wäre, besagt freilich wenig, solange die Vermittlung von Reflexion und Praxis nicht ga-
rantiert ist. Doch die gerade wäre die Aufgabe einer Intelligenz, die ihre Chance, von der Gesell-
schaft weiterhin ausgehalten zu werden, wahrnimmt und ausschöpft, anstatt nur gewitzte Resigna-
tion oder naive Rauflust zu bekunden.“ (K.M. Michel, Sprachlose Intelligenz, Kursbuch 9)

P.O. Chotjewitz schreibt in seinem „Plädoyer für die Kunst“ in „de coll age 6“: „Das beste, was in diesem Bereich bisher gemacht worden ist, sind, unter anderen, Bazon Brocks dramatisierte Illu-
strierte, Happenings von Vostell und anderen, sowie einige Aktionen des sozialistischen deutschen Studentenbundes. Hier geht Analyse und Demonstration bestehender Tatbestände mit modellarti-
gen antizipierten Verhaltensweisen und/oder Anweisungen zu derartigen Verhaltensweisen kon-
form.“

Die HSK (Hochschulgruppe sozialistischer Kunststudenten) versucht in einer theoretischen Reihe eine Vermittlung von Reflexion und Praxis zu leisten, um Alternativen zu entwickeln, die sich dem affirmativen Integrationsprozess entziehen und künstlerisches Engagement in konkrete gesell-
schaftskritische Praxis transformiert.

Will Wieprsek

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tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 47/48 vom November 1967/Februar 1968, 332 f.

Überraschung

Jahr: 1967
Bereich: Kunstakademie

Referenzen