Materialien 1968
Zum 30. Geburtstag der Studentenbewegung
Gelungene Eingemeindung einer „radikaldemokratischen“ Opposition in den antikritischen Zeitgeist der deutschen Demokratie heute
I.
Die diesjährige Rückbesinnung auf das Treiben der außerparlamentarischen Opposition, die vor 30 Jahren in Deutschland einige Unruhe stiftete, gerät zu einer Sternstunde des „historischen“ Den-
kens. Die Pfleger des aktuellen deutschen Zeitgeistes greifen auf „die 68er“ zurück, um ein Ge-
schichtsbild zu konstruieren, in dem das Heute als ziemlich zwangsläufige Konsequenz des Damals erscheint: Ohne die Oppositionellen seinerzeit wäre aus der deutschen Republik nie und nimmer geworden, was sie heute ist, heißt das Muster, nach dem die bewegten Studenten ideell umarmt werden. Dass aus nichts von dem, womit die „radikalen“ Kritiker des „Systems“ fordernd angetre-
ten sind, etwas geworden ist; dass dieses „System“ sich unglaublich gleichgeblieben ist, die real existierende Demokratie von damals mit ganz viel Gewalt für die praktische Blamage aller an sie gerichteten Anträge gesorgt hat, sich ihrem Idealbild passend zu machen, und dass die gründliche Emanzipation der politischen Herrschaft von der „Basis“, die den Demokraten heute die Ausübung ihrer Amtsgeschäfte so erleichtert, keinesfalls mit der „Emanzipation“ zu verwechseln geht, die der Jugend damals vorschwebte: Das begründet aus heutiger Sicht selbstverständlich keinen Einwand gegen die Republik. Umgekehrt: genau damit sind die historisierenden Schönfärber des heutigen Deutschland so sehr zufrieden, dass ihr Rückblick im damaligen Aufruhr gegen das „Establish-
ment“ nur eine frühpubertäre Phase im Reifungsprozess der Demokratie entdecken will, der im Deutschland von heute kulminiert, und die entsprechenden Jubiläumslügen stricken sie mit einer derart dreisten Kombination von Phantasie und Schamlosigkeit, dass es einem einfach die Socken auszieht. Einer interpretiert das Attentat auf Dutschke als Fall von „Ossi gegen Ossi … eine vor-
weggenommene inneröstliche Konstellation des vereinten Deutschland … eine Art futuristischen Grenzzwischenfall an der mentalen Demarkationslinie, die es immer noch gibt.“ (Die Welt, 11.4.) Ein anderer, immerhin Geschichtsprofessor, mutmaßt, dass „womöglich die Wiedervereinigung nur deshalb zustande gekommen sei, weil die Studentenbewegung bewiesen habe, dass ihre Fa-
schismuskonzeption falsch gewesen sei“ (ebda.). Ein dritter bringt seine harmonische Dichtung gleich in der Überschrift auf den Punkt: „Die Revolution hat gesiegt, der Kapitalismus auch“ (SZ, 2./3.5.), hat natürlich weder vom einen noch von der anderen irgendeine Ahnung, dafür aber den heftigen Drang, den antikapitalistischen Kritikern ein ,Dankeschön!’ hinterherzurufen. Sie hätten dem deutschen Kapitalismus dazu verholfen, „den Bedürfnissen der Weltwirtschaft“ (ebda.) zu entsprechen. Im Grunde hätten sie ihn so schön modern werden lassen, wie er heute ist, und den Lohn für ihre engagierte Standortpolitik dürfen sie dafür komplett einstreichen:
„‚Wir wollen alles, und wir wollen es jetzt!’, darauf kam es damals an. Und bei einem Gang durch ein beliebiges Kaufhaus, ein Einkaufszentrum, … beim Zappen durch 35 Fernsehsender … kann man sich davon überzeugen, dass auch diese Forderung restlos erfüllt worden ist.“ (Ebda.)
Usw. Dabei ist es nicht einmal so, dass die derart hofierten Kritiker von einst sich in ihren Anliegen irgendwie falsch verstanden fühlten. Die Glorifizierung ihres damaligen Auftretens zur formbilden-
den positiven Kraft, der die Deutschen allerlei Schönheiten ihrer heutigen Republik zu verdanken hätten, spricht ihnen voll aus dem Herzen. Wenn sie in Deutschland heute um sich sehen, wollen auch sie nur die Vollendung des großen Werks erblicken, das sie auf den Weg gebracht haben:
„Letztlich haben wir gewonnen. Die sinnstiftenden Instanzen wie Familie, Kirche und Organisa-
tionen haben auf der ganzen Linie an Bedeutung verloren. Und das sehr sanft und ohne Blutver-
gießen … Das müssen wir feiern. Das was wir damals wollten, ist heute längst Realität … Feiern wir die Auflösung des Staus, unsere Liebe, unsere vielen Projekte, das Medium Schröder, den stillgelegten großen Brüter Kohl, die unnötig gewordenen Parteien — und eben uns.“ (Origi-
nal-68er, TAZ Ostern 1998)
Ersichtlich kommt die gute Laune der Jubilare daher, dass sie schon seit längerem einfach nicht mehr wissen wollen, in was für einer Welt sie eigentlich leben, sondern entschlossen sind, sich darin wohlzufühlen: Diese sehr geistige „Emanzipation“ stiftet bei ihnen die Einigkeit mit allem, was den offiziellen Schönrednern in ihrer Würdigung des damaligen „antiautoritären“ Wirkens zum Lob der deutschen Republik heute so einfällt, so dass sich deren Geschichtsklitterung glatt noch auf durchgeknallte Kiffbrüder und hauptberufliche „Haremsfrauen“ berufen kann, die „da-
mals wirklich dabei“ waren.
II.
Wobei sie damals mitgemacht haben, war allerdings schon etwas anderes als ein Ego-Trip zum “Surfen auf den Ereignissen“ (TAZ, ebda.). Der Inhalt, der die Studenten damals bewegte und „radikal“ oppositionell werden ließ, betraf schon die politische Realität des Gemeinwesens, in dem sie lebten: Der deutschen Demokratie wollten sie einfach nicht abnehmen, dass es sich bei ihr wirklich um eine Demokratie handelte. Mit allen schönen Vorstellungen bewaffnet, die sich zu dieser besten aller möglichen Herrschaftsformen ausdenken lassen, machten sie sich an den kri-
tischen Vergleich der zirkulierenden und von ihnen geglaubten Ideale mit der herrschaftlichen Wirklichkeit in Deutschland — und der fiel für letztere einfach vernichtend aus.
▓ Das politische Leben in der Republik erschien ihnen so überhaupt nicht von dem demokrati-
schen Elan beseelt, den sie sich von einer Herrschaft, die vom Volk ausgeht, schon erwartet hätten. Besagtes Volk tat sich durch ordnungsbeflissenen Gehorsam hervor. Es tat, was man von ihm ver-
langte, war so gar nicht auf „Befreiung“ von Herrschaft aus, sondern sturzzufrieden damit, an sei-
nem Ort das Seine zu tun, auf dass aus der Nachfolgerepublik des Dritten Reiches wieder eine er-
folgreiche deutsche Nation werde. Das nährte in manchen demokratisch = „postfaschistisch“ erzo-
genen jungen Bürgern den gar nicht so verkehrten Verdacht, dass das deutsche Volk, das einem Hitler nachgelaufen war, sich für die Wahrnehmung der Rolle eines demokratischen Staatsbürgers überhaupt nicht groß hat umstellen müssen. Da sich auch die demokratisch gewählten Regenten, denen es gehorchte, vom Richter bis zum Präsidenten der Republik schon im Faschismus zum Herrschen hinlänglich qualifiziert hatten; da diese Politiker mit ihrer großen Koalition bewiesen, dass von einer demokratischen Konkurrenz der Willensbildner um den besten Dienst am Allge-
meinwohl nicht die Rede sein konnte; und da sie mit ihren Notstandsgesetzen zeigten, dass ihnen die Staatsmacht sowieso über alles ging — aus solchen guten Gründen stand für die Idealisten der Demokratie eines unverrückbar fest: Was sie in Deutschland vor sich hatten, war genau genommen gar nicht wirklich Demokratie, sondern im Gegenteil der schleichende Rückweg zum Faschismus. Zum Anti-Faschismus sahen sie sich daher verpflichtet, im Namen der Demokratie.
▓ Die Kriege, die die USA in Vietnam und anderswo gegen die kommunistische Gefahr, führten, passten gleichfalls nicht in das Weltbild, das die engagierte deutsche Jugend von der Demokratie hegte. Von deren menschheitsbeglückender Moral und prinzipieller Friedfertigkeit war sie derma-
ßen überzeugt, dass sie von den in Bonn Regierenden eine Distanzierung von den üblen Machen-
schaften verlangte, die der transatlantische Partner im Namen von Freiheit & Demokratie verrich-
tete. Den regen diplomatischen Kontakten, die deutsche Außenpolitiker mit recht vielen anrüchi-
gen Herrscherpersonen in Ost und West unterhielten, entnahmen sie, dass Parteinahme für „un-
terdrückte Völker“ keinesfalls die Leitlinie der Bonner Außenpolitik sein konnte, deren Engage-
ment für viel „Gerechtigkeit“ und „Freiheit“ in der Welt sich vielmehr problemlos auch mit einem „Völkermord in Vietnam“ vertrug. Der rigide deutsche Antikommunismus und die Komplizen-
schaft der Nation mit den USA ließen jedenfalls alle Zeichen von Menschenfreundlichkeit missen. Das war es, was die Studenten zum Anti-Imperialismus bewegte.
▓ Auch was ihre unmittelbare Lebenssphäre betraf, die Welt der Wissenschaft und Ausbildung, konnten die Studenten an den ihnen vermittelten Lehren der Geistes- und Gesellschaftswissen-schaft einfach nicht entdecken, inwiefern die zu einem Dienst an der Demokratie imstande sein sollten. Vermisst wurde an dem tradierten Stoff die Orientierung auf die „gesellschaftliche Rele-vanz“ des Wissens, womit sie einen Beitrag zur „Verbesserung“ und „Veränderung der Gesell-schaft“ meinten. Vielmehr fand man Lehren vor, deren „kapitalistische Funktionalisierung“ den Studierenden eindeutig feststand. Vertreten wurden diese obendrein von „Reaktionären“, deren Gesinnung schon vom Faschismus mit der venia legendi belohnt wurde und die überhaupt nicht verhehlten, dass ihre gelehrten Sinnstiftungen über Geist und Gesellschaft in ihren „Vorurteilen“ ruhten. Neben denen waren diesen Gelehrten eigentlich nur noch die albernen Riten wichtig, mit denen man sich im „Elfenbeinturm“ wechselseitig Ehre erwies. Jede Menge „Muff’ also, gegen den sie sich mit der Forderung nach kritischer Wissenschaft aufbauten.
III.
Übermäßig richtig war die Kritik nicht, die die Studenten in ihrem „Anti-“ vorbrachten. Allerdings nahmen sie ihren Wunsch, die Demokratie möge sich doch den von ihnen vertretenen Idealen einer „wirklichen“ und „echten“ angleichen, wichtig genug, um mit der Störung des demokrati-
schen Normalbetriebs und seiner inneren Ordnung die Berechtigung ihrer weltverbessernden Anliegen zu unterstreichen. Das haben sich die wirklichen Demokraten nicht gefallen lassen. Die haben damals den politischen Inhalt der Kritik sehr wohl als substantiellen Einwand gegen sich genommen und sind gegen die Kritiker vorgegangen: Den praktischen Beweis, dass eine Demokra-
tie zwar mit Illusionen über sich gut leben kann, solche aber, die zu linker Praxis werden wollen, absolut unverträglich findet, sind sie nicht schuldig geblieben. Das demokratische Zusammenspiel der offiziellen Gewalten Nr. 1 bis 3 mit der sog. „vierten“, den öffentlichen Instituten zur Bildung der Volksmeinung, hat einige bekanntlich das Leben gekostet, einige andere haben es glücklichen Umständen zu verdanken, dass die Pogromstimmung im Land gegen die „langhaarigen Affen“ sich auf Dutschke, den „Volksfeind Nr. 1“ fokussierte. Den hat es dann ja auch erwischt, und „mitge-
schossen“ haben dabei nicht nur Bild- und andere Zeitungen, sondern alle guten demokratischen Bürger.
IV.
Nun also sind sich die Sprachrohre des heutigen „Establishments“ mit denen, die sich beim An-
rennen gegen dieses vor 30 Jahren blutige Nasen geholt hatten, furchtbar einig. In nicht wenigen Fällen existiert die pauschale Versöhnung der Gegner von einst sogar in Personalunion, und „alte 68er“, die es zwischenzeitlich zu etwas gebracht haben, versteigen sich zu der Bodenlosigkeit, ihr damaliges Auftreten habe im Grunde alles Positive der heutigen Republik hervorgebracht. Offen-
bar sind sie mit dieser so zufrieden, dass sie ihr eigenes oppositionelles Treiben rückblickend bloß für ein großes Missverständnis halten und daher meinen, die schönen und wohlmeinenden Absich-
ten ihrer Kritik von damals seien nur vorübergehend auf taube Ohren gestoßen. Und in der Tat. Zwar nicht ganz solche, wie ihre Kritiker von damals beantragt hatten — aber „Fortschritte“ im-merhin hat die deutsche Demokratie schon hingelegt:
▓ Was den Faschismus betrifft, so ist der vom demokratischen Deutschland gründlich „bewältigt“ worden: Als „Verbrechen der Nazis“ entpolitisiert, ist er als krimineller Ausrutscher einer anson-
sten untadeligen deutschen Herrschaftstradition abgehakt, der unter dem Titel „Holocaust“ Betrof-
fenheit erregt und Gedenken erfordert, und beides findet routinemäßig statt. Dass überhaupt der demokratische Rechtsstaat der natürliche Feind von „totalitärer Herrschaft“ und „Repression“ ist, hat er mangels faschistischer Einwände und mit Hilfe der Gleichung rot = braun in seinem ent-
schiedenen Kampf gegen die „Unrechtsstaaten“ im Osten und auch noch über deren Untergang hinaus in der Entschlossenheit bewiesen, mit der er die „Regierungskriminellen“ der DDR-Obrig-
keit verfolgt. Ansonsten hat die Demokratie unter Beweis gestellt, was alles mit ihr, ganz ohne „Transformation“, problemlos zu vereinbaren ist. Vor allem ein Rassismus und Ausländerhass, den sich 1968 keiner hätte vorstellen können. Als hätten die guten Deutschen nach der Erledigung des Kommunismus – im Inneren wie außerhalb – unbedingt ihres nächsten griffigen Feindbildes bedurft, hat sich in der Republik eine Lage stabilisiert, in der die Undeutschen nicht nur von Recht und Polizei darüber belehrt werden, dass sie hier unerwünscht sind. Sie dürfen dazu auch noch immer und überall mit Übergriffen gegen sich rechnen, zu denen sie engagierte Volksgenossen allein schon durch ihre schiere Existenz provozieren. Doch so rassistisch verhetzt das politische Klima in dieser Demokratie ist: Gut aushalten lässt es sich offenbar auch von „kritischen“ Gemü-
tern. Die haben sich nämlich so ihre Gesichtspunkte verschafft, sich mit ihrer Republik zu versöh-
nen, und deren gemeinsamer Nenner besteht darin, dass sie sich selbst als vollentwickelten demo-
kratischen Persönlichkeiten die entsprechenden Denkmäler setzen. Der rechte Radikalismus ent-
geht ihnen überhaupt nicht, über das entsprechende politische Sensorium verfügen sie durchaus; und da sie Diskriminierung einfach nicht ausstehen können, kontern sie ihn mit einem demonstra-
tiven Gegenprogramm. Mit „multikulturellen Straßen- und Bürgerfesten“ zum Beispiel, auf denen sie dann vor allen Dingen sich als gute Deutsche wohlfühlen. Das ist sehr nett, selbstverständlich auch gestattet, und auch der Präsident der Republik hat viel für „unverkrampften Nationalismus“ übrig. Ungefähr so machen sie dann weiter. Sie begleiten den Fremdenhass der Deutschen mit einer political correctness, die alle einschlägigen Artikel des Grundgesetzes auf einen Schlag be-
dient, reden von AusländerInnen, mit denen man anständig umgehen müsse — und diese Sprach-schöpfung war er dann, der ganze Kampf gegen „Diskriminierung“, der selbstverständlich auch ausländische „Schwule und Lesben“ mit einschließt.
▓ Was den Imperialismus der deutschen Nation betrifft, so sind auch da Fortschritte unverkenn-
bar. Die deutsche Nation steht keinesfalls mehr abseits und sieht zu, wenn die USA anderswo Krieg führen. Heute hat man auch selbst „weltpolitische Verantwortung“, und die besteht durchaus da-
rin, bei den allfälligen Kriegen zumindest dabei zu sein. Besser natürlich, man hat sich bei ihnen gegen die Konkurrenten politisch wie strategisch die Federführung erkämpft. „Militarismus“ schimpft das keiner mehr, weil sich über das Kriegführen nur eine prinzipiell gute moralische Deutung eingebürgert hat: Wenn überhaupt zu etwas, dann ist deutsches Militär dazu gut, den ganz und gar nicht-nationalen und allein der Humanität einer „Weltgemeinschaft“ verpflichteten Zwecken einer „Sicherung des Friedens“ und einer „stabilen Ordnung“ zu dienen. Solches muss sein, weil es im Nahen Osten, in Jugoslawien und wer weiß sonst noch wo Herrscher gibt, die sich einfach nicht an die Spielregeln halten wollen, die Deutschland im Verein mit allen anderen Mäch-
ten von Weltrang für den „Frieden“ erlassen hat. Die verstehen nur „die Sprache der Gewalt’, was sicherlich bedauerlich, aber letztlich durch den „Frieden“ geheiligt ist, den sie nach ein bißchen Krieg geben. So hat das ehemals schlechte Gewissen des militanten Antikommunismus der BRD erfolgreich die Karriere zum generell guten Gewissen des deutschen Militarismus hinter sich ge-
bracht, ist mit Sitz und Stimme im Parlament vertreten und darf demnächst womöglich, die „frie-
denssichernden Maßnahmen“ selbst mitverantwortlich in die Hand nehmen.
▓ Was die Wissenschaft betrifft, so steht fest, dass sich an ihrer prinzipiellen Dienstbarkeit für alle in der kapitalistischen Klassengesellschaft geltenden Interessen nichts geändert hat. Ansonsten hat sich freilich alles geändert. Die Forderung der kritischen Studenten, das Nachdenken über Geist und Gesellschaft solle sich doch von seiner affirmativen Befangenheit und unausgesprochenen Par-
teilichkeit emanzipieren, ist erhört worden — und in die methodologische Verpflichtung eingegan-gen, laut und deutlich vorweg zu sagen, von welchen „Voraussetzungen“ der wissenschaftliche Beitrag zur Sinnstiftung ausgeht! Welches parteiliche „Erkenntnisinteresse“ den Denker jeweils umtreibt und welchem höheren Nutzen er sein Hirnschmalz widmet, wird gleichfalls nicht verbor-gen, ,anything goes!’ heißt dabei bekanntlich die Devise. Die gilt auch bei allem, was in den Uni-versitäten dann zum Fortschritt der Wissenschaft im einzelnen zusammengedacht wird, so dass von „Reaktionären“ des alten Schlages weit und breit nichts mehr zu sehen ist.
V.
So wird die Republik immer ekelhafter, lässt sich aber dank der politischen Kultur, in der sich das Erbe der Studentenbewegung zusammenfasst, ganz gut aushalten. Jeder kann mit ganz viel Selbst-
bewusstsein seine demokratische Persönlichkeit voll entwickeln: Von „verfestigten Herrschafts-
strukturen“, „alten Zöpfen“, „moralischem Mief“ und dergl. Indizien, die einmal einem „Establish-
ment“ zugerechnet wurden, fehlt ja jede Spur; keiner macht irgendwem persönlich irgendwelche Vorschriften; live und in Talkshows gibt’s Herrschaft zum Anfassen, und sogar Manager tragen manchmal Jeans. Die politische Welt in Deutschland ist genau so, wie ein alter 68er es sagt, und der muss es ja wissen: „Wenn man nach innen schaut, sieht es wunderbar aus.“ (TAZ, ebda.) Und wenn man nach außen schaut, die vielen „Kids“ sieht mit in ihrem süßen XXL-Outfit und gepierc-
ten Nasen – „Sozialisation durch die Kleinfamilie“? „Autoritäre Persönlichkeit“? Das ist ja wohl offensichtlich vorbei, und damit auch die „Ursache“ aller „totalitären Strukturen“: „Realität ist ja, dass kein junger Mensch heute noch an die Instantbiographie seiner Eltern anknüpfen kann. Die alten Sicherheiten von linearer Erwerbsbiographie und Rente sind passé. Die Generation der 18- bis 35jährigen hat sich längst auf den Weg gemacht, ihr Leben ständig neu zu erfinden.“ (Ebda.) Die „Bewegung“ ist also am Ziel, Deutschland nach nur 30 Jahren eine einzige Love-Parade.
Gegenstandpunkt. Politische Vierteljahreszeitschrift 2/1998, 56 ff.