Materialien 1968

An das Pz. Gren. Btl. 122

München, den 11. Juli 1968

Ergänzung meiner Beschwerde vom 10. Juli 1968

Durch Verfügung vom 9. Juli 1968 wurde ich mit 16 Tagen Arrest bestraft. Gegen diese Verfügung habe ich am 10. Juli 1968 Beschwerde eingereicht.

Ursprünglich wurde mir bei der Aushändigung der Strafe mündlich mitgeteilt, ich hätte 14 Tage Zeit für die Beschwerde, für den Aufschub der Vollstreckung würde es genügen, die Beschwerde mündlich nach Ablauf einer Nacht anzukündigen.

Jedoch sagte man mir am nächsten Tag, ich müsste innerhalb zwei Stunden (bis 10 Uhr) die Be-
schwerde verfasst und eingereicht haben oder bis 10 Uhr den Arrest antreten.

Deshalb möchte ich die Beschwerde hier noch im einzelnen begründen:

1. In der Strafformel heißt es:

„… er hat am Gründungskongress der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend in Uniform teil-
genommen
…“

Ich bin Mitglied der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ), weil ich es für notwendig halte, dass wir uns zusammenschließen, um für eine bessere Gesellschaft, in der es keine Kriege und keine Ausbeutung gibt, zu kämpfen. Heute müssen wir alle demokratischen Rechte, die wir haben, verteidigen und müssen im Betrieb, in Schulen und Kasernen für Mitbestimmung und de-
mokratische Verhältnisse eintreten. Gerade auf uns Soldaten kommt es dabei an, denn wir sind besonders abhängig durch die Bestimmungen über „Befehl und Gehorsam“ und wir müssen uns rechtzeitig gegen die Gefahr wehren, als blinde Befehlsempfänger für verbrecherische Ziele miss-
braucht zu werden (wie das mit den deutschen Soldaten im letzten Krieg geschehen ist, wie das heute mit den US-Soldaten in Vietnam geschieht und wie das mit uns geschehen wird, wenn man uns z.B. befiehlt auf unsere, für politische Ziele streikende Arbeitskollegen zu schießen).

Ich möchte mich darüber beschweren, dass ich bestraft werde, weil ich an einer Veranstaltung einer Organisation mit marxistischer Weltanschauung teilgenommen habe, während kein Soldat dafür bestraft wird, wenn er an einer Veranstaltung einer Organisation mit klerikaler Weltan-
schauung in Uniform teilnimmt (Kirche, Gottesdienst).

Aber selbst wenn die Teilnahme am Gründungskongress der SDAJ unter das Verbot des § 15 Abs. 3 fallen würde, so weise ich darauf hin, dass hohe Offiziere und Generale sehr oft in Uniform an poli-
tischen Veranstaltungen verschiedenster Art teilnehmen. Presse und Fernsehen berichten ständig darüber. Von Disziplinarstrafen wurde in keinem dieser Fälle etwas bekannt.

Nachdem im Soldatengesetz bestimmt ist, dass militärische Vorgesetzte in ihrem Handeln Vorbild sein sollen, kann man von mir nicht verlangen, dass ich etwas für verboten halte, was bei Offizieren und Generalen üblich, ja geradezu typisch ist.

2. In der Strafformel wird ferner der Vorwurf gegen mich erhoben:

„… er hat in einem Flugblatt zur Eid- und Befehlsverweigerung aufgerufen, sowie dazu, sich ge-
gen legale Gesetze zu wehren.“

Zunächst wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir mitteilen könnten, an welcher Stelle festgelegt ist, dass es strafbar ist, den Eid zu verweigern oder dazu aufzurufen.

Weiterhin wurde in den von mir unterzeichneten Flugb1ättern keineswegs ganz allgemein zur Eid- und Befehlsverweigerung aufgerufen. Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass es not-
wendig ist, diejenigen Befehle zu verweigern, die uns Soldaten anweisen, auf streikende Arbeiter, auf Demonstranten, also auf die eigene Bevölkerung zu schießen. Dass dies nach den NS-Gesetzen möglich ist, habe ich in meiner ersten Beschwerde begründet. Die Strafformel gibt sich keine Mühe zu begründen, warum eine solche Aufforderung nicht zulässig sein soll.

Die Buwe setzt sich dadurch dem Verdacht aus, dass sie einen solchen Einsatz gegen die eigene Be-
völkerung für „legal“ hält. Es entsteht dadurch der fatale Eindruck, dass man es mir verbieten will, mich gegen verbrecherische Befehle zu wehren oder dazu aufzurufen.

§ 6 des Soldatengesetzes bestimmt, dass der Soldat die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie je-
der andere Deutsche hat. Das heißt, dass auch der Soldat gegen geplante Gesetze Flugblätter ver-
fassen kann.

Als ich diese beiden Flugblätter verfasst habe, waren die NS-Gesetze weder vom Bundestag be-
schlossen noch legal. Ich habe mich also gegen geplante Gesetze gewandt, aber in der Oberfläch-
lichkeit, mit der das Urteil begründet wurde, muss Ihnen das wohl entgangen sein.

§ 8 des Soldatengesetzes bestimmt: „Der Soldat muss die freiheitliche demokratische Grundord-
nung im Sinne des Grundgesetzes anerkennen und durch sein ganzes Verhalten für ihre Erhaltung eintreten.“ Diesem Gebot entsprach es meines Erachtens, das Grundgesetz gegen seine Verände-
rung durch diktatorische Notstandsvollmachten zu schützen.

In einem der Flugblätter heißt es:

„Auf dich muss ich schießen Arbeiter, Student
Wenn uns der Bonner Notstand blüht!

Art. 87 a, Abs. 3 der Notstandsverfassung:

,Die Streitkräfte haben im Verteidigungsfall und im Spannungsfalle die Befugnis, zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen, soweit dies zur Erfüllung ihres Ver-
teidigungsauftrages erforderlich ist. Außerdem kann den Streitkräften im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden. Die Streitkräfte wirken dabei mit den zuständigen Behörden zusammen.’

Wenn ihr Arbeiter und Angestellte also mit euren Gewerkschaften für besseren Lohn, soziale Si-
cherheit, für Mitbestimmung und Demokratie mit allen legitimen Mitteln, die euch nach dem Grundgesetz zur Verfügung stehen, kämpft (und dazu gehört auch der Streik, auch der General-
streik), und wenn dann gewisse Herren, die an den Hebeln der Macht sitzen, der Meinung sind, dieses konsequente Eintreten für eure Forderungen ‚bedrohe unsere Grundordnung’ und die Reaktionen auf die Unruhen der Arbeiter und Studenten der letzten Monate zeigte, man ist in Bonn sehr schnell bei der Hand mit Behauptungen ähnlicher Art, dann sollen wir Soldaten auf euch schießen.

Man ließ uns geloben: ,… das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.’

Wir werden niemals – auch im sogenannten Spannungsfall nicht – auf unsere Arbeitskollegen und auf die Studenten schießen. Wir werden ,das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer verteidigen’.

Bürger dieses Landes, Kollegen in den Betrieben, Studenten, Soldaten!

Wehren wir uns gegen diese Diktaturgesetze!
Lassen wir nicht zu, dass es ein zweites 1933 gibt!
Wir Soldaten wollen und werden nicht auf unsere Kollegen schießen!
Kameraden, nicht länger ,Stillgestanden!
‘Kameraden ,rührt euch’, bevor es zu spät ist!
Gemeinsam sind wir unaufhaltsam!“

Hier wird eindeutig klargelegt, dass es sich nicht um die Verweigerung von Eiden und Befehlen in jedem Fall handelt, sondern es wird ausschließlich Bezug genommen auf „Übungen, die sich gegen die Bevölkerung richten“. Solche Übungen, erst recht solche Einsätze, sind illegal, denn sie sind ein Verbrechen. Der Aufruf, bei solchen Übungen nicht mitzumachen, ist also legal. Ein Disziplinar-
verfahren müsste längst eingeleitet sein gegen die Verantwortlichen für diese Anti-Streik- und Anti-Demonstranten-Übungen. Ein solches Strafverfahren fehlt natürlich, statt dessen hieß es im Bundestag, das ganze sei ja nur ein „Missgriff“.

Ich fühle eine Verpflichtung in mir, nicht nur die Soldaten über den Charakter der NS-Gesetze aufzuklären, die verbrecherische Befehle befolgen müssten, die sich aus diesen Gesetzen ergeben, sondern auch Offiziere und Generale, die sonst wiederum bedenkenlos solche Befehle geben, die sie später nicht verantworten können.

Ich habe im Sinne der Kameradschaft gehandelt, zu der ich nach § 12 des Soldatengesetzes ver-
pflichtet bin, da ich verhindern will, dass meine Kameraden eines Tages vor einen neuen „Nürn-
berger Kriegsverbrecher-Prozess“ gestellt werden, weil sie in einem demokratischen Deutschland zur Rechenschaft dafür gezogen werden, dass sie anno 19 … auf streikende Arbeiter und Demon-
stranten geschossen haben.

Ich bin davon überzeugt, dass ein objektives Gericht nach Prüfung meiner Argumente zu der Ein-
sicht gelangen muss, dass ich entsprechend meinem Eid und den Bestimmungen des Soldatenge-
setzes gehandelt habe. Außerdem hat Professor Ulrich Klug (Köln) darauf hingewiesen, dass Inhalt und Bedeutung dieses Eides nicht nachträglich durch die Notstandsgesetze geändert werden können, sondern dass der Eid in seinem ursprünglichen Sinn bestehen bleibt (SZ vom 12.7.68). Jeder Einsatz gegen die eigene Bevölkerung und jede derartige Übung wäre ein Bruch dieses Eides.

Ich sehe da nicht einen Punkt, für den ich bestraft werden dürfte.

3. Nebenbei möchte im noch auf einige Mängel der Arrestführung hinweisen, weil sie typisch sind für die Art, in der hier eine politische Strafe ausgesprochen wurde; auch aufgrund dieser Verstöße ist die Verfügung nichtig.

§ 25 Abs. 3 WDO bestimmt:

„Die Strafformel muss bei der Bekanntgabe schriftlich festgelegt sein. Sie muss Zeit, Ort und Sach-
verhalt des Dienstvergehens … enthalten … Er (der Beschuldigte) ist zugleich über die Zulässigkeit der Beschwerde, die Stelle, bei der die Beschwerde anzubringen ist, und die einzuhaltende Frist schriftlich zu belehren.“

Die Strafformel setzt sich in einer Weise mit dem Sachverhalt des angeblichen Vergehens ausein-
ander, die diesem Paragraphen nicht entspricht.

Die Strafformel gibt den Sachverhalt oberflächlich, sinnentstellend und einseitig wieder.

Die notwendige Rechtsmittelbelehrung wurde mündlich falsch oder zumindest ungenau erteilt.

Aus diesen von mir hier dargelegten Gründen glaube ich, dass ich zu Unrecht bestraft wurde, und stelle folgenden Antrag: Man möge den Vollzug der Strafe auch nach Ihrem Bescheid auf dieses Schreiben aufschieben, falls meine Beschwerde abgelehnt wird, da ich mich ansonsten an die nächsthöhere Dienststelle der Wehrverwaltung mit meiner Beschwerde wenden werde. (§ 9 Abs. 1 WBO)

Walter Listl, PzGren.


Kürbiskern. Literatur und Kritik 2/1969, 384 ff.

Überraschung

Jahr: 1968
Bereich: Bundeswehr

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