Materialien 1982

Arbeit schaffen - Frieden sichern - Freiheit bewahren

So lautete das Motto des SPD-Parteitages und dazu war die Demo am 17. in München eine Alterna-
tive. Während in der Olympiahalle eine Woche lang hochkarätige Politikaster möglichst allgemein verbindliche, verständliche und vertrackte Sätze absonderten und fallen ließen, machten wir es ganz anders und vor allem viel lockerer.

Die Beschallung durch hochkarätige Politikaster dauerte demgegenüber nur 3 1/2 Stunden und wurde zudem von musikalischen Darbietungen glänzend unterbrochen. Ehrlich, Freunde, was Ihr uns und allen denen, die angereist sind, da zugemutet habt, war to much. Die Inflation der Worte machte unendlich passiv, müde, spätestens nach einer Stunde konnte nicht nur ich nicht mehr zu-
hören, und wer sich dann noch aufraffte, ging in den angrenzenden Hofgarten. Helmut (von Nürn-
berg extra runtergefahren) sagte dann dort, hier ist die Luft raus, alles matsch, und die vielen Ge-
sichter der anderen drückten das auch aus.

Echt, warum traut Ihr uns, den Demonstranten, nicht zu, selber kreativ zu werden, warum ent-
mündigt Ihr uns? Warum müsst Ihr alles bis zum letzten Furz durchorganisieren??? Durch die massenhafte Darbietung wurde jeder einzelne, der auftrat, entwertet, eingepasst in eine Beriese-
lungsmaschinerie, die nicht zur Auseinandersetzung einlud, sondern nur noch das tausendmal Gehörte festschrieb. Da kann ich gleich die Glotze einschalten.

Und weiter. Eine K-Gruppen-Frau fragt mich, meine schwarze Kleidung und meine schwarze Fahne mit schmalgewordenen Pupillen fixierend: “Wie ist denn dein Verhältnis zur Arbeiterklas-
se?” Und ich Idiot töne anstatt “Ausgezeichnet, ausgezeichnet” (denn ich will ihr ja keine reinwür-
gen), dass das mehrere Stunden bräuchte, bis wir den ganzen Sums durchgekaut hätten. Das ver-
steht sie, blickt mich noch einmal mitleidig an und begibt sich wieder an die Kampffront um die richtige Massenlinie.

Dann die Demo: Hinter uns ein Wagen mit Lautsprecher quäkt vor dem Abmarsch “Bandiera ros-
sa” — das Baby im Kinderwagen der Frau neben mir fängt zu weinen an — und dann plärrt der Chefeinpeitscher seine gut durchdachten Parolen “Für Arbeit und für Frieden — Weg mit den Atomraketen”. Helmut schreit: “Keine Arbeit!” Er hat nämlich eine und was für eine! Der Agitator im Auto hat die Verbindung zu den Massen noch nicht ganz verloren und brüllt: “Für Arbeits-PLÄTZE und für Frieden — Weg mit den Atomraketen!” Darauf Helmut und noch ein paar andere noch lauter: “KEINE ARBEITSPLÄTZE!!!” Der Trötenheini verstummt verblüfft. Während wir noch damit beschäftigt sind, unsere eigenen Texte zu dichten und zu rufen, und endlich die Stim-mung besser wird, quäkt dieses phongeschwollene Aas wieder dazwischen “Für Frieden und für ARBEITSPLÄTZE — Weg mit den Atomraketen”. Super, jetzt ist endgültig alles still. Und der Agi-tator wundert sich.

Wieviel Gespür muss eigentlich so einem abgehen, der nicht mal primitivste menschliche Bedürf-
nisse wahrnimmt?! Sorry, Freunde, aber wer sagt, machs besser, dem antworte ich, dass ichs mach, und wer sagt, es war einfach toll, der lügt sich nur die Hucke voll.

Im übrigen: Große Ausnahme war die “Volksfront” mit fahrbarem Kabarett, und die bekommt auch dafür ein dickes Bussi!

Franz Gans


Manuskript, Privatsammlung

Überraschung

Jahr: 1982
Bereich: SPD