Materialien 1968
Ostern 1968
… Die Misshandlungen, die von Polizisten an Demonstranten offenbar verübt worden sind, dürften zum größten Teil spontan erfolgt sein, Wir machen der Einsatzleitung nicht den Vorwurf, sie habe derartige Gewalt veranlasst oder bewusst einkalkuliert, wie dies umgekehrt den Demonstranten unterstellt wurde. Sie hat aber offensichtlich nicht genug getan, um Misshandlungen einzudämmen und während der Demonstration mäßigend auf die Beamten einzuwirken …
III 21
Verena Reichel, Studierende: der Journalistenschule, 8 München 19, Leonrodstraße 46a
„Am Abend des 15.4.68 begab ich mich in Begleitung von Herrn J. K. zum Buchgewerbehaus, um mich an Ort und Stelle über die Vorgänge dort zu informieren … Nach 20.30 Uhr begaben wir uns ungehindert in die Theresienstraße. Wir kamen an einer mit Balken versperrten Ausfahrt vorbei und gingen weiter in Richtung Ludwigstraße. Nach kurzer Zeit kehrten wir wieder um, weil sich dort niemand mehr aufhielt. Auf dem Rückweg beobachteten wir, wie Stadtpolizisten anscheinend willkürlich aus der Menge der friedlichen Demonstranten einige Schüler oder Studenten herausgriffen, in den Polizeigriff nahmen und in einen Einsatzwagen beförderten. Wir setzten uns auf die Holzversperrung, an der wir vorher vorbeigegangen waren. Dahinter, also in der Einfahrt, standen drei Polizisten. Sie hinderten weder uns noch einige hinzukommende Schüler daran, auf der Barrikade sitzen zu bleiben. Es entspann sich ein Gespräch zwischen einem Bereitschaftspolizisten und den Schülern. Nachdem wir etwa fünf Minuten dort gesessen hatten, fuhr ohne Vorwarnung ein Einsatzwagen vor, aus dem ca. fünfzehn Polizisten sprangen. Sie umringten uns, zählten uns ab und brachten uns, zum Teil im Polizeigriff, zum Einsatzwagen. Die Festnahme erfolgte kurz vor 21.00 Uhr. Nach einer Wartezeit von ca. 15 Min. wurden wir in einer Seitenstraße in einen großen Gefängniswagen umgeladen. Dort nahm ein Beamter unsere Personalien auf. Mir gegenüber saß ein etwa 17-jähriger Schüler, der mehrere Verletzungen im Gesicht hatte und aus dem Mund blutete. Auf meine Frage, was passiert sei, sagte er: ‚So geht es einem, wenn man „pfui“ ruft.’ … In Stadelheim erklärte ich, dass ich erst nach Rücksprache mit einem Rechtsbeistand aussagen wolle. Man gab mir aber trotz meiner Bitte, keine Möglichkeit zum Telefonieren. Der Beamte sagte mir, ich sei beschuldigt, Barrikaden gebaut und mit Steinen geworfen zu haben, was beides nicht zutrifft.“
Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung im Amt gegen unbekannte Polizisten sowie gegen Dr. Manfred Schreiber als deren Dienstvorgesetzten wurde erstattet. Das Ermittlungsverfahren ist eingestellt …
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V 34
Hartmut Traub, 8 München 90, Reichenhaller Straße 27/33
„Am 15.4.68 ließ ich mich zusammen mit anderen Demonstranten zu einem gewaltlosen Sitzstreik vor der Barrikade an der Kreuzung Schelling-/Türkenstraße nieder …
Einige der Demonstranten versuchten, dass der Einsatzleiter der BePo1 uns eine Erklärung zur Ursache unseres Sitzstreiks abgeben ließ, die Erwiderung war: „Die Straße wird mit Wasserwerfern freigespritzt.“ Nichts dergleichen geschah. Plötzlich, gegen 21.10 Uhr, stürzten sich zwei Reihen Polizisten in Kampfausrüstung mit Knüppeln und Stahlhelmen ohne Warnung auf uns: Packten einen an Füßen, Händen oder zerrten einen an den Haaren und schleifen die gewaltlosen Opfer über die Straße zu bereitstehenden Wagen in die Türkenstraße. Ich war ebenfalls unter diesen Sitzdemonstranten.
Ein Bulle packte mich am linken Armgelenk, drehte mir die Hand auf den Rücken und trieb mich mit Tritten zu einem Wagen. Dort wurde mir, wie anderen Opfern. nach einiger Zeit eine Handschelle an das linke Handgelenk gelegt. Ich musste nun mit meinem Freund und Helfer durch eine johlende Menschenmenge, die für uns KZ und Todesstrafe forderte. Die loyale Polizei unterstützte natürlich kräftig dieses Volksbegehren. Als ich meinen Beschützer nun fragte, was dieser Scherz mit der Handschelle eigentlich bezwecke, wurde ich angefahren: ‚Halt’s Maul, du roter Hund!’ Auf die Frage nach dem Namen des Polizisten erhielt ich einen Schlag ins Genick. Inzwischen war es 22.30 Uhr. Ich erfuhr, dass ich verhaftet sei. Nun wurden meine Personalien aufgenommen. Man verlangte von mir einen Fingerabdruck. Ich fragte, ob ich dazu verpflichtet sei. Der leitende Polizeibeamte brüllte mich an: „Wir machen das mit Gewalt!“ Rief zwei Polizisten herbei. Einer packte mich am linken Handgelenk, riss mir den abgewinkelten Arm nach hinten hoch, dass ich glaubte, mein Schultergelenk kugelte aus. Gleichzeitig trat er mich in das rechte Knie. Es ist noch geschwollen und blau. Durch den Schmerz kippte ich vorne über. Währenddessen schlug der zweite Polizist meine verkrampfte Faust auf den Tisch: die Verkrampfung löste sich, der Fingerabdruck konnte festgehalten werden. Während dieser Zeremonie hatte einer der Polizisten einen Stiefel in mein Kreuz gestemmt. Nun wurde ich etwa 50 m weit mit abgewinkelten Armen über den Boden zur Sammelstelle geschleift.“
(Ergänzung der Aussage:)
„Z.T. unter unmenschlichsten Bedingungen wurden die Personalien festgenommener Demonstranten aufgeschrieben; und unter Gewaltanwendungen, Tritten und Armeverdrehen und mit Drohungen: ‚Kannst gleich unsere Macht spüren, du rote Sau!’ wurden harmlose Opfer mit dem Gesicht zur LKW-Wand gezerrt. Sie mussten die Hände im Nacken halten und sich einer Leibesvisitation unterziehen. Seitens der Polizei wurde die Unterhaltung stets in der 2. Person Singular geführt, ausgeschmückt durch Beleidigungen wie ‚Dreckaffe’, ‚Kommunistensau’ etc.“
Strafanzeige gegen einen Bereitschaftspolizisten und drei Stadtpolizisten wurde erstattet …
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IX 21
Wilhelm Wenders, 8 München 80, Preysingstraße 43/1
„Als die Polizeikette (BePo) gegen 22 Uhr in der Schellingstraße in Höhe des Buchgewerbehauses nach Osten vorrückte, wurde ich mit einer Gruppe von Demonstranten von den übrigen getrennt und an die Mauer der südlichen Straßenseite gedrängt. Ich erhielt dabei von Bepos gezielte Stöße mit dem Knie in den Unterleib. Dies ist auch mit anderen passiert, z.B. mit meinem Bekannten G.T. Die Polizeikette rückte inzwischen weiter vor; wir wurden von nachkommenden Polizisten (BePo) mit vorgetrieben, ca. bis 20 m vor der Kreuzung. Zu diesem Zeitpunkt war ich ziemlich alleine in einem Knäuel von Polizisten. Etwa hier kamen die Polizeiketten zum Stehen. In diesem Augenblick beobachtete ich, wie ein einzelner am Boden mitten auf der Straße hinter der vorderen Polizeikette liegender Demonstrant, der von mehreren Polizisten umringt war, von einem dieser Polizisten mit Handkantenschlägen geschlagen wurde. Ich sah ebenso, dass er mehrere Fußtritte erhielt (BePo). Ich wollte zu ihm hin, um ihm zu helfen oder Dienstnummern der Beamten festzustellen. Ich versuchte, mich zu ihm durchzudrängen, wurde dabei aber zurückgestoßen, und zwar so heftig, dass ich meine Brille verlor (Ich bin stark kurzsichtig). Ich bin ziemlich sicher, dass mir die Brille von hinten heruntergeschlagen wurde. Sie hat runde elastische Bügel und kann deshalb von selbst kaum herunterfallen.“
Strafanzeigen in den Fällen Wenders und seines Bekannten werden erstattet …
Über die Demonstrationen in München. Ostern 1968. Veröffentlichungen der Rechtshilfe der außerparlamentarischen Opposition 1 vom Juni 1968, 5 ff.
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1 Bereitschaftspolizei.