Materialien 1968
Die verlorene Ehre der Klaus Frings und Rüdiger Schreck
Hier folgt eine redaktionelle Ausarbeitung des Interviews, die allerdings zur Hälfte als Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 19./20. Juli 1997, S. 9, abgedruckt wurde. Die von der Süddeut-
schen Zeitung nicht veröffentlichten Teile sind im Folgenden in Klammern gesetzt:
München, Ostern 1968
«Dem, der noch ruhig schlafen kann,
dem habe ich nichts zu sagen.»
Peter Brückner 19721
Dieses revolutionäre Klima in München kulminierte mit dem Attentat auf Rudi Dutschke am 11, April 1968, Nach diesem Attentat sind spontan in fast allen Städten Westdeutschlands Menschen zu den Redaktionen, Druckereien, Auslieferungsstellen der Bild-Zeitung geströmt.
Offengestanden, dieses Attentat kam für uns nicht aus heiterem Himmel, denn als Ohnesorg ein Jahr vorher erschossen worden war, war uns das schon verdächtig vorgekommen, weil er dem Dutschke ähnlich war.
Diesen unseren Verdacht verstärkte ein anderer Vorfall im Februar 1968, da war auf einer Viet-
nam-Demonstration in Westberlin einer, der so ähnlich wie Rudi aussah, fast zu Tode geprügelt worden. Und das könnt Ihr ja heute noch in Eurem Archiv nachschauen: Die Bild-Zeitungskam-
pagne von damals gegen uns, speziell gegen Dutschke, das war eine reine Mordkampagne … und das war damals eine Erfahrung, von der ich heute sage: «Man kann einen Menschen auch mit Schlagzeilen töten.»
Unser Slogan war damals: « Bild hat mitgeschossen.» Und so sind wir in München wie auch in anderen Städten zu Tausenden zur Redaktion der Bild-Zeitung gezogen, dem Buchgewerbehaus, das ja eine fürchterliche Tradition hatte. Hier war auch das Propagandablatt der Nazis, der Völki-
sche Beobachter gedruckt worden.
München war die einzige Stadt, wo die Demonstranten wirklich bis in die Redaktionsräume der Bild-Zeitung kamen und sogar, glaube ich, ein paar Akten aus dem Fenster geworfen haben … die wußten auch nicht so genau, was sie da machen wollten … Es war mehr eine Besichtigung. Ja, und die haben vielleicht ein paar Akten auf den Boden geworfen. Es war nicht richtig gewalttätig, aber sie haben einfach damit gedroht, wenn Ihr uns erschießt, oder den bekanntesten Vertreter von uns, dann stehen wir nicht mit verschränkten Händen da. Das war auch eine Niederlage der Polizei, dass man ausgerechnet in München bis in die Redaktionsräume vorgedrungen war. Und das ist eine Erklärung dafür, dass es dann bei den weiteren Demonstrationen über Ostern noch zwei Tote gegeben hat. Dutschke starb ja elf Jahre später an den Folgen des Attentats.
[Also die war am Gründonnerstag. Und da möchte ich nochmal betonen, dass die nicht organisiert, sondern SPONTAN war, am Gründonnerstag. Ich bin selbst dabei gewesen, weil ich sofort, nach-
dem ich von dem Attentat gehört hatte, ins LSD-Büro gegangen war und nach Hamburg und Berlin und Frankfurt usw. telefoniert und gefragt habe: «Was macht Ihr denn? Bei uns laufen sie alle zum Buchgewerbehaus.» – «Bei uns auch.» Das heißt zu den entsprechenden Häusern. Ich wusste es also aus den Telefonaten.
Na gut, am nächsten Tag habe ich dann, weil ich ja immer noch so eine Art Koordinationsfunktion hatte, auch, als ich nicht mehr AStA-Vorsitzender der verschiedenen linken Gruppen war, mit an-
deren zusammen eine Erklärung zu dem Attentat auf Rudi Dutschke verfasst und bin als Vertreter dieser Gruppen zur größten bürgerlichen Zeitung Münchens, der Süddeutschen Zeitung, gegan-
gen, zum Chefredakteur, und habe gesagt: «Einer von uns ist erschossen worden, und da könnt Ihr ja mal ausnahmsweise eine Erklärung von zwei Schreibmaschinenseiten von uns abdrucken!»
Die Zeitung hat sich geweigert, auch nur einen Satz abzudrucken. Und dann habe ich dem gesagt: «Dann sind Sie dafür verantwortlich, wenn nun andere Sachen passieren!» Das war am Freitag-
abend um sechs, und ab acht Uhr war ein großes in der Universität, und da ging es dann um die Frage, was man nun macht, und speziell um die Frage: . Und da waren dann schon einige da, die gesagt haben, sie hätten einen Plan, und zwar am Buchgewerbehaus, und in den Straßen rings herum, da wollten sie das und das machen … Es ging ja nun bundesweit darum, die Auslieferung der Bild-Zeitung für den Ostersamstag zu verhindern, an dem traditionell die Zeitungen eine sehr hohe Auflage erreichten. Und dann ging es um die Frage, ob ein Sitzstreik vor den Toren oder in den Straßen um den Block herum gewaltlos sei oder nicht. Das war und ist auch heute noch eine von der reaktionären Rechtsprechung in Westdeutschland aufgezwungene Diskussion. In Verbin-
dung mit einem von den Nazis verschärften Gesetz waren und sind für sie friedliche Sitzstreiks strafbare Gewaltanwendung. Ich war da beim Versammlungsleiter, soweit ich mich erinnere, und dadurch natürlich für die Polizei sehr sichtbar, die hinterher dann in den Prozessen gesagt hat, sie hätten jahrelang jedes Wort und jede Bewegung von mir durch Polizisten in Zivil beobachtet, auf-
geschrieben und aufgenommen.
Das Asylrecht in den Räumen der Universität, nämlich, dass keine Polizei reindarf, war kurz vorher offiziell aufgehoben worden. Witzigerweise zum gleichen Zeitpunkt, als auf den ersten Seiten der westdeutschen Zeitungen die armen, unter dem Joch der lebenden Polen bejammert wurden, de-
ren Polizei sie unter Missbrauch des Asyls selbst in den Räumen der Universitäten bespitzelte …
Also diese akademische Diskussion, ob Sitzstreik Gewalt sei oder nicht, also ob man sich vor den Auslieferungstoren der Bild-Zeitung kurz mal demonstrativ hinsetzen durfte oder nicht – einer hatte auch schon an die Tafel den Block mit dem Buchgewerbehaus und umliegenden Straßen, wo man sich am besten hinsetzten konnte, gemalt – nun diese Diskussion wurde plötzlich durch einen aufgeregten unterbrochen, der zum Mikrofon hastete und außer Atem rief: «Die sperren jetzt das ganze Gebiet weiträumig ab, wir kommen überhaupt nicht mehr hin!»
Diskussion und Zeichnung waren zum Teufel, aber das Buchgewerbehaus war nicht weit von der Universität, die Versammlung löste sich auf, und wir hasteten dorthin. Schließlich sind wir gerade noch vors Haupttor der Bild-Zeitung gekommen. Wir hatten sogar das Glück gehabt, dass genau gegenüber vom Tor eine Baustelle war, und ein verwilderter Garten am Park, wo jetzt die steht, mit Baumaterial, Latten, herausgerissenen Parkbänken und Pflastersteinen. Also sozusagen für einen Barrikadenbau geeignet wie nur was. Hinter dem geschlossenen Tor des Buchgewerbehauses konnte man Polizisten und Polizeireporter und -fotografen sehen.
Na ja, da hat dann einer angefangen, einen Pflasterstein vor die Tür zu legen, eben weil da die Bild-Zeitung rausgefahren wurde, um für den Karsamstag ihre Auslieferung zu verhindern. Und andere standen da an den Kreuzungen und haben immer mehr Steine hingelegt, und da hat auf einmal einer gerufen: «Ketten bilden!», denn von hinten kam schon die Polizei mit den Wasserwerfern, also musste das alles schnell gehen, also so was, dieses Erlebnis, ganz spontan! Und als dann eben Ketten gebildet wurden, damit es schneller geht, da war im Nu so ein Haufen, man kann das nicht Barrikade nennen, es war halt so ein Haufen vor der Tür, zwei alte Parkbänke und zwei alte Ton-
nen, ein paar Latten, irgendwie aufeinandergehäuft. Und wie die Polizei dann mit den Wasserwer-
fern gekommen ist, da haben sich alle draufgesetzt. Also erstmal davor auf die Straße, um die vor-
rückende Polizei mit den Wasserwerfern zu behindern, und dann drauf, um die vor dem Tor zu verteidigen. So ist das gelaufen, die Leute haben sich dann praktisch hingesetzt. Was da in den ganzen Tagen vorgefallen ist, das weiß ich genau, weil ich ja in dieser Zeit auch Verteidiger war, nämlich aus den Polizei- und Gerichtsakten und natürlich vor allem aus den Aussagen der Demon-
stranten-Mandanten …
Dann sind die Wasserwerfer gekommen und haben erstmal die Leute von den Barrikaden vertrie-
ben, und dann haben sie die Leute zurückgetrieben, zurückgespritzt mit den Wasserwerfern. So ist das auch an den anderen Eingängen und Kreuzungen gewesen. Und in der Nacht hat es noch, glau-
be ich, siebzig Festnahmen gegeben, und die Polizei hat verkündet, sie hätte einige Ausgaben der Bild-Zeitung über die Dächer ausgeliefert.
Jedenfalls war es eine erhebliche Behinderung der Auslieferung der Bild-Zeitung, gerade am Hauptverkaufstag Ostersamstag, wenn auch nicht so stark wie in anderen Städten an diesem Tag, und die Bild-Zeitungsleser haben es gemerkt. Und genau das war ja praktisch das Ziel gewesen: etwas gegen diese mörderische Zeitungshetze zu tun und das Aufwiegeln der Öffentlichkeit gegen linksgerichtete Personen nicht zu einer einzigen Vernichtungskampagne ausarten zu lassen.
Gleichzeitig war klar, jedenfalls bei politisch erfahrenen Leuten wie mir, dass da noch der alljähr-
liche Ostermarsch <für Demokratie und Abrüstung>, den es heute noch gibt, stattfindet. Diesmal folglich mit vervielfachter Beteiligung im Vergleich zu den letzten Jahren, also von Zehntausenden, auf dem ich dann auch gesprochen und die Erklärung verlesen habe, die wir zum Dutschke-Atten-
tat verfasst hatten, das war am Viktualienmarkt, wo dann auch beschlossen worden ist, jetzt, am Ostermontag wird die Auslieferung der Bild-Zeitung wirklich VERHINDERT!
Und da habe ich damals gewarnt, das ist ja Wahnsinn, schon am Freitag hat es Massenfestnahmen gegeben, und ich war ja Rechtsreferendar, und es hatte schon genug Verfahren gegeben! Ich hatte auch einige Verfahren laufen, praktisch alle Aktiven, und zwar schon vom Flugblattverteilen und natürlich von den Demonstrationen vorher. So kleine Ermittlungsverfahren unter lächerlichen Vorwänden, beispielsweise weil wir unter einem Flugblatt den Vornamen des nicht ausgeschrieben hatten, war es schon strafbar. Du musstest schreiben. Eine reine Schikane, denn seit 1966 war schon stadtbekannt und unter geheimdienstlicher enger Beschattung. Oder wenn Du nur und nicht geschrieben hast, dasselbe.
Prozesse wegen so etwas gab es natürlich nur, wenn der Inhalt der Flugblätter den Behörden nicht gefallen hat, dann hattest Du wegen jeder Kleinigkeit ein extra Strafverfahren mit all dem Auf-
wand, den so was für den Betroffenen mit sich bringt. Wenn das aber Rechte gemacht haben, oder es handelte sich um Propagandaflugblätter für die da oben, dann haben die sich überhaupt nicht darum geschert. So haben sie eben versucht, uns zu behindern, schon in den Jahren vor 1968. Wir hatten uns deshalb auch schon im LSD damit beschäftigt, wir hatten einen und auch die ins Leben gerufen, ein Vorläufer der in den siebziger Jahren in Westdeutschland verbreiteten .
Als ich dann das gesehen habe, die siebzig Festnahmen, und dass sie die Leute gleich unten ins Buchgewerbehaus eingesperrt hatten – in hatten sie das damals einfach umbenannt – da habe ich gesagt, das ist doch Wahnsinn, was wird dann erst am Montag zu erwarten sein! Auch andere wa-
ren dieser Meinung, und wir haben uns in meinem Appartement in München getroffen und haben gesagt: So, jetzt verteilen wir erstmal Flugblätter. Die meisten Demonstranten wissen ja gar nicht, wie sie sich verhalten sollen, die wissen noch nicht einmal, dass sie das Recht haben, vom Zeit-
punkt ihrer Festnahme an, sofort einen Anwalt zu verlangen. Den Festgenommenen ist oft vorge-
macht worden von den Bullen: «Ja, den kriegt Ihr dann bei der Haftprüfung,» Das war natürlich empörend, weil die erst nach zwei bis drei Wochen Gefangenschaft stattfindet.
Auf den Flugblättern mit enthalten war auch eine Liste von Anwälten, die in waren während der Demonstration und der ganzen drauffolgenden Nacht, und dass eben jederzeit bei der – das war in meinem Appartement in Schwabing – angerufen werden konnte. Und Tipps wurden an die De-
monstranten gegeben: Keine Adressen oder gar Adressbücher mitnehmen, aber Bleistift und Pa-
pier, vielleicht etwas zum Lesen, zwanzig Pfennig zum Telefonieren, weil die damit immer Anwalts-
kontakte verhindert haben: »Ja, wenn Sie keine zwanzig Pfennig zum Telefonieren haben …« Und wie man sich anzieht für die Demonstration gegen die Wasserwerfer, und auch Zitronen mitneh-
men, zum Augenausspülen, weil ja den Wasserwerfern Gift beigemischt ist – also solche Tipps, die jetzt in Westdeutschland allgemein üblich sind. Und dann eben die Namen von circa fünfzehn bürgerlichen Anwälten, die bereit waren, am Abend und in der Nacht der Demonstration ein Man-
dat zu übernehmen, wenn’s notwendig war. Das ist dann auch so gelaufen. Die Polizei, die Geheim-
dienste und die politische Führung waren ziemlich wütend, dass in München so viel erfolgreicher Widerstand geleistet worden war, erstmal das Eindringen in die Redaktionsräume am Gründon-
nerstag und dann, dass am Karfreitag die Auslieferung zumindest erheblich behindert wurde.
Und es wurden immer mehr. Nach Polizeiberichten, das ist ein wichtiges Merkmal, ist die Studen-
tenbewegung gerade in diesen Tagen auf die Gesamtbevölkerung übergeschwappt. Laut Polizeibe-
richten waren auf der Ostermontagsdemonstration nur ein Drittel Studenten, während ein Drittel Jugendliche und Lehrlinge und ein Drittel Arbeiter da waren. Das war das wesentliche Merkmal dieser Bewegung, dass das nicht unbemerkt geblieben ist und den Behörden wohl gleichzeitig deut-
lich gemacht hat: Die Studentenbewegung hat ihre enge Grenze überschritten und das Ghetto ver-
lassen, weil die Bevölkerung, die ja auch die Bild-Zeitung liest, mitbekommen hatte, dass die Bild-Zeitungshetze Dutschke auf dem Gewissen hatte, und so waren praktisch zunehmend die Sympa-
thien der Bevölkerung auf unserer Seite.]
Ungefähr um 21.16 Uhr wird wie jeden Tag am Haupttor mit der Auslieferung der Bild -Zeitung be-
gonnen, und zwar mit aller Gewalt. So war die Entscheidung. Und da haben sich dann die Minister, der Vogel (damals Oberbürgermeister) und der damalige bayrische Polizeiminister auf einen Bal-
kon nebenan vom Haupttor hingestellt und genau beobachtet, was passiert ist. Die Bild-Zeitung ist mit aller Gewalt ausgeliefert worden, es hat viele Verletzte gegeben, einhundertfünfzig oder ein-
hundertsiebzig Festnahmen und zwei Tote: Rüdiger Schreck, ein Student und Demonstrant, und der Pressefotograf Klaus Frings, wo man annehmen kann, dass letzterer getötet wurde, weil er den Tod von Rüdiger Schreck fotografiert hatte. [Wir sind zu diesem Schluss gekommen, weil er näm-
lich auch der einzige Pressefotograf gewesen war, der bei vorherigen Demonstrationen die Poli-
zeieinsätze und deren Gewalttätigkeiten geknipst hatte. Während schon damals alle anderen prak-
tisch als Polizeifotografen fungierten, also nie die Angriffe der Polizei, sondern nur die der Demon-
stranten, die vielleicht einen Stein in der Hand hatten, geknipst haben, sozusagen als Fahndungs-
fotos, als Dokumente gegen sie und für die Polizei.] Der Frings war dafür bekannt, dass er bei De-
monstrationen versucht hat, das gesamte Geschehen zu knipsen, was ja eigentlich die Aufgabe von Pressefotografen gewesen wäre, und dass er nicht für die Polizei arbeitete. Und ausgerechnet der ist getötet worden, und ausgerechnet sein Film, auf dem der Zwischenfall und eben auch der Tod von Rüdiger Schreck drauf war, soll unbelichtet gewesen sein. Selbst in den Ermittlungsberichten der Polizei heißt es: «Um 21.16 Uhr wurde die Bild-Zeitung mit starken Polizeikräften ausgeliefert. Im Zuge dieses Einsatzes kam es zu zwei Toten.»
Aber was waren die Schlagzeilen am nächsten Morgen in allen Zeitungen? »Demonstranten er-
schlagen mit Steinen und Balken Mitdemonstranten und Fotografen.« Wir sollen praktisch die beiden getötet haben. Und dann schreibt einen Monat später der Rektor der <Hochschule für Politische Wissenschaften> ein Buch gegen die Studentenbewegung, in dem er mich als <Mörder> dieser beiden bezeichnet, weil ich als Organisator der Demonstration galt, obwohl ich auf dieser Demonstration am Ostermontag überhaupt nicht dabei gewesen war, sondern die Rechtshilfe organisiert hatte, und nicht mal ein Zeuge war da, der mich gesehen hatte.
Damals war es außerdem so, dass jeder, der was gesehen hatte, der also als Zeuge für die beiden Morde in Frage kam, automatisch schon drei Monate Gefängnis wegen schweren Landfriedens-
bruchs bekam. Das war noch dieser alte . [Also musste ich eine Dokumentation verfassen mit ungefähr zweihundert Zeugenaussagen, darunter auch die von bekannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, von denen ich aber die Namen nicht veröffentlichen konnte.
Auf einmal wurde ich festgenommen und dem Ermittlungsrichter vorgeführt: Ich müsste die Na-
men aller Zeugen nennen, die ich in der Dokumentation erwähnt hatte, hieß es. Mein Anwalt war damals der Kückelmann, der ist inzwischen Filmemacher. Und zum Glück hatten wir die Erstel-
lung der Dokumentation gut vorbereitet, ich war nämlich Rechtsreferendar in Untervollmacht für jeden einzelnen Fall und hatte damit ein Zeugnisverweigerungsrecht, deshalb hat der Ermittlungs-
richter damals nicht mitgemacht, und nach ein paar Stunden war ich frei. Mit solchen Schikanen wurden unsere Ermittlungen über die wirklichen Vorgänge am Ostermontag gestoppt. In allen Zeitungen standen dieselben Lügen, selbst der -Anwalt Mahler – da habe ich mich damals schon furchtbar aufgeregt – hat in Berlin den Quatsch geglaubt, verstehst Du, so waren die Zeitungen in ganz Westdeutschland voller Lügen, das ist bis heute noch so, die Sache ist nie aufgeklärt worden, die Polizei hat nur gegen Demonstranten als mögliche Täter der beiden Morde ermittelt. Aber meine Dokumentation, an der alle Welt interessiert war, das kann man ruhig so sagen, hätte einen reißenden Absatz gefunden, wenn nicht die Polizei zu allen Buchhandlungen gegangen wäre und denen gesagt hätte, sie wäre verboten, und sie dürften sie nicht verkaufen.
Damals hat es ja noch keine linken Buchhandlungen gegeben, die waren da grad erst im Entstehen. Und so saß ich dann damals mit viertausend Exemplaren, die ich nirgends losbekam, in meinem Büro-Appartement. Damals fing das an, dass die Linken an der Uni-Mensa Tische hinstellten und ihre Broschüren verkauften. Was inzwischen wohl wieder verboten oder unter behördlicher Kon-
trolle ist, beziehungsweise ist man heute ja inzwischen in Deutschland schon dann ein , wenn man radikale Meinungen oder Gegeninformationen äußert oder auf Papier druckt, zum Beispiel Erklä-
rungen, die die militanten Aktionen betreffen. Die gesamte legale Linke hat ja schon seit circa fünfzehn Jahren die Sprachregelung des Bundeskriminalamtes (BKA) und der Massenmedien übernommen, und statt von <Erklärungen> spricht ganz Westdeutschland von .
Diesen – einzig verbliebenen – Verkauf an den Mensatischen musste ich dann aber selbst organi-
sieren, nicht allein, sondern zusammen mit denen, die damals in der Rechtshilfe mitarbeiteten. Aber man kann sagen, die Hauptlast blieb an mir hängen, nicht nur weil die Rechtshilfe ihr Büro in meinem Appartement hatte. Und dann der ganze Versand in die verschiedenen Städte, also das war ein schwerer Schlag, dass die uns jetzt auf einmal auf dieser Ebene zusetzten. Solche Erfahrun-
gen haben wir damals gemacht. Außerdem hatten sie gleich nach den Osterunruhen das erste Mal in der Nachkriegszeit wieder ein Schnellgerichtsverfahren2 gemacht: Einer, der in der Nähe des Demonstrationsortes wohnte, hatte gleich acht Monate ohne Bewährung wegen schweren Land-
friedensbruchs bekommen. Und solche Sachen. Das war eine Zeit, in der ich praktisch Tag und Nacht gearbeitet habe. Tag und Nacht hat auch das Telefon geläutet, sodass ich dann nach ein paar Monaten mit einem Lungenpneumathorax zusammengebrochen bin. Da habe ich dann ein halbes Jahr im Bett liegen müssen.] Ein Jahr später wurde ich wegen Sitzstreiks und der verurteilt, dass ich einen Pflasterstein, eine Tonne und eine Latte vor das Tor des Buchgewerbehauses gelegt hatte. Dafür bekam ich die Höchststrafe, die für ein derartiges Vergehen überhaupt verhängt werden kann, fünfzehn Monate Haft ohne Bewährung. Es war offensichtlich ein Schachzug, um mich als Verteidiger zu diskreditieren.
Im Prozess gab es keine Zeugen, doch plötzlich wurde ein Film vorgeführt, den das ZDF, einer der beiden staatlichen Fernsehsender Westdeutschlands, während der Karfreitagsdemonstration auf-
gezeichnet hatte. Im Saal des Schwurgerichts brachen alle in schallendes Gelächter aus, als der Staatsanwalt mit einem Stab auf eine dunkle und nicht zu erkennende Gestalt zeigte und sagte: «Hier sehen Sie den Angeklagten, der …» Das Gericht begnügte sich schließlich mit der Aussage desjenigen, der mich in den letzten Jahren in und außerhalb der Universität eng beschattet hatte und der behauptete, er würde mich auf dem Film wiedererkennen. Das zweite gegen mich war eine Rede, die ich als Anführer der Opposition des Studentenparlaments gehalten habe, in der ich das Verhalten der Demonstranten beim Ostermarsch verteidigte und die dann als Erklärung von mir gewertet wurde. [Als das dann Alfred Schrempf hörte, der damalige Vorsitzende des Studenten-
parlaments, der auch als Zeuge aussagen sollte, sprang er aus seinem Sitz auf im Gerichtssaal und schrie entrüstet: «Aber das war doch eine politische Rede!» Und dann entfuhr es dem damaligen Staatsanwalt, der ja zumindest ein Vertreter der objektivsten Behörde sein sollte, ihm entfuhr also Folgendes: «Ich kann mich der Einvernahme des Zeugen nicht widersetzen, selbst wenn er Entla-
stendes für den Angeklagten vorbringt …»]
1970 wurde eine Generalamnestie ausgesprochen, davon waren die Brandstifter eines Frankfurter Kaufhauses3 ausgenommen, aber gleichzeitig wurde über mich <eine besonders abscheuliche Art des Berufsverbots4> verhängt: Nämlich, indem sie politische Gründe anführten und mich durch das Assessorexamen schmissen. Um am Examen teilnehmen zu dürfen, musste ich mich an das Gericht wenden, und dann entschied 1973 das Oberverwaltungsgericht, dass ich <unwürdig> war, am Examen teilzunehmen. Quasi eine doppelt abgesicherte richterliche Entscheidung, nur damit sie sicher gehen konnten … Der damalige öffentliche Ankläger in meinem Prozess, Dieter Emrich, ist heute Vorsitzender der Bayerischen Staatsanwaltschaft, der laut Spiegel kürzlich seine Dienste anbot, indem er, um seinen Geheimdienst zu beschützen, eine Übereinkunft mit einem Angeklag-
ten aus dem sogenannten traf, was er später geleugnet hat.
Ich schlage mich kümmerlich durch – mit den üblichen lächerlichen und gefährlichen Belästigun-gen der Geheimpolizei und der Behörden -, als Deutschlehrer und Übersetzer in Griechenland, wo ich mich zum zweiten Mal in meinem Leben für drei glühende Monate im Sommer einer Bewegung angeschlossen habe, die mein Leben ebenso intensiv prägte wie die Studentenbewegung: der Bewe-gung, die mich unterstützte und gegen meine Auslieferung in Deutschland kämpfte. Und ich warte in der Zwischenzeit sehnlichst auf die nächste antiautoritäre Bewegung, die sicherlich kommen wird, weil sie notwendig ist, heute vielleicht sogar notwendiger als 1968. Eine Bewegung, die wie damals eine internationale sein wird.
Hier endet der Text, der für die Süddeutsche Zeitung ausgearbeitet worden war, und das Inter-
view mit der deutschen Zeitschrift, 1985, geht weiter …
Rolf Pohle, Mein Name ist Mensch. Das Interview, Berlin 2002, 39 ff.
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1 Peter Brückner bezieht sich auf die «Jagd auf die Sympathisanten», die besonders durch die Bild-Zeitung eingeleitet wurde und weswegen er frühzeitig starb – so wie Heinrich Böll – und vergessen wurde.
2 Die : Sie waren berüchtigt in der Nazizeit, wobei die bestehende politische Ordnung der BRD bis dahin (sechziger Jahre) nicht gewagt hat, sie anzuwenden.
3 In der Nacht zum 3. April 1968 explodierten in den Kaufhäusern Kaufhof und Schneider in Frankfurt am Main Brandsät-
ze. Am 4, April wurde der Journalist Andreas Baader, die Germanistikstudentin Gudrun Ensslin, der Kunststudent Thor-
ward Proll und der Schauspieler Horst Söhnlein unter dem Verdacht verhaftet, die Brände verursacht zu haben. Vom 17. – 31. Oktober 1968 wurde den Verhafteten vor der Vierten Strafkammer des Landgerichts Frankfurt … der Prozess gemacht. [Der Erste Staatsanwalt] forderte für alle vier Verhafteten je sechs Jahre Zuchthaus. Im Verlauf des Prozesses erklärten Gudrun Ensslin und Andreas Baader, sie hätten im Kaufhaus Schneider einen Brand verursachen wollen, «um gegen die Gleichgültigkeit der Gesellschaft gegenüber dem Morden in Vietnam zu protestieren». Am 31. Oktober verhängte das Ge-
richt über alle vier Verhafteten eine von je drei Jahren Zuchthaus. ANDREAS BAADER, GUDRUN ENSSLIN, THOR-
WALD PROLL UND HORST SÖHNLEIN: Vor einer solchen Justiz verteidigen wir uns nicht – Schlusswort im Kaufhaus-
brandprozess, Voltaire Flugschrift 27, I. Auflage, Edition Voltaire, Frankfurt am Main und Berlin, November 1968, Seite 3.
4 So wie Peter Brückner 1972 sagte, dass die offizielle Bezeichnung für Berufsverbot, Radikalenerlass sei. Sie wurde 1972 ausgesprochen und ausgerufen, sah das Verbot der Arbeit als auch die Entlassung von Staatsbeamten vor, die der linken Be-
wegung angehörten. Im September 1995 entschied der Europäische Gerichtshof, dass dieses Verbot gegen die Menschen-
rechte verstößt, und gab einer Lehrerin Recht, die dagegen geklagt hatte. Sie war die erste unter den drei Millionen fünf-
hunderttausend Deutschen, die sich einer ähnlichen Revision unterzogen hatten.