Materialien 1968
Weihnachtsgeschenk „Weißer Kreis“
Ab 1. Januar 1969 soll München „Weißer Kreis“ werden
Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, ist das „Weihnachtsgeschenk“ an die Münchner Mieter, vor allem an die in Altbauten, bereits beschlossen. Der zuständige Bundesausschuss hat jedenfalls bereits am 14. November gegen die Stimmen der SPD abgelehnt, die Wohnungsbewirtschaftung über den 1. Januar 1969 zu verlängern. Diesem Beschluss war übrigens auch ein Kabinettsbe-
schluss der Bayerischen Staatsregierung vorausgegangen, der die Bundesregierung zu ihrem Schritt nur ermutigt haben dürfte. Der Landtagsabgeordnete Karl Weishäupl (SPD und HBV-
Mitglied) hatte einen Antrag gestellt, dass München über den 31. Dezember hinaus weiterhin „schwarzer“ Kreis bleiben soll. Die CSU trat mit Ausnahme des Abgeordneten Rauter diesem Antrag entgegen, weil angeblich der Wohnungsfehlbedarf in München erheblich unter der Drei-
Prozent-Grenze liege (angeblich 1,1 Prozent). Nun hängt es vom Beschluss des Bundestages ab, ob der Empfehlung des Bundesausschusses für Kommunalpolitik gefolgt wird oder nicht. Es kann noch damit gerechnet werden, dass Maßnahmen getroffen werden, die den Übergang von der Wohnungsbewirtschaftung zum freien Markt „reibungsloser“ machen. An der Mehrheit des Bundestages für die Abschaffung des „schwarzen“ Kreises in München wird ansonsten kaum
mehr gezweifelt.
Die Situation in München
Beim städtischen Wohnungsamt sind zur Zeit 57.480 Wohnungssuchende, davon allein 33.886 in der Dringlichkeitsstufe I, vorgemerkt. Der monatliche Zugang an Neuanträgen mit Dringlichkeit beträgt rund 1.000. Das von der Stadt München errechnete Wohnungsdefizit liegt erheblich über der Drei-Prozent-Grenze, nämlich bei 5,9 Prozent oder 25.043 normalen Wohnungen. Unter Ein-
beziehung der rückkehrwilligen Evakuierten und der Berufspendler erhöht sich das Wohnungs-
defizit sogar auf 7,9 Prozent oder 33.822 Normalwohnungen.
Vom Abbau der „Wohnungszwangswirtschaft“ werden vor allem die Mieter in den ca. 100.000 Münchner Altbauwohnungen betroffen. Der Mietpreis der sogenannten grundsteuerbegünstigten Wohnungen mit zumeist langfristigen Mietverträgen ändert sich nicht. Bei Sozialwohnungen bleibt weiterhin die Kostenmiete ausschlaggebend. Hier ist zwar auch eine Kündigung möglich, aber der Vermieter kann bei Neubelegung wieder nur sozialberechtigte Mieter berücksichtigen.
Massenkündigungen und Mietpreiserhöhungen
Wenn München „weißer“ Kreis ist, brauchen die Vermieter von Altbauwohnungen für Kündigun-
gen keine Begründung angeben. Die Kündigungsfrist wird allerdings 12 Monate dauern. Mit Aus-
nahme des Verbots der Überschreitung einer sogenannten Mietwucher-Grenze kann von Seiten der Stadtverwaltung gegen die sicher kommende Mietpreissteigerung nichts unternommen werden. Die Wohnraumüberwachung durch die Stadt wird sich allein auf die Sozialwohnungen beschränken. Nur eine Forcierung des Wohnungsbaus wird die Situation mildern können. Die für 1969 hierfür geplanten drei Millionen Mark reichen dazu bei weitem nicht aus. Vorn Bund wurden 5.000 und vorn Land 1.000 Wohnungseinheiten auf einen Zeitraum von vier Jahren zugesichert. Aber auch die Stadt München wird ihre Wohnungsbaumittel auf 20 Millionen Mark erhöhen müssen, um den größten Härten des „weißen“ Kreises zu begegnen. Leidtragende der Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung werden wieder einmal die kleinen Leute sein, vor allem die Rentner. Die Möglichkeit einer stärkeren Inanspruchnahme des städtischen Wohnungsgeldes
wird nur ein schwacher Trost sein.
Der DGB protestiert
In einer eindrucksvollen Kundgebung hat der DGB am 27. November gemeinsam mit dem Münchner Mieterverein und dem SPD-Unterbezirk gegen die Haltung der Bundesregierung protestiert. „Mieter, euere Wohnung ist in Gefahr“ und „Mieterschutz oder Mietwucher“ waren
die Themen, zu denen der DGB-Kreisvorsitzende, Kollege Ludwig Koch, der Vorsitzende des Mietervereins Toni Spitz, der Vorsitzende der SPD-Stadtratsfraktion Hans Preißinger und
der Bundestagsabgeordnete Franz Marx sprachen.
Münchner Ausblick. Mitteilungen der Gewerkschaft Handel – Banken – Versicherungen HBV, Ov. München 12 vom Dezember 1968, 2.