Materialien 1968

Exempel statuiert

Es war ein irres Wohnen auf Nummer 33 im Hinterhof der Türkenstraße. Da ist man beim Allotria rein, an der Kegelbahn vorbei und neben der Werkstatt vom Schreiner Brandl ins Haus. Es waren praktisch zwei ineinander gehende Zimmer mit einem Ofen, aber ohne fließendes Wasser, in dem ich mit dem. „Boxer“, so nannte man ihn, auch ein Schüler aus der Geitlinger1 -Klasse an der Aka-demie wohnte.

Man musste sich schon gut verstehen, wenn man so hautnah aufeinander wohnte. Aber eigentlich „wohnte“ man eher nicht. Gleich nach der Akademie sind wir in die Kneipen, haben das Studenten-
essen bestellt, so um 2,50 oder 3,50. Zu dem einen ging man, wenn der ein Lüngerl hatte, zum an-
deren wegen seinen Spaghetti. Da hat man sich dann den Magen vollgeschlagen, weil es ja meist das Brot umsonst dazu gab. Brot mit Senf haben wir oft gegessen. Gern gegessen.

Morgens hat uns der Krach vom Schreiner Brandl geweckt. Unsere Vermieterin kam einmal die Woche und hat saubergemacht, einmal im Monat hat sie die Miete kassiert. Persönlich. So um die fünfzig Mark rum jeder von uns. 1961 hab’ ich den Alois Aschenbrenner kennen gelernt, der später auch eine Rolle in der Münchner Studentenbewegung spielen sollte.

Wir waren immer zusammen. Er ging oft mit mir in die Akademie, in die Geitlingerklasse, so dass alle dachten, er gehörte dazu. Dabei hat er gar nichts gemalt, sondern Gedichte geschrieben. Und eigentlich Jura studiert, was ich ihm aber ausgeredet habe. Er hat dann mit Germanistik angefangen.

Wir haben jedenfalls mitbekommen, das heißt, wir waren dabei, als es mit der Studentenbewegung so richtig losging. Hier in München an der Akademie.

Da hatte es zwar schon 1964 eine Aktion gegeben, die aber noch nicht so richtig politisch war: für die Studenten hatte es mittags in der Akademiemensa in der Baracke an der Türkenstraße Essen gegeben.

Das Essen wurde auf einem Karren von der Unimensa an der Veterinärstraße über die Ludwigstra-
ße zu uns geschoben. Plötzlich weigerten sich die Angestellten der Akademie, weiter das Essen her-
zukarren: das sei zu gefährlich, sagten sie, die Überquerung der Ludwigstraße. Und dass man da ja überfahren werden könne.

Ein Semester oder gar ein ganzes Jahr gab es für uns kein Mensaessen in der Baracke. Bis es der AStA selber in die Hand nahm: Studenten in Malerkitteln und farbverschmierten Schuhen holten das Mensaessen selber ab. Ein gefundenes Fressen für die Presse, schöne Fotos wurden da veröf-
fentlicht. Plötzlich war der Essenstransport doch wieder organisiert.

1964 hatte es auch die erste Demonstration gegen den Vietnamkrieg gegeben, 1966 war ich das erste Mal dabei. In München hatte es ja überhaupt die ersten Vietnamdemos gegeben, vor Berlin und vor Frankfurt. Mitveranstalter war da auch der SDS, der Sozialistische Deutsche Studenten-
bund in Organisationseinheit mit oft noch zwanzig anderen Gruppen wie der Kampagne für Ab-
rüstung und der Deutschen Friedensgesellschaft.

Wie alles anfing? Irgendwie allmählich. Da gab’s den Wieprsek, der sich jetzt Bärmichel nennt und der jahrelang mit dem Zirkuswagen durch die Lande gezogen ist, der hatte Verbindungen zu Frank Böckelmann von der „Subversiven Aktion“ hier in München. Da war der Dieter Kunzelmann dabei und irgendwo am Rande auch der Hans Werner Saß.

In Berlin gab es den Rabehl und den Dutschke, zu denen Kontakte bestanden. Die „Subversive Ak-
tion“ gab Anzeigen auf, um Mitglieder zu werben, um schlagkräftiger zu werden. Auf Plakaten in Stuttgart, Tübingen, Frankfurt, Berlin und Hamburg. Dann wurden sogenannte „Konzilien“ veran-
staltet, jedes in einer anderen Stadt. Das war eher eine Verhohnepiepelung der katholischen Ver-
anstaltungen.

Wir haben angefangen, Adorno und Horkheimer zu lesen. In meinem Meisterschüleratelier gab es Schulungen. Was haben wir theoretisiert und diskutiert und uns Ratschläge gegeben, was man un-
bedingt lesen müsse!

Im Juni 1967 haben wir die HSK gegründet, die Hochschulgruppe Sozialistischer Kunststudenten. Im gleichen Jahr sind wir geschlossen in den Münchner SDS eingetreten, um nicht in einem klei-
nen Zirkel zu bleiben, um wirksamer zu sein und die Angebote des SDS ausnutzen zu können, weil der ja bundesweit organisiert war. Wir hatten schnell kapiert, dass es sich hier um eine gesell-
schaftliche Sache handelte, die weit über Uni und Akademie hinausging. Von da an überstürzten sich die Ereignisse.

Da war zum Beispiel die Geschichte von der Rektoratsübergabe im November 1967.

Das gab’s überall, wenn der alte Rektor dem neuen die Amtskette überreichte, dann gab es eine Feier: die Professoren rauschten bei Beethovenmusik mit ihren Talaren herein und die Studenten durften von der Galerie aus zuschauen. Sie durften nicht unten sitzen.

Wir hatten nun beschlossen, diese Feier – der Spruch „Muff von tausend Jahren unter den Tala-
ren“ kam übrigens aus Hamburg von den Studenten – lächerlich zu machen. Wir hatten Konfetti, Luftschlangen und Spruchbänder dabei. Und wie die Professoren da so feierlich hereinschritten, haben wir das Konfetti runtergeschmissen: „Wir begrüßen den närrischen Elferrat der Universi-
tät!“ Die haben angefangen zu schwitzen da unten, der Goppel, die Dekane, die Rektoren und die Profs. Wir haben Seifenblasen heruntergelassen und Zwischenrufe gemacht.

Es war so etwas von peinlich für die. Sie waren darauf nicht gefasst und haben auch noch nicht die Polizei geholt. Damit werden wir allein fertig, haben sie wohl gedacht und haben nur die Ordner von der Univerwaltung geholt. Die sollten einzelne von uns herausgreifen so nach dem Rädelsfüh-
rerprinzip. Aber das ging nicht, wir haben denen auf die Finger gehaut. Ich musste an diesem Tag früher gehen, weil ich nach Memmingen wollte zu meiner Band. Ich hab’ mir ja damals das Studi-
um mit Musikmachen verdient, also Tanzmusik: von Rock n’Roll zu Dixieland und Tango, von den Beatles zu den Stones und zu Credence Clearwater. Alles, was heute unter „Oldies“ läuft, war da-
mals total neu.

Jeder von uns hat verschiedene Instrumente gespielt. Ich Rhythmusgitarre, Banjo, Akkordeon und Percussionsinstrumente. Außerdem war ich der Hauptsänger der Gruppe „Moonchaps“, auf all-
gäuerisch: Mau-Buam, also Mondknaben.

Das geht auf eine Geschichte zurück, die du bei uns in jedem Lesebuch findest, die vom Memmin-
ger „Mau“ und den Ratsherren: da stand zu der Zeit auf dem Marktplatz immer ein mit Wasser gefüllter Zuber, falls irgendwo ein Feuer ausbricht. Und als die betrunkenen Ratsherren zum Marktplatz kamen und den Mond sich so schön im Zuber spiegeln sahen, wollten sie ihn mit Net-
zen fangen.

Zu dieser Gruppe wollte ich also nach Memmingen und musste die Rektoratsfeier frühzeitig verlas-
sen. Draußen waren aber welche, die nur darauf gelauert hatten und mich sofort packten. Da war der Spörl dabei, der Verwaltungsdirektor der Uni, der 1934 eingetreten war und erst vor kurzem gestorben. Beim Nachruf hatte es geheißen „Studentenvater“ gestorben. Dass ich nicht lache! Der war wohl genauso gegen die Geschwister Scholl, wie er gegen uns Studenten war. „Studentenva-
ter!“ Der war also ungeheuer aggressiv und hat versucht, mich die Treppe hinunterzustoßen, wo dann schon die Politische Polizei, die Popo, wartete.

1967 gab es einen persischen Studenten, den Farazi. Der gehörte zur Opposition gegen den Schah Reza Pahlewi und dem hätte bei Abschiebung zurück in den Iran die Todesstrafe gedroht. Er hatte schon die Ausweisung bekommen und wir wollten das unbedingt verhindern.

Farazi war einer von denen, die beschlossen hatten, beim Schahbesuch Ende Mai 1967 in München zu bleiben, obwohl er wie die anderen persischen Studenten die Auflage bekommen hatte, Mün-
chen drei Tage zu verlassen. Viele hatten das nicht getan und bei unseren Schahdemos mitge-
macht. Wir mussten sie immer speziell schützen, weil der Savak, der persische Geheimdienst immer versucht hat, sie zu schnappen.

Von der ersten Minute an, wo der Schah da war, gab es Demos. Wenn er in die Oper ging, wenn er zur Pinakothek ging, immer gab es hinter den Polizeikordons Hunderte, die skandierten „Nieder mit dem Schah!“ Es war riesig. Nachher fuhr er nach Berlin und da gab’s dann die Geschichte mit dem erschossenen Studenten Benno Ohnesorg. Was dann ganz sicher zur Radikalisierung der Stu-
dentenbewegung beigetragen hat.

Den Protest gegen den Schah wollte man hier nicht: wir haben ja sein Öl bekommen und er hat uns unseren Dreck abgenommen.

Kurz vor Weihnachten haben wir in einem Teach-In einen von der Popo entdeckt, in Zivil. Hart-
mann hieß der. Wir schleppten ihn zum Rektor: „Was tut der bei uns? Der hat hier nichts verlo-
ren!“

Damals war die Uni ja noch so etwas wie exterritoriales Gebiet, wo die Polizei eigentlich nichts zu suchen hatte, außer auf ausdrücklichen Wunsch des Rektors.

Er sei vom Polizeipräsidenten Schreiber persönlich geschickt worden, hat der Hartmann gesagt. Das hat der Schreiber auch gar nicht geleugnet, im Gegenteil, er hat gesagt, er schicke Polizisten, wann es ihm richtig erscheine.

Daraufhin haben wir die Polizistenaktion gemacht, 1968. Sechs SDS-Mitglieder, ich darunter, haben sich bei einem Kostümverleih Polizeiuniformen geliehen, um das Thema „Polizei an der Uni“ zur Diskussion zu stellen.

Wir hatten uns die Vorlesung von Professor Helmut Kuhn ausgesucht, weil der eben in „Christ und Welt“ einen diskriminierenden Artikel gegen die Studentenbewegung verfasst hatte.

Er wollte also gerade seine Vorlesung beginnen, da kommen wir sechs „Polizisten“ herein und stel-
len uns vor ihm auf. „Was wollen Sie? Wer hat sie geschickt?“ – „Wir sind hier, um sie vor links-
radikalen Elementen zu schützen“! Das hat er irgendwie dann doch nicht geglaubt und hat nach dem Hausmeister rufen lassen. Gekommen ist dann wieder dieser Spörl.

Wir waren aber schon weiter, quer durch die Uni, zum Hörsaal, wo gerade der Professor Maurach las, Staatsrechtler mit Nazivergangenheit. „Die gehören nicht hierher!“ ist der Spörl uns schnau-
fend nachgerannt, „das sind keine echten Polizisten!“

Und der Maurach hat ganz cool zu uns gesagt: „Ich zähle bis drei, und wenn Sie bis dahin nicht weg sind, werden meine Studenten das erledigen!“

In der Vorlesung saßen keine Freunde von uns, das war ein echtes Rechtskartell! Er hat bis drei ge-
zählt, wir sind stehen geblieben und seine Studenten haben sich auf uns gestürzt, uns angegriffen und hinausgeschmissen. Teilweise haben sie auch geprügelt. Da war dann der Schattenfroh schon da, der Syndikus und hat uns im Sekretariat festgehalten. Bis die Polizei da war, blieben wir einge-
sperrt und wurden fotografiert. Wir waren nur fünf, weil einer von uns gerade auf dem Klo war. Ich bin der mit der Polizeimütze ganz rechts.

Ziemlich schnell kam dann eine Anzeige wegen unbefugten Uniformtragens und schweren Haus-
friedensbruchs. Im Mai 1967 hatten wir einen Sitzstreik gegen den Vietnamkrieg gemacht zwischen Prinz-Carl-Palais und US-Konsulat. Da hatten wir 5 oder 10 Minuten den Verkehr aufgehalten, das war dann schwerer Landfriedensbruch. Es kamen noch ein paar Hausfriedensbrüche und Wider-
stände gegen die Staatsgewalt dazu, so dass ich neun Monate bekam. Ohne Bewährung. Mit Hand-
schellen haben sie mich aus dem Gerichtssaal nach Stadelheim ins Gefängnis gebracht. Ich war eine Woche drin.

Das war U-Haft bis zum nächsten Prozess, zur Berufung. Aber eigentlich gibt’s U-Haft nur bei Flucht- und Verdunklungsgefahr. Verdunkelung war nicht, weil wir ja alles zugegeben und dabei politisch argumentiert hatten, Fluchtgefahr auch nicht, weil wir ja einen festen Wohnsitz hatten.

Aber der Richter hat einen Trick angewendet. Er behauptete, ich sei nicht in der Türkenstraße ge-
meldet, also kein fester Wohnsitz, also U-Haft. Wahrscheinlich hatte er einen Hinweis von oben bekommen: Exempel statuieren!

Es war nämlich die Zeit nach Ostern 1968, als es in München die beiden Toten beim Buchgewerbe-
haus gegeben hatte. Da wollten die hart durchgreifen. Haben einfach Dinge erfunden, die ihnen in den Kram passten.

Eine Woche hat es gedauert, bis die Genossen das Gegenteil bewiesen hatten und ich rauskam.

Eigentlich hatte ich den Rolf Pohle oder den Hark Bohm als Verteidiger gewollt, aber beide wurden sie abgelehnt. Ich bekam einen Pflichtverteidiger, den Wagner, aber verteidigt habe ich mich ei-
gentlich selber. Der Wagner saß inzwischen auf der Pressebank.

Der Prozess gegen den Aschenbrenner und mich war einer der frühesten. Er war wie ich eine Wo-
che drin. Aber er war in einem anderen Stock, dass wir ja nicht zusammenkamen. Auch nicht beim Hofgang! Wir waren den ganzen Tag jeder allein in seiner Zelle.

Nur beim Kirchgang, wo man hingeht, nicht der Pfaffen wegen, sondern weil man dort Tabak tauschen konnte und am Schluss noch ein Kreuzwortheftel vom Pfarrer bekam, da sah man sich kurz. Beim Hofgang gab’s Zweiergruppen und da habe ich mir einmal erlaubt, andersherum zu gehen. Einfach so. Einfach, um es einmal auszuprobieren. „Können Sie denn nicht so gehen wie die anderen?“ – „Wieso, ist die Richtung denn vorgeschrieben?“ Oder wenn man gepfiffen hat, das konnten sie überhaupt nicht leiden. „Hören Sie gefälligst mit dem Pfeifen auf!“ – „Wieso denn?“ – „Weil’s mir nicht passt!“

Im Juli war dann die Berufung, ich habe sieben Monate bekommen. Mit Bewährung. Der Konrad Kittl war mein Anwalt und ich bin in die Berufungsverhandlung gegangen, die Zahnbürste gut sichtbar in der Hemdentasche. Falls sie mich wieder einlochen wollten.

Dann kam die Amnestie. Alle Straftaten unter einem Jahr fielen darunter, so dass wir jetzt auch nicht mehr vorbestraft sind. Aber die Amnestie war kein Geschenk an die Studenten. Tausende von Polizisten waren angezeigt wegen Beleidigung, Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Diese Prozesse alle hätten den Justizapparat in ganz Deutschland lahmgelegt. Das war der Grund für die Amnestie.

Für mich war der Knast interessant. Ich wollte immer schon einmal ein Gefängnis von innen se-
hen. Und eine Woche hat gerade gereicht, finde ich.

Ostern 1968 ging es dann richtig los: am Gründonnerstag war in Berlin das Attentat auf Dutschke verübt worden. Man hat sich dann schnell verständigt und abends war Treffpunkt beim Hertie-Hochhaus an der Münchener Freiheit. Man hat beschlossen – und das kam aus Berlin – jetzt geht’s gegen Springer! Die Auslieferung der Bildzeitung sollte verhindert werden.

Unser Demonstrationszug bewegte sich also zum Buchgewerbehaus zwischen Barer- und Schel-
lingstraße. Wir wussten, dass dort die „Bild“ gedruckt und ausgeliefert wurde. Wir sind dann in den Hof von der Barerstraße her, wo die LKW’s ein- und ausfuhren. Wir sind in die Hallen, wo die Arbeiter waren und haben mit denen diskutiert, während die Redaktionen fluchtartig verlassen worden waren. Was wir dort noch gefunden haben, haben wir durchs Fenster in den Hof geworfen. Wie sie heruntersegelten, die Blätter und Fotos!

Die Polizei hat sich an dem Tag ziemlich zurückgehalten und das war gut so. Wir waren nämlich geladen, weil wir am Anfang nicht wussten, ob Dutschke tot war. Die Polizei war vielleicht 200 Meter weg und sie haben uns zwei Stunden richtig austoben lassen.

Erst ab Karfreitag gingen sie richtig ran. Da kam auch keiner mehr in den Hof, da fand das Remmi-
demmi draußen statt. Wir bauten Barrikaden und sie kamen mit ihren Wasserwerfern. Das ging bis Ostermontag. An dem Tag hat’s die beiden Toten gegeben: Rüdiger Schreck, der war Student und Klaus Frings, Fotoreporter von AP. Bei beiden hat die Polizei behauptet, die Demonstranten seien schuld, sie hätten mit Holzbohlen und Steinen geworfen. Das ist zumindest bei Schreck un-
möglich: da hätte eine Holzbohle schon 25 Meter durch die Luft segeln müssen und das schafft keiner. Die Polizei hat sich geweigert, ihre Filme herauszurücken. Selbst der Bruder von Frings bekam sie nicht zu sehen und der Wallraff auch nicht, der sich da einschaltete.

Bei uns war das wiederum ein Auslöser für die Diskussion: Gewalt gegen Sachen, ja, Gewalt gegen Personen, nein? Das war etwas ganz und gar Unfruchtbares. Weil die Relation nicht stimmte. Die Bundesregierung hatte den Vietnamkrieg jährlich mit vielen Millionen unterstützt, für Napalm und Bomben, gegen Frauen und Kinder, was war dagegen die zerbrochene Fensterscheibe einer Bank? Lächerlich, überhaupt nicht zu vergleichen!

Dann die Prügelorgien der Polizei, die es seit den Schwabinger Krawallen 1962 regelmäßig gab und wo richtig Blut floss. Aber die Filme darüber gibt weder die Polizei noch der BR heraus.

Bei der Polizei wurde dann der Schreiber Präsident und den Umbach haben sie als Polizeipsycho-
logen eingestellt. 1968 wurde der Sieber sein Nachfolger, der früher im SDS gewesen war. Schon als er den Job hatte, ist er noch einmal zum SDS gegangen. Da haben sie ihn aber hinausgeworfen. Klar. Das war die Zeit, wo aus Hass und Verbitterung vereinzelt Gewaltbereitschaft kam. Und weil die Steine an den Wasserwerfern wie Bonbons abprallten, da warf man eben auch einmal einen „Mollie“. Da gab es ja Bücher, wie die herzustellen waren, kein Problem also, die Molotowcocktails.

Wenn man den getränkten Lappen, der heraushing, angezündet und die Flasche geworfen hatte, entzündete sich das Gemisch beim Zusammentreffen mit Sauerstoff sofort. Das fängt brutal das Brennen an. Die Stimmung war doch so: selbst die, die nicht selber zu Gewalt bereit waren, hätten Biertragl mit Mollies in der Wohnung untergestellt oder später RAF-Leute auf der Flucht daheim versteckt.

Weil es ja nur zwei Fronten gab: die Polizei und die Apo. Es gab ein paar Apo-Treffpunkte, in oder nicht weit von der Türkenstraße weg: Der kleine Bungalow, wo der Faßbinder immer an der Juke-
box stand; der Cafe-Bücher-Laden von Trikont in der Schellingstraße, wo wir oft auf dem Gehsteig unsere Plakate malten; das Libresso, um in Ruhe zu lesen, auch wenn man nachher kein Buch kaufte.

Dort durfte im Winter auch der Mischa hinein, der bekannte Obdachlose mit dem roten Schal, der uns immer auf den Demos mit der Fahne vorauszog. Er war auch dabei bei der Warner-Kaserne, wo wir die G.I.’s zum Desertieren aufgefordert haben. Er trug immer die Fahne. Man durfte sie ihm nicht nehmen.

Oder das Stop In für abends, weniger den Simpl, weil man da immer die Mäntel an der Garderobe abgeben musste, sonst schmiss einen die Toni raus.

Oder das Cafe Minon, Ecke Nordend-, Georgenstraße, wo wir mit der Wirtin zusammen einen Ver-
such gestartet hatten: billiges Essen für die Apo. Das kostete dann ein oder zwei Mark und war doch ein richtiger Teller voll. Wir haben selber eingekauft, manchmal auch selber gekocht. Das Billigste war ein Brot mit Griebenschmalz und Salz für 20 oder 30 Pfennig. Die hat man in eine Schale gegeben. Manche haben aber auch nichts gegeben, weil sie nichts hatten. Andere haben nur getrunken und sind raus gegangen, ohne zu zahlen. Andere haben sogar noch etwas mitgehen las-
sen. Er ist gescheitert, dieser Versuch, aber es war trotzdem eine tolle Zeit!

Dann diese wichtige Sitzung im Lohengrin, als sich der Münchner SDS spaltete. Das muss 1968 ge-
wesen sein: wir haben die Internationale gesungen, wir, das war der Aktionistenflügel mit Böckel-
mann und Subversiver Aktion und die, die später DKP wurden, sind beleidigt rausgegangen.

Wirklich, die wichtigsten Dinge passierten damals in Gruppen und in Kneipen.

Heinz Koderer


Hella Schlumberger, Türkenstraße. Vorstadt und Hinterhof. Eine Chronik erzählt, München 1998, 396 ff.

:::

1 Professor Ernst Geitlinger (1895 – 1972).

Überraschung

Jahr: 1968
Bereich: StudentInnen

Referenzen