Flusslandschaft 1946

Bürgerrechte

Am 9. Februar beauftragt die Militärregierung Wilhelm Hoegner mit der Bildung eines Vorberei-
tenden Verfassungsausschusses. In München konstituiert sich am 15. Juli die bayrische Verfas-
sunggebende Landesversammlung (CSU 109, SPD 51, KPD 9, WAV 8, LDP/FDP 3 Sitze). Sie wählt Michael Horlacher zum Präsidenten (bis 30. Dezember 1946) und bestimmt aus ihrer Mitte ein-
undzwanzig Mitglieder (davon zwölf CSU-Abgeordnete) für den Verfassungsausschuss. Die erste Sitzung der CSU-Fraktion in der Verfassunggebenden Landesversammlung findet im Münchner Rathaus statt. Die CSU-Abgeordneten wählen Alois Hundhammer zum Fraktionsvorsitzenden. Kommunistische Delegierte erinnern sich an unverkrampfte und beinahe freundschaftliche Bera-
tungen.1 Der Verfassungsentwurf stößt bei kritisch eingestellten Intellektuellen auf Einwände, die allerdings in der Bevölkerung kein Echo hervorrufen.2

Am 1. Dezember finden Landtagswahl und Volksentscheid statt. Im Volksentscheid stimmen 70,6 Prozent der Wahlberechtigten der neuen Bayerischen Verfassung zu, die am 8. Dezember in Kraft tritt. In ihr steht unter anderem: „Arbeit ist die Quelle des Volkswohlstandes.“ (Artikel 166), „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl.“ (Art. 151), „Eigentum verpflichtet ge-
genüber der Gesamtheit.“ (Art. 158), „Der Zusammenschluss von Unternehmungen zum Zwecke der Zusammenballung wirtschaftlicher Macht und Monopolbildung ist unzulässig.“ (Art. 156), „Das Geld- und Kreditwesen dient der Werteschaffung und der Befriedigung der Bedürfnisse aller Be-
wohner.“ (Art. 157), „Für die Allgemeinheit lebenswichtige Produktionsmittel, Großbanken und Versicherungsunternehmen können in Gemeineigentum übergeführt werden, wenn die Rücksicht auf die Gesamtheit es erfordert.“ (Art. 160), „Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.“ (Art. 161), „Der Erwerb von land- und forstwirtschaftlich genutztem Boden soll von einem Nachweis der Eignung für sachgemäße Bewirtschaftung abhängig gemacht werden; er darf nicht lediglich der Kapitalanlage dienen.“ (Art. 163), „Staat und Gemeinde sind berechtigt und ver-
pflichtet, der Allgemeinheit die Zugänge zu Bergen, Seen, Flüssen und sonstigen landschaftlichen Schönheiten freizuhalten und allenfalls durch Einschränkung des Eigentumsrechts freizumachen.“ (Art. 141) … 74 Jahre später ist jeder Frau und jedem Mann klar, dass Verfassungsgebote alles andere sind als die Verfassungswirklichkeit.

Die CSU wird bei der Landtagswahl mit bayernweit 52,3 Prozent die stärkste Partei und erhält 104 der 180 Sitze, die SPD erreicht 28,6 Prozent der Stimmen. In München erringt die CSU 34 Prozent, die SPD 36 Prozent, die KPD 10,3 Prozent.

(zuletzt geändert am 29.12.2020)


1 Siehe „Was in der Verfassung steht, hört sich heute an wie ein Märchen“ von Kuni Schumann-Schwab und Richard Scheringer.

2 Siehe „Eine Führung durch die Bayerische Verfassung“.