Materialien 1969

Der Besitzer des Café Trikont ...

Alois A., war selbst ein sehr engagierter Mann in Sachen Kampf gegen Unterdrückung. Unvergessen, wie er mit seinen fünf Mitkämpfern in eine Juravorlesung ins Audimax kam, verkleidet in Polizeiuniform, um gegen die Unileitung zu demonstrieren, die damals verstärkt ihre reaktionäre Auffassung von „Freiheit der Lehre und Wissenschaft“ gegen diskussionsfreudige StudentInnen mit Hilfe der Polizei durchsetzte. Alois A. war für mich ein Beispiel für den Übergang von den Sechziger in die Siebziger Jahre. Als Waffenlieferant der Münchner Tupamaros, einer antiautoritären Vorstufe zur RAF, wanderte er eine Zeitlang in den Knast und übermittelte von dort seine Botschaft, die „Genossen sollen die Knarre niederlegen“.

Ihm wie vielen anderen war der Kampf gegen die verhasste Gesellschaft, der die Sechziger Jahre geprägt hatte, zu hart und zu wenig erfolgversprechend geworden, so dass andere Wege gesucht werden mussten. Ein Weg war der, sich eine eigene Gesellschaftsform zu schaffen, wenn die Gesellschaft selbst sich gegen Änderungsversuche als immun erwies, allenfalls mit ein paar sozialdemokratischen Reformen reagierte. Auf diese Weise entstand das, was man die Alternativkultur nannte. Alois A. wurde damals vom Revolutionär zum Manager der Undergroundband „Amon Düül“.

Ein Zentrum der Unordnung und des Chaos war Anfang der Siebziger Jahre in der Ungererstraße in der Nähe des heutigen Mittleren Ringes. In einer Baracke, deren ursprüngliche Zweckbestimmung mir nicht bekannt ist, spielte die damalige Münchner Kultband Amon Düül. Die Wände buntbemalt, am Boden Matratzen, in der Mitte ein Zahnarztstuhl – jeden Abend der begehrteste Zuschauerplatz. Schon lange, bevor die Musik begann, war ein Ambiente geschaffen, das neuzeitliche Bands nur mit Hilfe teurer Nebelwerfer herstellen können: Die gesamte Baracke war in einen dichten Nebel getaucht, der so intensiv nach den süßlichen Erzeugnissen Marokkos, des Libanon oder (damals am begehrtesten) Afghanistans roch, dass selbst der abstinenteste Besucher soviel THC ins Blut bekam, dass dies nach heutigem Behördenmaßstab für jahrelangen Führerscheinentzug ausreichen dürfte. Als die ohrenbetäubend laute Musik begann, dauerte es nicht lange, bis die Anwesenden auf ihren Matratzen und Stühlen unter heftigem Schwingen ihrer damals bei beiden Geschlechtern sehr langen Haaren in tranceähnliche Zustände gerieten. Die Protagonisten der Band – in Erinnerung habe ich heute nur noch den exotischen Namen der Sängerin Renate Knaup-Krötenschwanz – sorgten dafür, dass die Vorlesungen am nächsten Morgen gestrichen werden mussten, bis sich wieder ein einigermaßen klarer Kopf einstellte. Bis heute bleibt mir ein Rätsel, warum seinerzeit die Baracke ein weitgehend polizeifreier Raum blieb, vielleicht waren damals zu viele Ordnungshüter zur Bekämpfung der politischen Kämpfer freigestellt und Nebel galt in ihren Kreisen als unpolitisch. Die Baracke ist längst abgerissen, heute steht an der Stelle ein Prachtbau der Sparkasse, der eindrucksvoll demonstriert, dass das Bankengewerbe krisenfest ist.

Jürgen Arnold


Stadtbuch München 1996/97, München 1996, 91 ff.

Überraschung

Jahr: 1969
Bereich: Kinder