Materialien 1970

Mit Machenschaften eines Kapitalistenknechtes

Peter Brügge über linken Kommerz

Auch linksaussen klingelt weihnachtlich die Ladenkasse. Den Feinden des Kapitalismus bleibt, wenn sie nicht ans Fließband oder darben wollen, keine Wahl, als teilzuhaben am kapitalistischen Kommerz. Und dann drückt die unverhoffte Dynamik von Gewinnmargen und Handelsspannen sie mächtig in die Polster des Zuges, dessen Richtung sie zu ändern hofften.

So erfuhr eine gewiss nicht gewinnlüsterne linke Näherin namens Irmgard Johannson in Berlin-Schöneberg von unmutigen Genossen, dass ausgerechnet sie in ihrer Boutique „Appleroyce“ die Kunstgewerbe-Pötte teurer als das KaDeWe verkauft. Die Genossin hatte schlichte 25 Prozent auf-
geschlagen und dabei ohnehin schon fast auf einen Gewinn verzichtet. Der kapitalistische Kaufpa-
last aber begnügte sich beim selben Artikel anscheinend schon mit weniger als zehn Prozent.

Schlichte Lernprozesse sind das. Und solche gilt es täglich zu verarbeiten, wenn Angehörige der äußersten Linken beschließen zu eröffnen, wovon ein gegen kapitalistische Ausbeutung, Leistungs-
zwänge, sexuelle Unterdrückung entschiedener Mensch noch am ehesten zehren kann: ein Läd-
chen.

Berliner Linkspostillen sind voll von Inseraten solcher wirtschaftlicher Nährzellen, die rot anmu-
ten, indem sie sich, wie etwa „Evas Postershop“ in Friedenau, als Bezugsquelle für „Räucherstäb-
chen, Krimskrams, Scheißdreck und viel mehr“ bezeichnen. Der Anzeigen-Akquisiteur eines sol-
chen linken Werbeträgers nennt derlei werbende Kleinstunternehmer gnadenlos „scheißkapitali-
stisch“. Gern schilt ein linker Geschäftsmann den anderen Linken so.

Was Irmgard Johannson betrifft, so erfuhr sie in ihrer Boutique „Appleroyce“ den Schrumpfungs-
prozess, dem selbst lauterste marxistische Vorsätze in der kapitalen Wirklichkeit ausgesetzt sind. Sie hatte im Sommer das triste Parterre einer Mietskaserne gemietet, um einen Trödel mit alten Kleidern zu gründen. Etwas, worin sie mit Recht eine Bastion gegen den Aberwitz der kapitalisti-
schen Konsumgesellschaft erkennen wollte.

Studenten und andere Denkende mit schmaler Kasse sollten überflüssige Textilien bringen und sich aus anderen überflüssigen was Passenderes aussuchen. Die Antikapitalistin Irmgard wollte dies gegen zehn Prozent Vermittlergebühr ermöglichen. Ihr selber, der kinderlosen Ehefrau eines sozialistisch denkenden Soziologen, schien der Laden ferner geeignet, sich in jeder Hinsicht zu emanzipieren.

Ihrer Kundschaft gedachte sie einen schummerigen linken Treff, Arbeiterkindern aus dem Viertel eine Spielstube anzubieten. Aber die Arbeiter, sagt sie, blieben ihr gegenüber „unheimlich miss-
trauisch“.

Nicht einmal Kinderreiche wollten ihren Nachwuchs dieser smarten Unbekannten anvertrauen,
die in einer so prosperierenden Zeit mit muffigen Klamotten hausiert. „Das Wort links“, sagt Frau Johannson, „darf bei den Arbeitern gar nicht fallen.“

Hingegen hockten bald allerlei Verbraucher von Shit, matte „Angeturnte“ und „Ausgeflippte“ in der Boutique herum, nagten an der dünnen Tageskasse mit und klauten sogar hier – wie sonst nur in den Warenhäusern des Großkapitals. Es betragen aber die Kosten für Miete und Heizung allein 200 Mark im Monat. Folglich ging Irmgard, die selber Regale baute, sich selber mit dem Auto ihres Ehemanns belieferte und ihre in linken Kreisen geschätzten Rembrandt-Mützen und Umhänge-
taschen aus Stoffresten nähte, mit ihrer redlichen linken Kleinsthandelsspanne einen Herbst lang „unheimlich baden“.

Unter 40 Prozent Aufschlag, garantiert sie jetzt, kann sie’s nicht mehr tun. Die Gammeltypen schaffte sie sich allmählich vom Hals. Und auch Kinder kommen immer seltener. So gewinnt sie Zeit, Ihre modischen Talente stärker zur Wirkung zu bringen und im Dämmerlicht der Boutique mit Leuten zu plaudern, die sich im Stil des großen Protests zu kleiden wünschen: schäbig, wie’s schick ist. Die wild nach hochbetagten Fummeln aus Pelz verlangen und sie damit auch immer teurer machen.

Schon muss eine Klamotten-Expertin wie Irmgard sich vor manchem Lieferanten in acht nehmen, denn ein abgebrühter Groß- und Zwischenhandel scheut nicht den kriminellen Rückgriff auf die Kleidersammlungen karitativer Organisationen.

Die kleine Lady „Appleroyce“, der Unschuld ihrer antikapitalistischen Vorsätze beraubt, erblickt längst in der eigenen Befreiung das einzig mögliche Ziel eines eigenen Ladens. Damit befindet sie sich in stillschweigender Solidarität mit Dutzenden anderer Boutique-Inhaberinnen, die aus dieser Art Privatwirtschaft, wenn’s hochkommt, etwas Nadelgeld gegen männliche Bevormundung oder einen Notgroschen für sich und die Kinder erwirtschaften.

Jedem, der sie deswegen skeptisch anblickt, können sie aus ihrer Lebenserfahrung etwas verraten, was auch den radikalsten Einzelhändler beugt: Im Kapitalismus sind die Geschäfte kapitalistisch.

Einige linke Kommunen handelten von Anbeginn nach diesem kommerziellen Motiv. Innerhalb einer bis auf weiteres kapitalistischen Leistungsgesellschaft gedachten sie sich davon zu nähren, dass sie den anderen so aufreizend anders erscheinen. Sich selber und Ihren unabhängigen Le-
bensstil. In den Massenmedien so lukrativ wie möglich zu vermarkten galt ihnen als antikapita-
listisches Raffinement.

Ihr Idol ist weniger Che Guevara als Andy Warhol, dieser König Midas des amerikanischen Pop-
Kults. Er, glaubten sie, liefere den Zündschlüssel für eine Art kleinrevolutionäres Perpetuum mobile: man prosperiert durch vorbildhaftes Gammeln; die Leistung besteht in der Verweigerung von Leistung; der revolutionäre Multiplikations-Effekt entwickelt sich aus dem far niente weniger Auserwählter.

Kein Zufall, dass der von Berlin nach Schwabing emigrierte Kommunarde Rainer Langhans eines Tages bei dem konservativen Münchner Illustrierten-Agenten und Springer-Verehrer Josef von Ferenczy vorsprach, um mit seiner Hilfe rechtzeitig etwas Underground ins kommende Geschäft mit dem Kassettenfernsehen einzubringen.

6.000 Mark Vorschuss vom selben Ferenczy hatten auch die vorübergehend männerfeindlichen Schönheiten der Schwabinger Weiber-Kommune genommen und sich dabei kurzfristig an dem Hirngespinst erwärmt, mit einem aus ihren Freiheitserfahrungen bereiteten Weltbestseller den Kapitalismus gewinnbringend zu treffen.

Das mittlerweile von der „Jasmin“-Autorin Ann Thönnissen fortgeschriebene literarische Doku-
ment will Ferenczy im Frühjahr ’71 endlich auf den Markt werfen. Die ehemaligen linken Amazo-
nen Schwabings haben inzwischen längst sowohl die Beziehungen zum Mann wie zum Kapital wiederaufgenommen und fühlen sich dem unvollendeten Werk sehr fremd.

Der ehemalige Revolutionär Langhans wiederum widmete sich lieber doch voll der Aufgabe, die damals noch auf ihn fixierte Kommunardin Uschi Obermeier zum höchstdotierten Mannequin der Münchner Subkultur hinaufzumanagen. Beide lebten mit zwei Dutzend gutaussehenden Mitstrei-
tern gegen kapitalistischen Konsum und kapitalistische Leistungsidiotie in einer Schwabinger Wohngemeinschaft, die sich selber den exotischen Namen „High-Fish-Kommune“ erwählte.

Wäre die Kommunardin Uschi auf alle Photoangebote kapitalistischer Hochglanz-Magazine ein-
gegangen, hätte sich durch sie allein der Lebensstil so einer luxurierenden Großkommune sichern lassen. Der tonangebende Kommunarde Thomas Althoff beobachtete freilich mit Bitterkeit, wie der Manager Langhans und sein Modell von 1.000 Mark Gage pro Photo-Tag nur einen Bruchteil der allgemeinen Kasse zuführten und sich abseits von den weniger marktgängigen Genossen ihr eige-
nes Schnitzel brieten.

Vorübergehend verfügten die „High-Fish-Kommunarden“ über sieben Kraftwagen, ein Schwa-
binger Mietshaus mit 17 sowie das ehemalige Schloss Kronwinkel mit 25 Zimmern und hatten im Monat 4.000 Mark für Miete zu zahlen. In guten Monaten flossen freilich 15.000 Mark ohne Plage herein. Vor allem dadurch, dass auch noch ein zweites florierendes Links-Modell namens Mascha Elmraben unter ihnen lebte.

Dazu kamen zwei Photographen, zwei junge Filmer und einige musisch begabte junge Lebens-
künstler – ein Potential, das der zum Impressario begabte Kunststudent Thomas Althoff gern für eine universale Pop-Produktion genutzt hätte. Er und seine Freunde dachten etwa an den regel-
mäßigen Ausstoß von Photoserien und Posters, politischen Comics, Bildbänden, Underground-
Filmen.

Allein, die Sache zerschlug sich ohne zwingenden Grund: Trotz der vielen Räume, Potenzen und Ideen kam dank eines pausenlosen Besucherstromes herumgammelnder Sinnesverwandter die erforderliche Arbeitsatmosphäre nicht zustande. Wollte einer Gäste und Gaffer hinausbefördern, nannten andere ihn sogleich autoritär.

Bei den Dreharbeiten für einen eigenen Pornofilm entdeckten die sensiblen Kommunarden überdies, dass Beischlaf unter Scheinwerfern ihnen wenig lag; ein geschäftliches Manko.

Manchmal zogen die „High-Fish-Kommunarden“ ihre exotischsten Kostüme an und zeigten
sich der neiderfüllten Münchner Lebewelt unglaublich solidarisch: schöne Rebellen beiderlei Geschlechts, deren allseits neiderweckende Promiskuität in Wahrheit eine Vortäuschung für den Illustrierten-Markt war.

Mit der Ebbe in der Kasse breitete sich umgehend Existenzangst aus, der die politischen Über-
zeugungen nicht standhielten: Unter links begriff ohnehin jeder von ihnen anderes, und die meisten wollten als Revolution nichts weiter als sich ein zwangloses, lustiges Leben machen.
Links vallera.

Die „High-Fish-Kommune“ starb an der Unfähigkeit, sich kollektiv eine wirtschaftliche Grundlage zu schaffen. Einzeln hingegen kommen die ehemaligen Kommunarden mit Selbstdarstellung immer noch gut voran. Der kapitalistische Markt hat sie so nötig wie sie ihn.

Thomas Althoff, der Kommune-Gründer, will nun beispielsweise heiraten und Memoiren schrei-
ben. Mit dem Agenten Ferenczy hat er sich schon geeinigt.

So ist das ja leider: Habit und Haltung des Protestes sind kaum stilisiert, da werden sie gierig eingesogen in kapitalistische Moden und Märkte. Der käuflichen Beunruhigung durch Poster mit dem Bild von „Che“, von einem in Unterhosen für Münchens Olympiade posierenden Fritz Teufel oder dem Panorama zwischen Uschis Beinen oder Maschas Brüsten setzen sich nun bereits CSU-
Wähler in der Kellerbar ihrer Bauspareigenheime aus.

Ein mehr und mehr sozialistisch denkender junger Münchner Barbesitzer und Unternehmer namens Günter Albert lenkte deshalb mit Hilfe eines vorzüglichen kapitalistischen Vertriebs-
systems in den letzten zwei Jahren ein gewaltiges Sortiment solcher Plakate bis in die Fleischer-
läden und Blumenhandlungen der Provinz. Karl Marx, SDS-Parolen, Mick Jagger und Mao, Phallisches und Orgiastisches – seine Firma „Objects & Posters“ vermochte nahezu alles mit 500 oder mehr Prozent Aufschlag abzusetzen. Sei es nun zur Dekoration von Schülerbuden oder von kleinbürgerlichen Toiletten, in denen der Pop-Rebell Frank Zappa, nackt auf dem Aborte sitzend, jetzt auch schon als zünftige, unpolitische Tapete dienen darf.

Der Unternehmer Albert, dem der Kapitalismus im Verlauf seines blühenden Großhandels frag-
würdiger wurde, sagt, die Firma habe dieses Jahr drei Millionen umgesetzt.

Dieser antikapitalistisch erwachende Boss lebt in einer Wohngemeinschaft mit Angehörigen der ehemaligen Frauen-Kommune und möchte wohl auch dieses politischen Lebensklimas wegen das leichtverdiente Geld nicht nur in allerlei politische Töpfchen oder über mittellose Ausgeflippte träufeln. Er fand, es sei Zeit, aus „Objects & Posters“ einen mächtigen linken Pop-Konzern zu entwickeln. So verlieh er seinem agilsten Vertreter Prokura, bat ihn in die Wohngemeinschaft und wollte, dass er den verlotterten Poster-Betrieb auf Trab bringe.

Nette, auch politisch ansprechende Näherinnen wurden angenommen und durften nach ihrem Gusto in Stoffen schnippeln und irgendwelche Mode herstellen, die Albert in vorerst drei eigenen Münchner Boutiquen („Stern von Afrika“, „Shirokko“ und „Joint“) selbstverständlich mit Gewinn verkaufen wollte.

Auch Poster gibt es, handliche textile Nachahmungen des männlichen Geschlechtsteiles, sandge-
füllt, in vielen modischen Farben (Preis: 6,50 Mark) …

Leider hielten viele der hingewurstelten Gewänder kaum eine Anprobe aus und erwiesen sich als Ladenhüter. Und bei dem Versuch, den Schlendrian im Unternehmen auszumerzen, geriet der neue Prokurist in spektakuläre Schwierigkeiten: Genau besehen in ein innenpolitisches Handge-
menge mit der Gefährtin des Prinzipals, einer treibenden Kraft aus der vergangenen Frauen-Kommune, mit der radikalen Adelheid Schuster-Opfermann. Das stand der neue Mann nicht durch.

Adelheid, im politischen Pamphletismus fulminant geübt, rief unter anderem die zwanzigköpfige, verschreckte Belegschaft zum Warnstreik gegen ihn auf. Obwohl sie bis dahin auch mit ihm ge-
wohnt hatte, warf sie ihm jetzt öffentlich vor, über „einen Kapitalistenwagen für 27.000 Mark“ zu verfügen sowie über Bargeld und Effekten im Werte von 70.000 Mark.

„Mit den ausbeuterischsten Machenschaften eines Kapitalistenknechtes“ habe er die Arbeitsmoral untergraben, sich „der Terminologie und Arbeitsweise eines Faschisten“ bedient, ja, sich „am Telephon den Titel eines Vize-Präsidenten“ zugelegt.

Im Pulverdampf solcher Büro-Querelen verzichtete der geliebte Prinzipal auf seinen Manager und, vorerst, auf die großen Pläne.

In den Boutiquen bangen nun Verkäuferinnen davor, als vertragsloses Fußvolk seines kurzen Pop-Machttraumes bald auf der Straße zu sitzen. Eine, die sanfte Schwabinger Entziehungsberaterin Irmgard Weigelt, übernahm lieber selber 35.000 Mark Schulden, um sich die Boutique „Shirokko“ für einen selbständigen Schallplatten-Handel zu erhalten. Schon klagt auch sie, man komme da unter 40 Prozent Handelsspanne auf keinen grünen Zweig. Weiter lohnabhängige Kolleginnen, wiewohl marxistisch durchaus instruiert, bejahen dieselbe Spanne aus der Existenzangst des lin-
ken Angestellten.

Sie warteten vergebens auf eine Gratifikation, wie sie sich die rentableren Mitarbeiter von „Objects & Posters“ durch Abstimmen beschafften. Der Unternehmer mag das Wort Gratifikation nicht gerne – wie allen Weihnachtsrummel. Dass er die Verkäuferinnen vergaß, lag aber doch eher an den roten Zahlen in ihren Läden.

Rote Zahlen schlagen eine rote Überzeugung. Auch Schwärmer im linken Kommerz beugen sich diesem Gesetz.

In Berlin gibt es allerdings eine Reihe von Inhabern, die auf eine kapitalistische Persönlichkeits-
spaltung wie die beim Münchner Poster-Boss erhaben aus der Vogelschau herniederblicken. Voran fünf junge Linksbuchhändler, die in nominell noch ihnen gehörenden Läden für fünf Mark Stun-
denlohn arbeiten.

Sie bekommen, was jeder aus einer Gemeinschaft von 25 Linken bekommt, welche diese Buch-
läden nun gleichberechtigt führt. Man arbeitet halbtags im Kollektiv. So nährt der Handel fast doppelt so viele Menschen wie zuvor. Alle haben weniger Geld und mehr Zeit. Jeder zweite aus diesem Kollektiv Berliner Linksbuchläden geht nun einem Studium nach.

Einer der vorerst nicht abgefundenen fünf Besitzer, dessen Geschäft im Monat 80.000 Mark umsetzt, durfte sich den neuen VW, den er brauchte, nicht einfach kaufen. Das Kollektiv stimmte ab, ob das nötig sei.

Es entschied, der neue Wagen müsse allen zur Verfügung stehen. Gemeinschaftlich ertrotzt es
aber auch gesteigerte Verlagsrabatte, rechnet linken Raubdruckern, die ihre Gewinnmargen frech überziehen, auf Pfennig und Seite den einzig statthaften Buchpreis vor.

Fast alle aus dem Kollektiv leben in Wohngemeinschaften, ärmlich, fast wie Angehörige eines Ordens. Drei Prozent vom Umsatz, das ist ihre eiserne Regel, entschwinden in die politische „Profitabführung“, dienen übergeordneten linken Zielen.

Karin Röhrbein, ehemals Inhaberin der linken Bücherstube am Berliner Savigny-Platz und eine Kommunistin, preist aus vollen Backen die Segnungen dieses linken Weges aus dem Ladenbesitz. „Oft hab’ ich früher vor Geschäftssorgen nicht geschlafen“, sagt sie, „aber jetzt fühle ich mich toll. Es ist was von Askese dabei, geb’ ich zu, ne Art Elitegefühl.“ Froh, demütig fegt sie des Morgens, bevor noch das Lehrmädchen kommt, den ehemals eigenen Laden.

In einer verwandten Höhenlage siedelt der Kursbuch-Verleger Klaus Wagenbach mit seinem neuen Selbstgefühl. Inmitten eines florierenden, von ihm gegründeten Betriebes verzichtete auch er.

Die Gehälter orientieren sich bei Wagenbach am Standard der Arbeiterklasse: 1.100 bis 1.200 Mark beziehen die Mitarbeiter. 1.200 bekommt der Verleger. Der Umsatz betrug heuer eine Million.

Sie haben gut gewirtschaftet bei Wagenbach in Berlin. Drum genehmigen sie sich durch Abstim-
mung ein 13. Gehalt. Abgestimmt wird über fast alles, Arbeitszeit, Produktion, Werbung, wenn auch ein geeigneter Firmenmantel für Wagenbachs Besitzabtretung ans Kollektiv sich noch nicht gefunden hat.

Soweit möglich, wollen sie den Gesetzmäßigkeiten des Kapitals wie des kapitalistischen BGB aus-
weichen, welches, sagt Wagenbach, „den Besitz jeder Zahnbürste bis ins siebzehnte Glied vertei-
digt“.

Wenn schon kapitalistische Werbung und das Äugen nach dem Markt sich nicht vermeiden lassen, so könne man doch die Dynamik des Wachstums drosseln. 60 Prozent Umsatzsteigerung, wie ge-
habt, das war – streng links genommen – um die Hälfte zuviel. Ein roter Verlag, fordert Wagen-
bach, senke die Preise, statt dass er sich und die Seinen mästet.

Klaus Wagenbach verzichtet mit Inbrunst. Er ist jetzt 40, alt genug, findet er, sich strenger auf die marxsche Erkenntnis zu besinnen, wonach das Sein das Bewusstsein bestimmt. Das ist der Luxus, den er sich vorschreibt: „Die 20 Jahre, die ich vielleicht noch habe, mit einem einigermaßen intak-
ten Bewusstsein leben.“ Er kann Kümmersozialismus nicht leiden. „Aber es gibt eine schnell er-
reichte Grenze“, glaubt er, „wo man Parasit wird.“ So besehen, wimmelt es von linken Grenzgän-
gern.


Der Spiegel 52 vom 21. Dezember 1970, 60 ff.