Materialien 1970

Kartoffelschälen: zufriedenstellend

KRIEGSDIENSTVERWEIGERER
Die Odyssee des Kriegsdienstgegners Günter Maschke
von Holger Oehrens

„Gehen Sie in sich, Sie sehen doch, dass Sie überall anecken, Herr Maschke, jetzt haben Sie ja Zeit dazu.“ Der Münchner Amtsgerichtsrat Weitl sprach’s und verurteilte den 27jährigen Lektor Günter Maschke zu sieben Monaten Gefängnis ohne Bewährung – wegen Fahnenflucht im Rückfall.

Aber rückfällig geworden war der Angeklagte eigentlich gar nicht; er hatte sich nur so verhalten, wie seine einmal getroffene Gewissensentscheidung ihm hieß. Bereits mit 16 Jahren war Maschke ein stadtbekannter Kriegsdienstgegner in Trier und Mitglied der IdK. Von anderen Kriegsdienstverweigerern unterschied ihn nur eine Kleinigkeit: Er war nicht bereit, seine Entscheidung religiös oder allgemein humanitär zu bemänteln, sondern kam dem Prüfungsausschuss mit politischen Argumenten. Sein Hinweis auf die konkrete politische Situation der Bundesrepublik nach der Wiederaufrüstung trug ihm den Zorn der Gewissensprüfer ein. Sie erkannten ihn nicht an als Kriegsdienstverweigerer.

Maschke verweigerte sich dennoch dem Soldatentum, als er am 1. Oktober 1965 eingezogen werden sollte. Er stellte einen neuen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer und blieb zu Hause.

Drei Wochen später fingen Feldjäger den wehrunwilligen Maschke auf der Straße ein und lieferten ihn an „seine“ Münchner Kaserne. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren wegen Fahnenflucht ein, und das Landgericht München verurteilte ihn zu sechs Monaten Gefängnis ohne Bewährung, „da der Angeklagte auf Befragen erklärte, dass er die nächste sich bietende Gelegenheit benutzen werde, sich der Verpflichtung zum Wehrdienst zu entziehen“.

Zunächst tat Maschke dies, indem er brav auf die Entscheidung seines zweiten Anerkennungsbegehrens harrte. Um den Prüfern ihre Entscheidung leichtzumachen, weigerte er sich konsequent, ein Gewehr anzufassen. Ansonsten versah er „zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten den Dienst“, indem er Kartoffeln schälte.

Aber die Gewissensprüfer hatten wiederum nichts Anerkennenswertes an Günter Maschke zu entdecken vermocht und wiesen ihn ab. Jetzt verweigerte der Soldat wider Willen das Tragen der Uniform und ging in Arrest. Einen Zeugentermin nutzte er zur Flucht … Die Stationen seiner abenteuerlichen Reise waren:

 über Luxemburg nach Paris.
 Paris: vergeblicher Legalisierungsversuch als Kriegsdienstverweigerer mit Hilfe Professor Goldschmidts.
 Schweiz: Unterkunft bei Buchhändler Pinkus. Arbeit an einem „Lexikon des Sozialismus“.
 Wien (Herbst 1966): Wortführer und Organisator der Österreichischen Studentenbewegung. Als unerwünschter Ausländer in Schubhaft genommen.
 Die Kubanische Botschaft gewährt ihm politisches Asyl.

Am 16. Februar 1968 brachte ihn eine Maschine von Prag nach Havanna. Er arbeitete dort als Deutschlehrer und später als Lektor für das „Instituto de Libro“. Für das Kursbuch 18 sollte er einen kritischen Bericht über die politische Situation in Kuba schreiben.

Aber auch hier musste Maschke anecken. Wegen seiner Kritik an den unsozialistischen Tendenzen im Aufbau des Kubanischen Sozialismus wurde er über Nacht verhaftet und am nächsten Tag nach Spanien abgeschoben. Sein Manuskript wurde beschlagnahmt.

Mit vom deutschen Botschafter in Spanien geliehenen Geld fuhr er in die BRD zurück, wo er am Grenzübergang Kehl verhaftet wurde.

Eigentlich könnte hier der Fall Günter Maschke zu Ende sein: Maschke hatte sich dem Kriegsdienst entzogen und wurde dafür zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, die er seit September 1969 in Landsberg am Lech absitzt.

Aber die Justiz hat noch weiteres mit ihm vor.

Wegen seiner Flucht verurteilte ihn das Münchner Amtsgericht am 28. Januar 1970 zu weiteren sieben Monaten Gefängnis.

Es ist Maschkes Pech, kein „Zeuge Jehovas“ zu sein oder einer ähnlich politisch irrelevanten Gruppe zuzugehören. Deren konsequente aber strafbare Weigerung, den Ersatzdienst abzuleisten, wird vom Bundesverfassungsgericht als EINE einzige Tat, die auch nur EINMAL bestraft werden darf, angesehen.

Anders im Falle Maschke: Egal, was er macht, es ist auf jeden Fall straferschwerend:

Kritisiert er den Kapitalismus, wird ihm empfohlen. es doch einmal in einem kommunistischen Staat zu versuchen. Kritisiert er Kuba, legt ihm der Richter es als notorisches Querulantentum aus. Versieht er teilweise und gezwungenermaßen den Dienst bei der Bundeswehr, legt ihm dies der Staatsanwalt als Indiz für seine Unglaubwürdigkeit aus.

Leistet er gesetzwidrigen Widerstand gegen den Kriegsdienst, ist es auf jeden Fall strafbar. Sprechen in anderen politischen Prozessen Linke von Demokratie, Emanzipation und allgemeiner Gerechtigkeit, werden sie von der Justiz als Utopisten, jugendliche Schwärmer usw. qualifiziert und auf die Realität und Vernunft – sprich Akzeptierung des Bestehenden – hingewiesen.

Spricht Maschke von der Vernunft und bestehenden politischen Verhältnissen, verweist ihn die Justiz auf den lieben Gott.


konkret. Monatszeitung für Politik und Kultur 8 vom 9. April 1970, 56.