Materialien 1970

Rosen aus Tirol

PROZESSE
Wie die Münchner Justiz mit einem Kriegsdienstverweigerer umsprang und gleichzeitig den passionierten Bombenleger Burger nett behandelte
von Heinz Rabbow

Vor dem Sitzungssaal 212 im Münchener Justizpalast wimmelte es von Polizisten. Sie bewachten die Eingänge, sicherten die Fenster, patrouillierten mit Sprechfunkgeräten auf und ab. Sie durchsuchten alle Besucher nach Waffen, tasteten die Körper ab, stöberten in Handtaschen, forschten in Mädchenschuhen nach versteckten Sprengstoffladungen.

Dann kam der Unmensch. Umringt von zehn Polizisten, mit Handschellen gefesselt, wurde er aus dem Untersuchungsgefängnis in den Verhandlungsraum geführt.

Sein Verbrechen: Er weigert sich permanent, für die Bundeswehr eine Waffe anzufassen. Kriegsdienstverweigerer Günter Maschke (vgl. KONKRET 8/70, einmal zu sechs und zum zweiten mal zu sieben Monaten Gefängnis wegen Fahnenflucht verurteilt, hatte gegen das zweite Urteil Berufung eingelegt. Der Prozess um den 27-jährigen Waffengegner gab der Münchener Polizei Anlass zu einem waffenstarrenden Großeinsatz.

Zur selben Zeit, auf demselben Flur des Justizpalastes, nur ein paar Türen weiter, bot sich währenddessen ein ungemein friedliches Bild. Im Sitzungssaal 219 saß ein adrett gekleideter Herr auf der Anklagebank, in einer Verhandlungspause lehnte er sich lässig gegen die Fensterbank und plauderte mit seinen Verteidigern. Keine Handschellen hier, auch kein Polizeiaufgebot.

Mittelpunkt der friedvollen Szene: Dr. Norbert Burger (41), Südtirol-Extremist und passionierter Bombenwerfer, der am 14. Mai von einem Florenzer Gericht in Abwesenheit zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Burger hatte sich an einem Sprengstoffattentat beteiligt, bei dem vier italienische Soldaten ums Leben gekommen waren. Im Münchener Prozess wurden ihm vorgeworfen: Geheimbündelei, Planung und Vorbereitung von Sprengstoffanschlägen in Südtirol, Anwerbung von Helfern in der Bundesrepublik, Verstoß gegen das Waffengesetz. Der militante Chauvinismus des adretten Herrn Dr. Burger („Ich bekenne mich heute wie gestern zum ,Befreiungsausschuss’“) beunruhigte die Münchener Polizei nicht. Sie witterte die Gefahr weiter links, den Flur ’runter, im Saal 212.

Dort mühte sich Marxist Günter Maschke dem Gericht klarzumachen, warum er gerade für die Bundeswehr keinen Kriegsdienst leisten wolle: „Ich bin kein pazifistischer Träumer mehr. Ich muss mich fragen, ob ich Dienst leiste für die Unterdrückung oder für die Befreiung.“ In Kuba zum Beispiel sei es seine Pflicht, den Sozialismus notfalls mit der Waffe gegen jeden Aggressor zu verteidigen. In der NATO-Armee der Bundeswehr dagegen mache er sich mitschuldig an der Unterdrückung der Völker in der Dritten Welt, mitschuldig auch am Krieg in Vietnam. Maschke: „Ich sehe darin keinen Widerspruch, sondern eine logische Einheit.“

Aber Maschkes Appell an logisches Denken, an die Vernunft, hatte schon zwei Wehrausschüsse nicht berührt. Sie fragten nach dem Gewissen. Und das hat sich in der Bundesrepublik gefälligst nicht an der Vernunft zu orientieren, sondern an Ethik, Moral, Gott oder anderen dunklen Werten. So sah es auch ein Tübinger Wehrausschuss, der 1965 von Maschke nicht den Eindruck hatte, „dass der Antragsteller im ethischen Kern seines Willens getroffen würde, wenn er Wehrdienst leisten müsste“. Der ethische Kern des Willens von Günter Maschke brachte ihn nach der ersten „Fahnenflucht“ für sechs Monate, bei der zweiten für sieben Monate ins Gefängnis. Die Berufung wurde verworfen, weil, so Landgerichtsdirektor Anton Bierl, „das Gericht frei von politischen Erwägungen seine Entscheidung treffen musste“.

Frei von politischen Erwägungen fühlte sich auch das Gericht, das ein paar Türen weiter über Dr. Norbert Burger richtete. „Wenn Sie diesen Mann verurteilen, dann war das nicht nur ein politischer Prozess, sondern auch ein politisches Urteil, und davor haben wir Angst. Politische Urteile darf es nicht geben!“ hatte Burgers Rechtsanwalt Meßmer erklärt. Sein einstündiges Plädoyer hätte er sich eigentlich sparen können. Denn vor ihm hatte schon der Erste Staatsanwalt Glück Freispruch für Burger gefordert, weil „zwar erhebliche, aber für eine Verurteilung nicht ausreichende Verdachtsmomente bestehen“. Der dankbare Verteidiger Burgers: „Für einen Staatsanwalt ein mutiges Plädoyer.“ Burger: „Wenn ich der Staatsanwalt gewesen wäre, hätte ich dasselbe gesagt.“

Dass der Staatsanwalt dennoch um die größtmögliche Objektivität gerungen haben muss, geht unzweideutig aus folgenden, von ihm selbst aufgezählten Schwierigkeiten hervor: Es sei nicht nachgewiesen, dass Burger eine kriminelle Vereinigung auf Bundesgebiet gegründet und ihr als Rädelsführer angehört habe, weil sich Burgers Angaben dazu nicht zuverlässig hätten widerlegen lassen. Es sei nicht auszuschließen, dass Burger einen Ableger des extremistischen „Befreiungsausschusses Südtirol“ in der Bundesrepublik gegründet und geleitet habe, aber nachzuweisen sei es auch nicht.

Landgerichtsdirektor Dr. Rudolf Mayer endlich gab in der Urteilsbegründung seinen Beitrag zur Objektivität mit folgendem Hinweis: Die Kammer habe während des Prozesses eine Reihe von Zuschriften erhalten. Nur in wenigen davon sei der Angeklagte verdammt worden (u.a. als „politischer Maulwurf, der an den nächsten Mast gehört“). Die meisten Zuschriften seien vielmehr positiv gewesen. Mayer: „Dem Gericht kam es aber nicht auf die öffentliche Meinung an, sondern darauf, die Wahrheit zu finden.“ Da dies nicht völlig gelungen sei, müsse Burger freigesprochen werden.

So objektiv sind Münchens Richter, wenn sie über Chauvinisten urteilen. Pech für Günter Maschke, dass er Marxist ist und seinen Richtern mit rationalen Argumenten kam. Er wurde in Handschellen abgeführt. Dr. Norbert Burger dagegen wurde nach dem Freispruch von jubelnden Anhängern begrüßt – mit sechs rosaroten Rosen.


konkret. Monatszeitung für Politik und Kultur 13 vom 18. Juni 1970, 9.