Materialien 1970
Als die Münchner ratlos waren
Große Verwirrung um ein Wort: Anfang der siebziger Jahre sprühten Unbekannte die Buchstaben „Heiduk“ auf Münchner Hauswände. Wilde Gerüchte machten die Runde. War es eine militante Gruppe oder eine antikatholische Bewegung, die dahinter steckte?
Es war 1970 und die Münchner Parteien waren ratlos. Der SPD-Pressesprecher: „Keine Ahnung.“ Sein CSU-Kollege: „Weiß niemand bei uns.“ In der Bürgerhilfsstelle bei der Regierung von Oberbayern liefen die Telefone heiß. Die Pressestelle der Stadt München wusste auch nicht weiter.
„Keiner weiß, was Heiduk heißt …“, titelte die Münchner tz am 22. Dezember 1970. An Hauswänden, auf Gehsteigen und Brückengeländern – überall in den Stadtteilen Schwabing und Lehel lasen die Münchner das eine unbekannte Wort – „Heiduk“. Hingesprüht in schwarzen Lettern, unbemerkt von Passanten, vermutlich nachts.
Auch die Münchner Boulevardzeitung tz konnte das Rätsel nicht lösen und rief Leser dazu auf, ihre Vermutung zu äußern. Und die Zuschriften kamen prompt. Es sei das Protestwort einer militanten Gruppe, eine antikatholische Bewegung, ein Jugendbund, eine Kaffeemarke, ein balkanesischer Freiheitsheld, das Kürzel für „Hei-mat, D-eutsch, U-nions Kommunisten“ oder „ein Lakai und ein Lohnknecht des kapitalistischen Establishments“. Die Phantasie der Münchner war grenzenlos.
„Heiduk ist eine Sucht“
So grenzenlos, dass sie offenbar phantasierten, es gäbe keine Polizei. Der Leser Fritz Kurz zumindest schrieb unter Angabe seiner Adresse an die tz : „Wer als erster das Wort Heiduk an die Wände schrieb, weiß ich auch nicht. Aber nicht nur ich, sondern auch alle meine Freunde sind seit langem von dieser rätselhaften Manie besessen, und ziehen Nacht für Nacht durch die Straßen um Heiduk an die Wände zu schreiben. Es ist wie eine Sucht, ein innerer Trieb. Das Wort selbst bedeutet nichts.“ Der Mann soll Besuch von der Polizei bekommen haben.
Auch auf den Schwabinger Filmemacher Werner Enke („Zur Sache Schätzchen“) scheint „Heiduk“ nachhaltigen Eindruck gemacht zu haben. Er sagte der Süddeutschen Zeitung im Jahr 2003: „Das ist eine geheimnisvolle Geschichte … Es stand plötzlich über Nacht an jeder Schwabinger Hausecke das Wort Heiduk hingeschmiert. Ein Rätsel. Eine Art Vor-Graffiti. Ein bisschen unheimlich. Ich habe versucht, mir vorzustellen, was es mit Heiduk damals auf sich gehabt haben könnte.“
Wann Enke das Wort zum ersten Mal gesehen hatte, wusste er selbst nicht mehr so genau. Schließlich war das Wort an manchen Stellen in Schwabing auch zehn Jahre später immer noch zu sehen. So ging es vielen alten Schwabingern: „Heiduk“ war schon sehr lange da, gefühlsmäßig fast schon immer.
Münchner Scherzkekse
Insider der linken Münchner Szene wussten, was es mit dem Wort auf sich hatte. Hinter der Heiduk-Mania steckte eine Münchner Kommune aus der Adlzreiterstraße im Schlachthofviertel. In den einschlägigen Schwabinger Kneipen und im Szene-Treffpunkt „Café Europa“ in der Leopoldstraße munkelte man häufig darüber, aber keiner wusste eigentlich etwas Genaues. Genau das führte zu den wahnwitzigsten Spekulationen.
Zu bedeuten hatte das Wort „Heiduk“ jedenfalls absolut nichts. Aber es inspirierte einige Münchner Witzbolde, die ihren Spaß daran hatten, an der Verwirrung in der Stadt beizutragen und das Wort an Häuserwände zu sprühen. Was als Scherz einer kleinen Kommune begonnen hatte, breitete sich bald ohne deren Zutun weiter aus.
„Heiduk“ soll sogar an Hauswänden in Kapstadt, Marrakesch, London und San Fransisco gesehen worden sein.
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