Materialien 1970
Die guten Menschen in der Kunst
Die guten Menschen in der Kunst: das sind die Engagierten. Sie engagieren sich vornehmlich mit der Darstellung von getöteten Kindern, weinenden Müttern, Friedenstauben und Friedensengeln. Das heißt: der Friede wird von weißen Tauben oder Engeln gemacht. Das heißt: Leiden, Tod und Krieg sind schrecklich. Man erfährt nichts über folgende Fragen. Wer tut wem Böses an?
Warum tut wer wem Böses an?
Welche Geschichte geht der Tat voraus?
Was ist die konkrete Meinung des Malers dazu?
Aber der Taubenspezialist kann und will diese Fragen gar nicht beantworten. Sein Engagement am Guten oder Bösen bricht sofort zusammen und wird unbrauchbar, sobald der kleinste konkrete oder reale Bezug zum wirklichen Geschehen verlangt wird. Jetzt müsste der Engagierte Partei ergreifen. Er müsste nach Ort und Zeit sich für oder gegen andere Menschen entscheiden. Um Gotteswillen nein! Der Engagierte möchte seine Unschuld, seine Weisheit über der Welt zu stehen, keineswegs verlieren. Er bewertet nur die Tätigkeiten anderer mit Noten: böse oder unmenschlich. Selbst will der Engagierte nicht handeln, denn er könnte etwas Falsches tun. Praxis ist immer schmutzig, Malen ist immer sauber. (Es müssen ja nicht gerade Plakate sein!) Unser Taubenfreund ist also exakt der idealistischen Philosophie verhaftet.
Das alles, so wie auch diese Philosophie, funktioniert aber nur mit einem geographischen Sicherheitsabstand von einigen 1.000 Kilometern. Tausend Kilometer Abstand zum Tatort. Wenn man nämlich selbst verwickelt wird in die Dinge, wird man Partei ergreifen, oder man wird ergriffen. Ein simples Beispiel:
Jeder ergreift täglich für seine Familie Partei, für Frau und Kinder. Die Angehörigen sind aber auch nicht die „Guten“. Man hat eine Interessengemeinschaft, Solidarität und Zuneigung begründet und man tritt für den anderen ein, ergreift Partei. Da ist auch der Engagierte parteilich. Da fehlen auch die 1.000 Kilometer.
Es gibt aber auch noch einen anderen Abstand. Das ist der künstliche. Das ist der zwischen Elfenbeinturm und Wirklichkeit. Von den Engagierten sitzt auch mancher noch in diesem Turm, eingehüllt in eine warme Sauberkeit.
Aber der Engagierte, der sich da raushalten will, der wird objektiv immer ergriffen. Ein Beispiel.
Ein guter und engagierter Maler konnte sich nicht entschließen, eine DDR-Anerkennungsforderung mit zu unterzeichnen. Er motivierte das mit Menschlichkeit, die stets über dem Politischen zu stehen habe. Was heißt das aber objektiv: Mit dieser Entscheidung ergreift er in dieser spezifischen Situation die Partei der herrschenden Kräfte der Bundesrepublik. Mehr wollen die ja nicht, als dass der einzelne sich im richtigen Augenblick zumindestens objektiv für sie entscheidet.
Marxseidank ist aber auch der umgekehrte Fall möglich: Vom gleichen Maler gibt es ein engagiertes Vietnambild, das nur Trauer über den Tod aufzeigt. Aber im Bündnis mit einer politischen Ausstellung erhielt dieses Bild seinen parteilichen Stellenwert.
Diese Polemik möchte folgendes aufzeigen: Engagement, solange es nur abstrakte Begriffe wie Schmerz, Trauer oder Tod beschreibt, vermag wenig. Es kann in der Wirklichkeit beliebig benützt und missbraucht werden. Aber es ist ein erster Schritt, wenn ein Künstler, der in der idealistischen Philosophie wurzelt, seinen Aufschrei über die böse Welt formuliert. Man wird ihn in die Dinge verwickeln. Vielleicht sieht er ein, zu wem er gehört. Dann sollte er Partei ergreifen.
Guido Zingerl
tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 66 vom Mai/Juni 1970, 74.