Materialien 1970
Bayrische Traumtänzer
RUNDFUNK
Im Münchner Rundfunkhaus haben die schwarzen Männer ihren großen Auftritt
von Heinz Rabbow
Noch Anfang des Jahres wehklagte F.J. Straußens Hauszeitung „Bayernkurier“ über den Bayeri-
schen Rundfunk: „Nirgends klafft zwischen dem politischen Willen des Volkes und der Meinung der Nachrichtenmonopole eine solche Kluft wie in Bayern.“ Seit Mitte Juli braucht der „Bayern-
kurier“ nicht mehr zu klagen, die Kluft klafft nicht mehr. Am 16. Juli 1970 beschloss der Rund-
funkrat des Bayerischen Rundfunks in demokratischer Abstimmung, die drittgrößte Rundfunk-
anstalt der Bundesrepublik mit ihren mehr als 2.400 Angestellten in einen öffentlich-rechtlichen Propagandasender der CSU zu verwandeln.
Die Entscheidung des Rundfunkrats war praktisch nur die notarielle Unterschrift unter das poli-
tische Testament des weltlichen Missionars Christian Wallenreiter, seit vergangenem Monat 70 Jahre alt, seit zehn Jahren Intendant des Bayerischen Rundfunks. Wallenreiter tritt im September 1972 ab. Zuvor haben an der Spitze des Bayerischen Rundfunks die schwarzen Männer ihren großen Auftritt:
Reinhold Vöth, Vorsitzender des Rundfunkrats, soll nach Wallenreiters letztem Willen nächster Intendant sein. Vöth („Es ist nicht so, dass ich unbedingt Intendant werden will oder muss“) ist nach Kultusminister Huber zweitstärkster Mann in der CSU-Landtagsfraktion, Vorsitzender im kulturpolitischen Landtagsausschuss, Bezirksvorsitzender der CSU in Unterfranken.
Rudolf Mühlfenzl, ebenfalls CSU-Mitglied und zur Zeit Chefredakteur des Ersten Fernsehpro-
gramms, wird im nächsten Jahr Chef des gesamten Bayern-Fernsehens. Mühlfenzl, schon jetzt einer der mächtigsten Männer im Bayerischen Rundfunk: „Ich verstehe nicht, warum das Ganze immer mit dem Begriff Macht kombiniert wird.“
Helmut Oeller, zur Zeit Programmdirektor des III. TV-Programms, wird im kommenden Jahr Fernsehgeneraldirektor eines neu strukturierten Bayerischen Rundfunks. Oeller, kein CSU-Mit-
glied, gilt nichtsdestoweniger als „stock-schwarz“.
Diese letzte Neubesetzung war die spektakulärste und meistumstrittene im Wallenreiter-Planspiel. Denn mit ihr verquickt ist eine radikale Umstrukturierung des gesamten Bayerischen Rundfunks.
Tatsächlich ist der vor 21 Jahren gegründete Bayernfunk ein völlig veralteter, viel zu kostspieliger und somit dringend reformbedürftiger Mammut-Apparat. Wallenreiters Reform-Plan: Das I. und III. (Studien-)Programm werden zusammengelegt. Ein strafferer Aufbau der Redaktionen, eine bessere Ausnutzung der technischen Anlagen und ein effektiverer Einsatz des Personals sollen innerhalb der nächsten fünf Jahre rund 34 Millionen Mark einsparen.
Das jedenfalls sagt Wallenreiter. Von Kritikern dagegen wird seine Spar-Kalkulation als „Traumtanz“ bewertet.
Wie auch immer, der krummste Haken an der Wallenreiter-Reform ist mit Sicherheit die gleichzei-
tige personelle Umbesetzung. Die Machtergreifung der schwarzen Männer wird um so reibungs-
loser funktionieren, als zwei ihrer gefährlichsten Gegner bereits ausgeschaltet sind: Dr. Clemens Münster, Programmdirektor des I. Fernsehens und SPD-Mitglied, wird am 1. Februar 1971 pensioniert. Als sein Nachfolger und gleichzeitiger Stellvertreter des Bayern-Intendanten war vorübergehend der Intendant von Radio Bremen, Hans Abich, im Gespräch, Abich, als links-liberal geltend, war das einzige Zugeständnis Wallenreiters an die SPD. Empfohlen hatte ihn der Hör-
funkProgrammdirektor Walter von Cube, selbst ein liberal angehauchter Konservativer. Cube wird im August 1971 pensionsreif, hat aber einen Vertrag auf Leben zeit. Gehen wollte Cube nur dann, wenn der progressive Abich nach Bayern käme. Warum der nicht kam, erklärt sich nach Informa-
tionen der Redaktion so: Cube empfahl Abich als Nachfolger von Münster. Wallenreiter dagegen empfahl Abich als Nachfolger von Cube. Abich („Ich jedenfalls möchte nur auf leere Stühle gehen“) sagte angesichts derart undurchsichtiger bayerischer Personalspielchen ab. Damit bleibt die CSU in den Spitzenpositionen des Bayernfunks unter sich.
Die bayerische SPD guckt unterdessen in die schwarze Röhre. Ihre Anhänger sind im 42köpfigen Rundfunkrat hoffnungslos in der Minderheit, bei entscheidenden Abstimmungen haben sie gegen die CSU-Vertreter und deren Sympathisanten keine Chance. Auch fehlt es der SPD in Bayern an profilierten Leuten, die sie als Alternative zu den schwarzen Rundfunk-Kandidaten anbieten könnte. Und nicht zuletzt war Bayerns SPD während der entscheidenden Vorbereitungen des CSU-Coups im Bayerischen Rundfunk vollauf beschäftigt mit ihrer eigenen Selbstzerstümmelung durch die parteiinterne Hatz auf progressive Genossen anlässlich der Münchener Oberbürgermei-
sterkandidatur (KONKRET 15/70).
Ob die totale Ausrichtung des Bayerischen Rundfunks auf Rechtskurs von Wallenreiter so konse-
quent geplant war, ist nicht sicher. In den Redaktionen gibt es unterschiedliche Interpretationen. Die einen halten Wallenreiter für den CSU-Einpeitscher, andere sehen in ihm eher eine Figur mit fast tragischen Zügen: den alternden Rundfunkmann, der vor seinem Abtritt sein Haus bestellen wolle, sich gegen kleinkariertes Proporzfummeln und parteipolitische Interessen gestemmt habe – und überrollt wurde. Dagegen spricht allerdings, dass er für den Widerstand gegen Parteienpolitik ungleich weniger Energie verschwendete als für das Durchboxen seiner einsamen Entschlüsse gegen alle Bedenken des Rundfunkrats.
Auf der letzten Sitzung des Rundfunkrats am 16. Juli vor der entscheidenden Abstimmung warnte Ernst Müller-Meiningen jr., Kolumnist der „Süddeutschen Zeitung“ und Vorsitzender des Bayeri-
schen Journalistenverbandes, vor der „radikalen Beseitigung der Ausgewogenheit auf Jahrzehnte hinaus“. SPD-Vertreter forderten Demokratisierung durch ein dreiköpfiges Direktionsgremium und deshalb Vertagung der Personalentscheidung über den neuen Fernsehdirektor.
Wallenreiter dagegen („Wir müssen wissen, wie es weitergeht“) drängte auf sofortige Abstimmung und paukte sein Programm durch. Die Zusammenlegung der bei den bayerischen TV-Programme
I und III wurde bei zwei Stimmenthaltungen angenommen, für den „stockschwarzen“ Oeller als künftiger Fernsehdirektor stimmten 15 Rundfunkräte mit Nein, 20 mit Ja.
Ab 1971 werden die rund 6 Millionen Hörfunk- und Fernsehkonsumenten Bayerns über den Baye-
rischen Rundfunk endlich den vom „Bayernkurier“ beschworenen Willen des Volkes erfahren. Der lautet nach dem Willen der CSU: Ich will dumm sein.
konkret. Monatszeitung für Politik und Kultur 17 vom 13. August 1970, 9 f.