Materialien 1970

Die Kraft habe ich erstens aus meiner Empörung genommen ...

Toepsch: Wenn man eine Bürgerinitiative startet, dann muss man gute Nerven haben und viel Kraft. Wo haben Sie die hergenommen?

Klühspies: Die Kraft habe ich erstens aus meiner Empörung genommen, die sich aber zunächst einmal nur gegen die Planung richtete, weil ich mir gesagt habe: „Das ist doch falsch, das macht doch etwas kaputt!“ Dann wuchs die Empörung durch den Widerstand, den man bekam, auch durch die Diffamierung als Wichtigmacher usw. Die meiste Kraft habe ich dann aber durch die Unterstützung der Bürger bekommen, wobei ich sagen muss, dass diese Bürgerinitiativen, die sich damals zusammentaten – eine der größten war die „Aktion Maxvorstadt“, wo ich heute die meisten Freunde habe – zum großen Teil aus Frauen bestanden. Die Frauen waren irgendwie das belebende Element bei dem Ganzen: Das waren die Leute, die uns gestützt haben, und zwar gerade auch dann, wenn wir uns gefragt haben, ob das alles wirklich noch Sinn hat. Denn immerhin haben wir uns dadurch ja unsere eigene Karriere kaputt gemacht, weil wir keine Aufträge mehr bekamen. Ich selbst habe z.B. keinen einzigen Auftrag von der Stadt bekommen – mit einer Ausnahme, die ich aber erst später erwähnen werde, denn das war zwangsweise, das hat die Stadt nicht freiwillig gemacht. Es war jedenfalls schon so, dass wir manchmal das Gefühl hatten: „Was soll’s denn?“ Aber der Widerstand aus der Bevölkerung hat uns dann immer wieder neuen Mut gegeben. Und das waren eben sehr viele Frauen, die da mitgemacht haben.

Toepsch: Warum waren da die Frauen vorne dran Ihrer Meinung nach?

Klühspies: Weil sie vielleicht doch die am meisten Betroffenen waren. Sie wurden doch mit den Geschehnissen konfrontiert, sie befanden sich in der Situation, dass sie am Morgen keinen Bäckerladen mehr vorgefunden haben, weil der einfach wegsaniert worden war. Sie waren dann diejenigen, die die weiten Wege in die Einkaufszentren usw. gehen mussten. Sie konnten ihre Kinder nicht mehr im Freien spielen lassen wegen des Autoverkehrs. Die Frauen waren es, die plötzlich ihre Grünanlagen zerstört sahen. Sie waren also weitaus mehr betroffen als die Männer, die tagsüber halt einfach in der Arbeit waren. So erklärt sich das meiner Meinung nach. Die Frauen waren aber auch als Phantasiegeber höchst erfolgreich, denn Frauen denken selbstverständlich anders als Männer. Ich bin nicht der Meinung, dass nun irgendwie ein Matriarchat oder Patriarchat eingeführt werden sollte. Stattdessen bin ich der Meinung, dass die Menschheit zu je einer Hälfte aus Frauen und Männern besteht. Also haben sie auch beide etwas zu sagen aus ihrer jeweiligen Sicht …

Toepsch: Sogar ein bisschen mehr als die Hälfte der Menschheit sind Frauen, rein statistisch gesehen.

Klühspies: Ja. Wenn man hier also ein ausgewogenes Verhältnis herbeiführt, dann kommen von beiden Seiten auch Ideen. Und wir hatten ja in der Tat viele Ideen. Wir haben nicht nur Protestmärsche gemacht. Allerdings waren das Protestmärsche, wie man sie sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen kann. Wir machten z. B. einen Protestzug gegen die Vernichtung des Leopoldparks, den wir dann auch tatsächlich retten konnten. Diese Protestzüge reichten von der Feldherrnhalle bis zum Siegestor, und zwar nicht so, dass da immer nur einer hinter dem anderen gegangen wäre. Nein, das waren jeweils Sechserreihen von Menschen mit Transparenten. Das war einfach ein politisches Gewicht und deswegen …

Karl Klühspies, Stadtplaner, im Gespräch mit Gabi Toepsch


http://www.br-online.de/alpha/forum/vor0706/20070615.shtml. – α-forum, Sendung vom 15. Juni 2007, 20.15 Uhr.

Überraschung

Jahr: 1970
Bereich: Stadtviertel

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