Materialien 1970
Ein Jahr ...
Münchner Leben: über zweitausend öffentliche Faschingsfeste, Faschingsumzüge, Aschermittwoch für Künstler, Skifahren im Gebirge, Märzenbier, Maibock in Biergärten, kleines Oktoberfest, drei-
mal Auer Dult, Fronleichnamsumzug, Floßfahrten, Seen, Ausflüge, Bayrische Barockkirchen, Ober-
ammergau, Frühjahrsmarsch um den Starnberger See (Fünfzehntausend Teilnehmer), Mode-
woche, Messen, Opernfestspiele, Urlaub im Süden, Schwabingbummel, Nachtlokale, Kneipen, Stammtisch, Fremdenverkehrssaison, Hofbräuhaus, Nockherberg, Schwabinger Woche, Tierpark Hellabrunn, Pferderennen, Antiquitätenmessen, Große Münchner Kunstausstellung, Bundesliga-
spiele, Sportanlagen, Trachtenzug, Oktoberfest, Valentinmusäum, Christkindlmarkt, Weihnachts-
oratorien in den Kirchen, Schäfflertanz am Rathaus, Sylvester auf der Hütte …
Inhaltsangabe aus der Zeitschrift Münchner Leben, Dezember 1970:
Josef M. Heger: Schlagzeile des Monats: ‚Die Sympathie bleibt dem geliebten München.’
– Rathaus-Chronik
Fritz Woock: Deutsche Lufthansa fliegt für Olympia.
– Olympia in München
– Von A bis Z
Rosel Termole: Christliche Kunst – ein unerschöpflicher Schatz
Helene Heger: Heimkinder warten auf’s Christkind.
Otto Hiebl: Gastliches München: Nicht nur ‚Grüß Gott’ und ‚Danke schön’
Ludwig Hollweck: Aus dem Altmünchner Blätterwald: ‚Am Anfang war das Abc-Buch …’
Erich Hartstein: Rathaus plus und minus: Das Verkehrschaos ist unausbleiblich.
Karl-Robert Danler: Musik + Musiktheater
Peter W. Engelmeier: Neues vom Film
Gisela Freitag: Bildende Kunst
Rosel Termolen: Im Rampenlicht
Rosel Termolen: Literarisches
Lutz Dürrmeier: Nachruf auf einen Außenseiter (gemeint ist hier der AKTIONSRAUM 1)
Karl H. Kaesbach: München und die audio-visuelle Revolution
– Die Leseprobe: Wilfrid Blunt ‚König Ludwig 11. von Bayern’
– Hoch-Zeit des Schenkens
Anton Sailer: Schwabinger Seerose im Osramhaus
Sigi Sommer: Kleines Glück in stiller Nacht
Armin Herrmann: Vermögensberater müssen sich umstellen
Fritz Woock: Ramses – eine städtebauliche Dominante
Klaus Zimniok: Architektur bei der Münchner U-Bahn
Heinrich Hofer: Messen und Ausstellungen 1971
– Veranstaltungskalender
Dieses Überangebot an Unterhaltung für jedermann, dieses Lebendighalten der Tradition, das restaurative Denken der Verantwortlichen und die skeptische Haltung gegenüber Neuem schafft ein Klima („Münchner Gemütlichkeit“), in dem kaum harte Auseinandersetzungen möglich sind.
Der AKTIONSRAUM 1 will ständige Auseinandersetzung sein, will ungemütlich sein, will inter-
national neueste Strömungen aufzeigen, den Wert der scheinbar lebendigen Tradition in Frage stellen, in München lebenden Künstlern ein Forum bieten (es wurde genutzt von Akademiestuden-
ten – UNBERATEN, Claus, Gruppe KEKS, Moshammer, Nitsch, Saree, Schult, Silesius, Gruppe Z, Gruppe A l).
Verglichen mit der unheimlich großen Zahl Münchner Künstler, die in den Kneipen herumhängen, ist das wenig. An Institutionen, die für sie in Frage kämen, gibt es nur die Schwabinger Woche, sens-action (geplatzt), Modern Art-Museum (sammelt hauptsächlich), Galerie Friedrich (kümmert sich nur um renommierte Künstler), Forum Van de Loo (jetzt Malschule).
Die Münchner Situation ist uns bei der Gründung des AKTIONSRAUM 1 klar bewusst, wir hoffen sie zu ändern. Dazu fehlt uns aber eine entsprechende Strategie (zum Beispiel Popularität durch aktuelle stadtbezogene Themen, gezieltes Einwirken auf Kulturinstitutionen, kontinuierliches Vor-
gehen in Arbeitskreisen, Kontakte zu politisch arbeitenden Gruppen). Wir wollen eine extrem an-
dere Möglichkeit als die gängigen Kommunikationsplätze (Kneipen, Galerien, Theater) sein und mit einem harten Raum (fehlende Sitzgelegenheiten, Tische, kein Alkohol, nicht Schwabing, unge-
sellige Umgebung) Menschen nur mit sich selbst konfrontieren. Damit stellen wir zu hohe Anfor-
derungen. Auch wir selbst sind überfordert in der Rolle des Anregers, Kontakters, Vermittlers; sowohl psychologisch wie physisch, zeit wie energiemäßig. Auch fehlt politische Übersicht. Wir sind unsicher.
Die Erfahrung des Jahres AKTIONSRAUM 1 hat uns den Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit (1,3 Millionen Einwohner) aufgeben lassen. Über die Zielgruppe: Kunstliebhaber hinaus hatten wie keine klare Vorstellung, wo wir ansetzen und wie wir vorgehen sollten.
Aktionsraum 1 oder 57 Blindenhunde, München 1971, 48 f.