Materialien 1970

Die Erfahrungen ...

mit dem AKTIONSRAUM 1 hier in München waren für mich hier in München zusätzliche Erfahrungen mit der Polizei hier in München.

Hier in München gibt es eine gute Tradition in der Diffamierung und Verfolgung kreativer Bestrebungen. Kandinsky wurde in der Stadt München zum Bespucken freigegeben.1 Und es wurde von der Stadt München sehr viel Werbung gemacht, damit viele Münchner Bürger hingingen, ihn zu bespucken. Bespucken in München.

Die wohlerzogenen Kinder der Kandinskybespucker benutzen heute Kandinsky zur Imagepflege einer kaputten Stadt, deren Bürger von den Abgasen ebenso heimgesucht werden wie von einer rücksichtslosen politischen Polizei. Von einem kriminellen Schulsystem. Von einer kriminellen Städteplanung.

Ein Jahr gab es den AKTIONSRAUM 1 als Raum in der Waltherstraße. Hier in München. Hier, wo Stadträte nicht auf ihre ‚Weißblaue Tram’ verzichten wollen. Hier, wo die Vorbereitungen zu einer Olympiade laufen, die unter der Flagge ‚Sport & Kunst’ segeln soll. Hier, wo Kunst immer zur Verschleierung missbraucht wurde. Zum Schmücken. Zum Kaschieren. Missbraucht, bepisst von den wohlerzogenen Kindern der Kandinskybespucker.

Bei Höke sah ich die Polizei Schluss machen. Bei Nitsch sah ich die Polizei den Beginn verhindern. Sah arme Polizisten die Straße abriegeln. Sah arme Polizisten auf den umliegenden Dächern stehen. Wurde, wie viele Münchner Menschen; widerrechtlich am Betreten des A 1 gehindert. Sah, wie arme Polizisten den Wartenden auf die Füße traten, in die Kniekehlen, in den Arsch.

Sah, wie arme Polizisten den Münchnern in den Arsch traten, um zu verhindern, dass die Münchner einen nackten Arsch im Verlauf der Aktion eines Wieners zu sehen bekamen. Und ich rechnete nach, dass der Einsatz einer Hundertschaft Polizisten doch viel mehr Geld kosten müsse als eine Aktion von Nitsch. Und ich sah, dass die Münchner Menschen, denen Münchner Polizisten in den Arsch traten, auch in München ihre Steuern bezahlt hatten. Ich sah, dass Münchner Menschen dafür bezahlten, dass Münchner Polizisten ihnen in den Arsch traten. Ich sah, dass der Wiener Hermann Nitsch keinem Münchner Menschen in den Arsch trat. Ich sah niemals einen perversen Nitsch. Ich sah eine Hundertschaft perverser Münchner Polizisten. Ich sah keine Nitschaktion. Ich sah eine Bayrische Staatsaktion. Ich sah eine perverse Aktion.

Arme Hundertschaft perverser, kasernierter, aufgegeilter Polizisten. Arme Polizisten, die Ulrich Herzog, Günter Saree und mich von der Wohnung zum A 1 begleiteten. Im A 1 empfingen. Vom A 1 zum Amtsgericht begleiteten. Im Amtsgericht empfingen. Arme Münchner Polizisten, die meine Wohnung in der Barerstraße morgens um 5 Uhr aufbrachen. Meine Arbeiten zerstörten. Meine Kinder aus dem Schlaf rissen. Arme Münchner Polizisten, die Rinkes aus dem Gerichtssaal prügelten. Armer Amtsgerichtsrat Wöbking. Arme, kasernierte, aufgegeilte Polizisten. Zum Schlagen abgerichtete Münchner Polizisten. Geil wie am vergangenen Sonntag. Einem Münchner Sonntag. Am vergangenen Sonntag hat man mit viel Werbung die Münchner Bürger auf den Königsplatz eingeladen. Nachmittags. Und mit viel Werbung hat man den Münchner Bürgern mitgeteilt, dass dort viel gute Musik gemacht würde. Und, dass eine ganz tolle Stimmung dort sein würde.

Und dann: nach drei Stunden, als die Stimmung ganz gut war, und als die Münchner Bürger ganz guter Dinge waren, kam die Polizei.

Und: Münchner Polizisten haben die Münchner Bürger vom Platz geprügelt. Das war eine staatlich subventionierte Aktion. Und die Olympiade ist auch eine erlaubte Aktion. Aber wir aus München, die wir die nächste Zeit in andere Länder reisen, sollten den Menschen dort ganz laut erzählen, dass viele kasernierte, arme, aufgegeilte Polizisten auf die Gäste aus aller Welt warten. Und, dass dafür ein ganz großer Etat zur Verfügung steht. Ein Schlagzuetat, der viel größer ist als der Etat vom A 1 je sein wird.

Aber ich sah auch, wie Peter Nemetschek und Alfred Gulden auf ihre ruhige Art mit Polizisten im A 1 gesprochen haben. Und ich sah auch, dass diese Polizisten, wenn sie sich von ihren Herren unbeobachtet glaubten, anfingen, über die Sache zu sprechen.

Ja, wir haben im AKTIONSRAUM 1 hier in München mit Münchner Polizisten darüber gesprochen, dass lange genug darüber geredet wurde, was Kunst ist, und dass es jetzt zu zeigen gilt, was Kunst machen kann. In München und in Buffalo.

HA Schult, München, 28. Februar 1971


Aktionsraum 1 oder 57 Blindenhunde , München 1971, 106.

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1 Die erste Ausstellung der Neuen Künstlervereinigung München, zu der Kandinsky zählte, fand vom 1. bis 15. Dezember 1909 in der Galerie Heinrich Thannhauser statt. Das Münchner Publikum schimpfte, drohte und spuckte auf die Bilder.

Überraschung

Jahr: 1970
Bereich: Zensur