Materialien 1973

Geschäft mit altem Haus

Geldverdienen in München

Dieses kleine „Insel“-Haus in der Herzogstraße Nr. 2 sollte bereits 1963 abgerissen werden. Heute steht es immer noch, nicht weil der Hausbesitzer Münchner Mietern Wohnraum gewähren will, sondern weil mit solchen Häusern in entsprechender Lage viel Geld zu machen ist.

Die Mieter, die seit 1963 bis 1971 dort wohnten, kriegten zu spüren, wie es mit der Spekulation steht: Hausbesitzer Winkelmann, der zugleich Architekt ist, wollte das alte, äußerst baufällige Haus abreißen, und einen teuren Appartementbau an den gleichen Platz setzen. Das Unternehmen scheiterte jedoch an der Auflage der Stadt. Diese verlangte von Winkelmann den Bau von Tiefgara-
gen für die Bewohner des neuen Hauses. Und diese wiederum waren Winkelmann zu teuer. Des-
halb wählte W. einen Weg, der nicht nur bequemer, sondern auch einträglicher war: Während der Jahre 1963 bis 1971 tat er nichts weiteres, als jährlich die Miete zu erhöhen. Ansonsten wurde an dem Haus nichts gemacht. Weder die Bau- und Feuerpolizei noch die katastrophalen sanitären Anlagen schreckten W. davor zurück, jedes Jahr mehr Geld zu verlangen. Mit der einsetzenden Boutiquenwelle jagte W. dann nach und nach sämtliche Mieter vor die Tür. Winkelmann „verhan-
delte“ mit den Mietern in einer Form, die der Nötigung gleichkommt: Entweder ihr bezahlt mehr Miete, oder ich verpachte die Wohnung an einen finanzkräftigeren Mieter. Auf diese Weise bekam er von den Altmietern dann um 400 DM für 3 ½ winzige Zimmer ohne Küche, mit Klo auf dem Gang.

Durch Prozesse und Räumungsklagen bedroht, zogen die Mieter einer nach dem anderen aus. Die kleinen Boutique-Leute bauten das Haus aus, auf eigene Kosten. Jetzt bekommt Winkelmann 6.000 DM für den ganzen Komplex, so der Inhaber einer kleinen Boutique im „Insel“-Haus.


Blatt. Stadtzeitung für München 8 vom 12. Oktober 1973, 12. (Zum Artikel ist ein Foto des im Volksmund auch „Wolkenhaus“ genannten Gebäudes abgebildet.)

Überraschung

Jahr: 1973
Bereich: Stadtviertel

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