Materialien 1971
Der Westen
Eine besondere Geschichte hat das ehemalige Dorf Pasing. Es wurde als eines der letzten Münchner Viertel erst 1938 unter Hitler zwangsweise eingemeindet und erledigt heute noch einen Teil der Verwaltungsaufgaben in eigener Regie, im Rathaus in der Nähe des Marienplatzes. der das Zentrum des Viertels bildet. Für die Münchner war Pasing vor allem als Sitz von pädagogischen Ausbildungsstätten ein Begriff: dort befinden sich die Pädagogische Hochschule, eine Fachoberschule und Fachhochschule und sechs Gymnasien.
Doch dann, 1971, kam das Viertel noch aus einem anderen Grund ins Gespräch: – die Stadt reihte es unter die „Sanierungsgebiete“ ein – und das nicht etwa, weil hier die Bausubstanz besonders schlecht wäre oder die Infrastruktur besonders dürftig, sondern ganz schlicht deshalb, weil die Planer entschieden, Pasing würde sich gut für ein „Regionalzentrum“ eignen. Und da es das bisher noch nicht sei, läge ein „funktionaler Missstand“ vor. Später sprach man dann nur noch von „Stadtteilzentrum“.
Den Bürgern gefiel allerdings beides nicht so besonders; sie wollten am liebsten einfach in Ruhe gelassen werden (Befragungsergebnis). Das gefiel wiederum der Stadt nicht und so beschloss sie, wieder etwas Imagepflege zu betreiben.
So wurde dann am 25. Mai 1973 im Pasinger Rathaus die 2. Öffentliche Planung in München eröffnet. Sie offerierte eine Ausstellung, Veranstaltungen, ein Planspiel des Münchner Forums und einen Fragebogen, der dann in den Schubladen des Stadtentwicklungsreferates vor sich hingammelte, weil man angeblich kein Personal hatte, um ihn auszuwerten. Der Stadt war eh klar, dass bei der Bevölkerungsbefragung nicht viel in ihrem Sinne rauskommen kann:
„Es war von vorneherein mit Verständigungsschwierigkeiten zu rechnen … Das Problem lag … nicht darin, dass die Beiträge der Stadtverwaltung etwa zu wenig konkret dargestellt waren, sondern vielen Bürgern war eine Beurteilung der Alternativen unter objektiver Berücksichtigung des Gesamtzusammenhanges mit der Stadt durch ein gewisses Heimatbewusstsein erschwert, was dazu führte, dass die Alternativen … teilweise als „Planungsschocks“ empfunden wurden … Es sollte … lediglich herausgestellt werden, dass die offene Planung in Pasing lediglich den Zweck haben konnte, die Entscheidungsgrundlage für den Stadtrat zu erweitern.“
Denn: „Die Stadt kennt wahrscheinlich die Bürgerwünsche besser als die Bürger selbst.“
Einige Bürger waren darüber allerdings etwas anderer Ansicht: Sie (das heißt zwanzig bis dreißig Leute, teilweise aus der SPD und DKP) hatten schon im Dezember 1971 die „Bürgerinitiative Laim/Pasing“ gegründet und gaben eine Zeitung heraus. in der sie im Oktober 1972 die Probleme ihres Stadtteils so umrissen:
Pasinger müssen weichen!
Das Zentrum Pasings steht nach dem Beschluss des Münchner Stadtrates vom 17. November 1971 zur Sanierung an. Wie wir bereits im Informationsblatt Nr. 1 berichteten, soll Pasing nach den Vorstellungen des Stadtrates „Cityentlastungszentrum“ werden! Damals schrieben wir: Die Gefahr eines solchen Vorhabens besteht darin, dass es regelmäßig mit einer elenden Verteuerung der gesamten Gegend endet. Auch in Pasing wird die Bodenspekulation beginnen! Inzwischen hat die damals befürchtete Entwicklung längst eingesetzt! Als erstes Zeichen sieht man leerstehende Häuser am Marienplatz, in der Bärmannstraße, in der Oselstraße und anderswo. Teile Pasings beginnen zu verelenden. Mietshäuser werden nicht mehr repariert. Wie weit dieser Zustand bereits um sich gegriffen hat, zeigt die obige Skizze. ‚Wohnheime’ werden aufgemacht, in denen zu Wuchermieten in weit überbelegten Räumen Gastarbeiter wohnen – so etwa in der Ebenböckstraße Nr. 4. Beim Anwesen Landsbergerstraße 484 endlich wird klar, wo das alles hinzuführen droht: Hier soll demnächst das jetzige zweistöckige Gebäude einem 4-Millionen-Appartementhochhaus weichen, der Antrag auf die Baugenehmigung ist bereits gestellt. Anstelle des jetzigen noch relativ erschwinglichen Wohnraumes sollen nach dem Willen der Eigentümerin komfortable Appartements mit den entsprechend hohen Mieten treten. Familien mit einem normalen Einkommen werden dort nicht mehr wohnen können.
Wenn wir uns jetzt nicht zusammenschließen und zur Wehr setzen, wird morgen überall dort, wo die Häuser bewusst heruntergewirtschaftet werden oder bereits leer stehen, ein Bagger und eine Abbruchfirma erscheinen, und übermorgen werden dort Bürohochhäuser, Banken und hochkomfortable Appartementhäuser aus dem Boden schießen. Wir jedenfalls würden dort nicht mehr wohnen und die Mieten würden auch im letzten noch nicht abgerissenen Pasinger Altbau sprunghaft ansteigen!
Konzerne laufen sich die Hacken ab – Tatsachen und Gerüchte aus Pasing
Wie sich herausstellt, war die Warnung der Bürgerinitiative Laim-Pasing im Informationsblatt Nr. 1 vor einer „privaten Sanierung“ Pasings durch kapitalkräftige Konzerne nicht aus der Luft gegriffen. Seit längerem schon versuchen verschiedene Großunternehmen, ihre privaten Schäfchen hinter dem Rücken der Pasinger Bürger ohne viel Aufhebens und bevor die öffentliche Sanierung durch die Stadt überhaupt beginnt, ins Trockene zu bringen. Im Zuge der bevorstehenden Stadtsanierung wittern sie lukrativste Geschäfte und versuchen dafür bereits heute möglichst viel Boden unter die Fuße zu bekommen. Mieter und kleinere Geschäftsleute sind durch diese nicht erst in letzter Zeit unternommenen Versuche sehr beunruhigt und fürchten um ihre eigene Existenz. So ist es kein Wunder, wenn uns ein Geschäftsmann der Landsbergerstraße berichtet: „Pasing schwirrt vor Gerüchten!“ Hier sind einige von den Tatsachen und Gerüchten, die gegenwärtig in Pasing die Runde machen:
Der Kaufhaus-Konzern Horten bemühte sich darum, Gelände an der Würm zu erwerben.
Das „größte Versandhaus der Bundesrepublik“ – Quelle – war nicht so bescheiden, sondern versuchte gleich mehrere Grundstücke aufzukaufen.
Dem Kaufhof hat das Kopfmiller-Gelände in der Gleichmannstraße so gut gefallen, dass er gleich sieben Millionen dafür geboten haben soll.
An der Bahnlinie soll die Süddeutsche Zeitung bereits ein großes Grundstück für eine neue Druckerei erworben haben. Kostenpunkt: Drei Millionen DM. Für Pasing wird das Tag und Nacht durch die Straßen rollende Lastwagen bedeuten.
Äußerst rege scheint die Grundstücksspekulation auch in den Nachbarzonen des geplanten Sanierungsgebietes zu sein. So hört man in Pasing: „Wenn du mal Makler bei der Arbeit sehen willst, brauchst du nur ins Gebiet nördlich der Bahnlinie zu gehen!“ Um Angebote, Verhandlungen und Verkäufe wird von interessierter Seite eine Mauer des Schweigens gelegt. Was da passiert, geht uns aber alle an:
Die Mieter, die damit rechnen müssen, dass ihr Haus den Besitzer wechselt und vom kapitalkräftigen neuen Besitzer abgerissen wird, weil der dort ein Appartementhochhaus oder ein Bürohaus hinstellen will.
Die kleinen Geschäftsleute, bei denen die Ertragslage oft heute schon bis zum Zerreißen angespannt ist. Die Kaufhalle konnte gerade noch verkraftet werden. Gelingt einem Konzern in Pasing heute auch nur ein Einbruch – etwa mit einem größeren, gutsortierten Kaufhaus – kann das für viele kleine Geschäftsleute das Ende bedeuten. Hinzu kommt, dass gerade bei uns in Pasing viele Geschäftsleute nur Mieter sind, die nichts dagegen tun können, wenn der Eigentümer beschließt zu verkaufen. Oft haben sie nicht einmal einen Mietvertrag, der eine längere Kündigungsfrist vorsieht, so dass sie von heute auf morgen ihrer Existenzgrundlage beraubt werden können! Wie es scheint, soll Pasing nicht im Interesse der dort wohnenden Bürger saniert werden, sondern offenbar wollen sich hier Quelle, Horten und andere Konzerne sanieren.
Das aber müssen wir verhindern!
Unbeeindruckt von dem Tadel der Stadt, sie würden „die Grenzen der repräsentativen Demokratie nicht ausreichend berücksichtigen“ unternahm die Bürgerinitiative eine Reihe von Aktivitäten: Aktionen gegen Mietwucher, Bodenspekulation, Zweckentfremdung von Wohnraum, Lärmbelästigung der Bewohner in der Landsbererstraße und Nusselstrstraße, für die Öffnung eines Teils des Ebenböckparks für die Allgemeinheit, Beteiligung an Diskussionen, Veranstaltungen, Ausstellungen.
Dann trat eine gewisse „Flaute“ ein, was auch nicht zuletzt damit zusammenhing, dass sich in Pasing, zumindest auf der Oberfläche, so gut wie nichts mehr tat. Im November 1974 gab es noch einmal eine städtische Ausstellung, ansonsten unternahm die Stadt nicht mehr viel, abgesehen vom Ausbau der Bibliothek im Rathaus. An Kapitalprojekten steht lediglich der BMA-Markt im Eisenfuchsgelände (Übernahme der jetzt dort stehenden Baracken) zur Diskussion, über andere Projekte, wie etwa einer Nutzung des Löwenbräugeländes gegenüber dem Bahnhof und am Marienplatz oder einer Erweiterung der Flugzeugbaufirma Dornier (die nach der Auflösung ihres Werks in Speyer jetzt den Alpha-Jet in München bauen will; sie hat Niederlassungen in Pasing, Neuaubing und Germering) gibt es nur Gerüchte. Auch der Gastarbeiteranteil bleibt hinter dem innenstadtnaher Viertel um einiges zurück.
Erwähnenswert sind noch die Villen in der Gegend Alte Allee/Marschnerstraße: die größtenteils von Riemerschmied erbauten, gut erhaltenen und sehr schönen, Efeu bewachsenen alten Gebäude mit um die zwölf Zimmer, stehen teilweise leer und viele sollen abgerissen werden, obwohl in dem als Park- und Wohngebiet ausgewiesenen Gebiet nur eine wenig intensive Bebauung (wie Reihenhäuser mit Gärten) gestattet ist.
In der „Rangskala“ der Probleme Pasings und der umliegenden Viertel werden diese zögernden Umstrukturierungstendenzen allerdings überlagert von der sich zunehmend verschlechternden Verkehrssituation. Auf der einen Seite hat man es hier mit einem stetig wachsenden Verkehrsaufkommen zu tun – Folge der immer weiteren Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsplatz – und einer städtischen Verkehrskonzeption, die in den ent- scheidenden Jahren der Münchner Entwicklung von der Priorität des Individualverkehrs und vom Leitbild der monozentrischen Stadt ausgegangen war; auf der anderen Seite steht dafür nur das „völlig unzureichende Straßennetz im westlichen München“ (Münchner Forum) zur Verfügung.
So quälen sich die Autos während der Stoßzeiten im Schritttempo durch die Ausfallstraßen und weichen oft auch aus in die dazu noch weniger geeigneten Dorfstraßen (wie zum Beispiel in Obermenzing der Durchgangsverkehr der Pippinger- und Verdistraße, letztere ist die Zubringerstraße zur Stuttgarter Autobahn). Dass diese Viertel im Falle einer „Aufwertung“ (und was das bzgl. Verkehr heißt, kann man bei den Innenstadtrandgebieten sehen) eine mittlere Katastrophe an Lärm und Gestank fürchten, ist unmittelbar einleuchtend.
Ein besonders neuralgischer Punkt im Verkehrsgewühl des Münchner Westens ist die Laimer Unterführung, auch „Gift- und Angströhre“ genannt, letzteres wegen der Fußgänger, die durch sie durchmüssen, wenn sie von Laim nach Neuhausen/Nymphenburg wollen (Vier Kilometer lang gibt es keine andere Verbindung über/unter den Gleisen) oder auch nur zum S-Bahnhof, der nur von der Tunnelmitte aus zugänglich ist. Der Vorschlag, man sollte die Leute doch wenigstens umsonst mit dem Bus durch den Tunnel fahren lassen, scheiterte – wie sollte es anders sein – am MVV, für den dies der Einführung des Nulltarifs gleichkommt – und davor behüte uns Gott.
Fatalerweise produziert die angebotene „Lösung“ des Verkehrsproblems nur ein neues: Umgehungsstraßen wie der unter den jetzigen Bedingungen wohl nötige Autobahnring zerstören entweder Wohn- oder Erholungsgebiete. Aubing und Lochhausen wehren sich verständlicherweise gegen die geplante Trasse zwischen ihren Gebieten, deren negative Auswirkungen nicht abzusehen sind, und ebenso stießen alle „alternativen“ Trassenführungen des Fernstraßenrings Süd auf den Widerstand der betroffenen Gemeinden im Münchner Süden, noch dazu, da hier jede der „Alternativen“ 400 – 600 ha Wald zerstören würden. Der Bund Naturschutz sammelte deshalb allein in sechs Wochen 30.000 Unterschriften gegen den Autobahnring.
Die öffentlichen Verkehrsmittel bilden – wie üblich – auch keine überzeugenden Alternativen. Der einzige U-Bahnanschluss nach Neuhausen wurde bis auf weiteres zurückgestellt (1970: ebenso wie alle anderen U-Bahn-Linien jenseits des Mittleren Rings mit Ausnahme der U 1 nach Perlach). Eine zweite S-Bahn-Verbindung nach Laim ist zwar in der Diskussion, aber in nächster Zeit nicht zu erwarten. Andere Verkehrsmittel stoßen oft auf Protest, wie zum Beispiel bei dem besonders feinfühligen Beschluss der Stadt, in die Würmtalstraße (Hadern) eine Straßenbahnlinie zu legen – und dafür hundertdreißig alte Alleebäume zu beseitigen. Die Reaktion folgte prompt.
Das Innenministerium stellte darauf hin plötzlich Mittel in Aussicht, um die Trambahn so bauen zu können, dass die Bäume erhalten bleiben. Bis jetzt sind weder Holzfäller noch Straßenbahn in Sicht.
Peter Schult/Ralph Schwandes/Herbert Straub/H.-Rainer Strecker/Ursula Wolf, Stadtbuch für München 76/77, München 1976, 140 ff.