Materialien 1972
Kontakte zur Sowjetunion
Von der Kommunisten-Phobie der SPD wurde ich auch betroffen. In den sechziger Jahren, wäh-
rend meiner Arbeit bei Erwin Essl regte dieser an, Kontakte mit der damaligen UdSSR zu knüpfen. Ich erinnere mich, dass 1972, als ich schon im Stadtrat war, der »Friedenszug« nach Moskau fah-
ren sollte. Aus verschiedenen Städten sind solche Züge nach Moskau gefahren, und dort wurde ein großes Friedenstreffen abgehalten. Ich wollte mitfahren, aber als Stadträtin war ich ja eine öffentli-
che Person und musste das deshalb der Partei melden. Ich ging zum Hans Preisinger, dem Vorsit-
zenden der SPD-Stadtratsfraktion, und sagte: »Pass auf, ich fahre mit dem Friedenszug.« Er droh-
te mir: »Du wirst sofort aus der Partei ausgeschlossen, ich werde dafür sorgen. Das ist unmöglich, Du kannst nicht als Stadträtin und Mitglied der SPD mit den Kommunisten mitfahren! Das kommt überhaupt nicht in Frage!« Also fuhr ich nicht nach Moskau.
Dann gründeten wir, also Erwin Essl, einige andere Leute und ich, 1972 die Bayerische Gesellschaft zur Förderung der Beziehungen zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik Deutschland. Georg Kronawitter unterstützte das damals sehr. 1973 flogen wir ganz offiziell nach Moskau, Preisinger hin, Preisinger her. Es gefiel ihm immer noch nicht. In Moskau befand sich ja der böse Feind.
Wir kooperierten dann diese ganzen Jahre bis 1989, also praktisch bis zur Wende, sehr viel mit den Leuten, die damals in der UdSSR das Sagen hatten. Das waren natürlich zum großen Teil Linien-
treue.
Wir lernten aber auch andere kennen, zum Beispiel in Kiew, mit denen wir eine Städtepartner-
schaft eingehen wollten. Die Amerikaner regten sich unendlich darüber auf. Es sei unmöglich mit dem Feind aus dem Osten, das ginge nicht. Kronawitter verzögerte das deswegen jahrelang. 1989 flogen wir dann mit einer großen Delegation und Oberbürgermeister Kronawitter nach Kiew. Der war ganz glücklich, dass doch er derjenige war, der das unterschrieb. 1990 besuchten die Leute aus Kiew mit dem damaligen Oberbürgermeister Sgurski München, alles war eitel Freude und das Feindbild endlich überwunden.
Inge Hügenell
Ingelore Pilwousek (Hg.), Wir lassen uns nicht alles gefallen. 18 Münchner Gewerkschafterinnen erzählen aus ihrem Leben, München 1998, 100 f.