Materialien 1972

Streik der Sozialpädagogen

Im März streikten die Studenten der Fachoberschule (Richtung Sozialpädagogik) und der Fachschule für Sozialpädagogik gegen die katastrophalen Zustände in der Ausbildung der Sozialpädagogen. In einer Demonstration am 24. März demonstrierten die Sozialpädagogikstudenten aus München gemeinsam mit den Sozialpädagogikstudenten aus anderen Bayrischen Städten gegen die Verschlechterung und die Verschärfung ihrer Studienbedingungen. Ihr solidarisches Handeln hat gezeigt, dass sie begriffen haben, dass nur durch den gemeinsamen Widerstand den Angriffen des KuMi und der Verschlechterung der Studienbedingungen begegnet werden kann, und dass sie wissen, welche Interessen hinter diesen Angriffen stecken; nämlich die des Kapitals. Eine Parole auf der Demonstration am 24. März lautete: „Sozialarbeiter bringen keinen Profit – drum macht dieser Staat nicht mit.“

Einige Zahlen mögen die Situation der Sozialpädagogen verdeutlichen. In Westdeutschland fehlen nach offiziellen Angaben ungefähr 30.000 Sozialarbeiter. Nur für jedes vierte Kind ist ein Kindergartenplatz vorhanden. Auf 40 Kinder im Kindergarten kommt durchschnittlich ein Erzieher, so dass eine sinnvolle Arbeit überhaupt nicht möglich ist. Auf 1.796 Strafentlassene kommen 5 Sozialarbeiter, ein Beispiel für den modernen Strafvollzug.

Das sind Zahlen, die die Wirklichkeit der sozialen Grundordnung widerspiegeln; und sie stehen nicht allein.

Wie aber reagiert der Staat auf diese offensichtlich katastrophale Situation? Er führt den Numerus Clausus ein!

1969 wurde „als Wahlschlager“ die Fachoberschule eingeführt und als Errungenschaft im Ausbau des Bildungssystems bezeichnet. Viele junge Menschen machten von dieser Versprechung Gebrauch und begannen das Studium an den Fachoberschulen (Richtung Sozialpädagogik). Spätestens zu diesem Zeitpunkt lagen die genauen Zahlen über die Anzahl der Studenten vor, die zwei Jahre später, nach Abschluss der Fachoberschule ihre Ausbildung an den Fachhochschulen (Richtung Sozialpädagogik) fortsetzen würden. Aber nun hatte sich die Situation insoweit grundlegend geändert, als die Wahlen vorbei waren und die Versprechungen von damals längst vergessen waren. Man hatte ja schließlich wichtigere Dinge zu tun, z.B. das Rundfunkgesetz zu novellieren.

Als die Sozialpädagogen dann für ihre berechtigten Interessen streikten und demonstrierten, war die erste Reaktion des Kultusministeriums, die Bestrafung der Studenten zu fordern. Diese Reaktion reiht sich ein in die Tendenz, die wir schon vom Fachhochschulgesetz und vom bayrischen Hochschulgesetzentwurf kennen. In dem Entwurf für ein Fachakademiegesetz, unter das die Fachschule für Sozialpädagogik fällt, heißt es zum Beispiel in Art.65 über das Wesen der Fachakademie: „Fachakademien dienen der vertieften beruflichen Aus- oder Fortbildung. Ihre fachlichen Lehrziele bedürfen ständiger Anpassung an den Entwicklungsstand in Technik und Wirtschaft.“ Natürlich ist auch von studentischer Mitbestimmung nicht mehr die Rede.


Kritische Politik. Informationen der Studentenschaft an der Hochschule für Politik München 3/!972, 40.

Überraschung

Jahr: 1972
Bereich: StudentInnen

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