Materialien 1973
Die Praxis: Diskriminierung progressiver Pädagogen und Juristen
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Ulrich Kuder
„Wieder wurde ein Münchner Lehrer aus politischen Gründen gefeuert: Der evangelische Kaplan Ulrich Kuder, Religionslehrer an der städtischen Friedrich-List-Wirtschaftsaufbauschule und akti-
ver Jungsozialist, wurde vom Referat des CSU-Stadtschulrates Fingerle vor die Tür gesetzt.
Der Leiter des Münchner Personalreferats, Stadtrat Wüstendörfer, erklärt Kuders Entlassung so: ,Ja das war doch der, der einen Religionsunterricht gemacht hat, der keiner war.’ Weiter kann er zu dem Fall nichts sagen, ,denn ich bin über Details nicht informiert’.
Vikar Kuder indes weiß um die Gründe: ,Mein Direktor Martin Lutz wirft mir vor, ich hätte keinen Religionsunterricht, sondern Kulturunterricht gemacht. Außerdem hätte ich es nicht verstanden, Interesse für meinen Lehrstoff zu wecken.’
Kuder weist dies zurück: ,Ich habe das Thema Frieden in den Mittelpunkt gestellt. Doch habe ich immer ausgiebig andere religiöse Fragen behandelt.’ Zum Schülerinteresse am Unterricht: 59 Schüler schrieben an ihren Direktor: ‚Lassen Sie Vikar Kuder weiter unterrichten. Er war einer der fähigsten Religionslehrer, den wir je hatten.’
Mittlerweile hat sich auch die SPD München eingeschaltet: Der Kreisverband II protestierte gegen die Entlassung. ,Die Friedhofsruhe’, meint der Münchner Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Jaroslaw Strutynski, ,geht eben dieser Schulbürokratie über praktische Demo-
kratie.’
(Abendzeitung, München, 18./19.3.1972)
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Benno Moosmüller
wurde als Lehramtskandidat abgelehnt. Begründung: Moosmüller kandidierte 1969/70 in der PH München auf den Listen von SHB und Roten Zellen und war Mitunterzeichner eines Flugblattes, das die Gleichheit der Bildungschancen propagierte und es als Aufgabe der Sozialpädagogen dar-
stellte, klassenkämpferische Ansätze bei Eltern unterprivilegierter Kinder zu fördern. In dem Be-
scheid hieß es, er trete damit für den Klassenkampf ein, das „Grundgesetz kennt aber keine Klassen sondern nur Bürger. Das hätte der Antragsteller erkennen müssen.“
(Rechtsanwalt Hans-E. Schmitt-Lermann)
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Dr. Bertram Wohak
„An der Technischen Universität München wurde dem Wissenschaftler Dr. Bertram Wohak vom Mathematischen Institut wegen seines Engagements in der Gewerkschaft Erziehung und Wissen-
schaft und Sympathien für den MSB Spartakus zum 31. Mai gekündigt. Nach energischen Prote-
sten des Personalrats und der Gewerkschaft wurde die Kündigung rückgängig gemacht.“
(ppa, 30.5.1973)
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Claudia Eisinger
Gerichtsurteil: „Gegen die Verfassungsmäßigkeit des Art. 9 Abs. 1 Nr.2 BayBG, soweit er auf Dauer angelegte Beamtenverhältnisse betrifft, bestehen keine Bedenken.
Eine Vorlage an ein Verfassungsgericht kommt gem. Art. 100 Abs. 1 GG nicht in Betracht, weil die Entscheidung nicht von der Verfassungsmäßigkeit der Regelung abhängt.
Denn die Antragstellerin hat glaubhaft, d. h. überwiegend wahrscheinlich gemacht, dass sie die Ge-
währ dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinn des Grund-
gesetzes und der Bayer. Verfassung einzutreten.
Zwar wird im allgemeinen Erklärungen über innere Tatsachen gegenüber solchen über äußere Tat-
sachen ein geringerer Überzeugungswert zukommen, weil sich das Gegenteil schwer nachweisen lässt, also auch die strafrechtliche Absicherung durch § 156 StGB schwach ist. Jedoch erscheint die Antragstellerin gerade durch den Freimut, mit dem sie ihre politischen Auffassungen und Ziele darlegt und sich zum marxistischen Sozialismus bekennt, als glaubhafte Persönlichkeit. Sie hat im übrigen auch tatsächliche Situationen geschildert, in denen sie nach ihrer Versicherung gegen eine Abwertung der Ordnung des Grundgesetzes eingetreten ist.
Die Tatsache, dass sie Antragstellerin Mitglied der DKP ist, darf nicht zu ihrem Nachteil berück-
sichtigt werden.
Ist die DKP eine neue Partei, dann kann nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21.3. 1961 (BVerfGE 12, 296/304 ff.) auf Grund des ,Parteienprivilegs’ des Art. 21 Abs. 2 GG bis zur Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts niemand die Verfassungswidrigkeit dieser Partei recht-
lich geltend machen.
Was das Grundgesetz erlaubt, kann das Beamtenrecht nicht verbieten. Die überzeugenden Ausfüh-
rungen des Bundesverfassungsgerichts haben nach ihrem Sinngehalt Bedeutung für die gesamte Rechtsordnung …
… Dieses Urteil wurde am 29. Juni 1973 in der Hauptsache bestätigt!
Pro und Kontra zum Ministerpräsidentenbeschluss. Schriftenreihe des „Pressedienst Demokrati-
sche Aktion 14, München (1973), 75 ff.