Materialien 1973
Endlich vergessen
VERGANGENHEIT
Das Münchner Verkehrsamt versucht, Touristen von der KZ-Gedenkstätte Dachau fernzuhalten
„Um Gottes willen, was wollen Sie denn da? Da lohnt sich wirklich kein Besuch. Das ist doch schon so lange her und gar nicht mehr wahr;“ Mit solchen Auskünften werden im städtischen Münchner Verkehrsamt Touristen geschockt, die sich nach Besuchsmöglichkeiten im ehemaligen Konzentrationslager Dachau erkundigen.
„Nur verschwommen und widerwillig“, so berichtet jetzt der Journalist Christopher Byron im US-Nachrichtenmagazin „Time“, habe man im Münchner Touristenbüro seine Fragen nach der KZ-Gedenkstätte Dachau beantwortet. Für die auffällige Zurückhaltung des Auskunftspersonals möchten sich dessen Vorgesetzte mit aus der Affäre ziehen. „Gereizt erklären sie“, so Byron, „dass es ihnen nicht gestattet sei, Broschüren zu verteilen oder auch nur Basisinformationen über die Öffnungszeiten der KZ-Gedenkstätte zu geben; weil diese außerhalb der Münchner Stadtgrenze liegt.“
Wer sich allerdings nicht für Hitlers Vernichtungslager vor den Stadttoren, sondern für des Bayernkönigs Prachtschlösser interessiert, dem sprudelt Wissenswertes nur so entgegen. Eckhart Müller-Heydenreich, Bürgermeister in München, nennt das Gebaren des Auskunftspersonals und dessen Ausflüchte „echt katastrophal“, zumal er weiß, „wie eng der Name Dachau im Ausland mit München verbunden ist“. Er will auf schnelle Abhilfe drängen.
Sein verantwortlicher Verkehrsdirektor Otto Hiebl aber wiegelt entschlossen ab, verteidigt das Mundwerk seiner Angestellten und gibt die Schuld den Journalisten: Schon oft will der hochbezahlte Fremdenwerber erlebt haben, dass gerade ausländische Reporter seinen Untergebenen Fangfragen stellen, um ihre Sensation zu bekommen. Hiebl: „Einem Journalisten, der von einer geschulten Hostess betreut wird, passiert das nicht.“
Nur – 50.000 Menschen besuchen allmonatlich die Gedenkstätte Dachau.
Die Behandlung im Münchner Informationszentrum hat manche schon an den Rand des Nervenzusammenbruchs geführt. Von Fragestellern wie Ruth Jakusch, der Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, zu berichten weiß: „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Besucher sich bei mir über die Beeinflussungsversuche im Münchner Verkehrsamt bitterlich beschweren.“
Um wenigstens zu verhindern, dass Besucher vor verschlossenen Toren stehen, appellierte Frau Jakusch mehrfach an die Bayerische Schlösser- und Seen-Verwaltung, der auch die KZ-Gedenkstätte untersteht, zumindest deren Öffnungszeiten in die Veranstaltungskalender zu übernehmen. Doch Verkehrschef Hiebl lehnte das Ansinnen der ehemaligen Emigrantin ab: „Wo kämen wir denn da hin? Dann könnte ja jeder kommen. Das würde ja völlig unseren Rahmen sprengen.“
Von wegen: Die offizielle für Ausländer verfasste Broschüre „Bavaria-Information“ unter dem Motto „Alles, was Sie über Bayern wissen müssen“, zählt von der Kleinstgemeinde Mespelbrunn bis zur Landeshauptstadt München 160 Ortschaften samt ihren Sehenswürdigkeiten auf. Nur über Dachau muss man nichts wissen.
„Unsere KZ-Gedenkstätte passt offensichtlich nicht in die Weltstadt mit Herz, das ist das Wirklichkeitsproblem“, vermutet Ruth Jakusch. Macht man sich freilich die Forderung zu eigen, die die Verkehrsamtsangestellte IIsa Andjulobici an die Touristen stellt, dann hat auch dieses Problem seine Endlösung: „Das Konzentrationslager Dachau“, sagt die resolute Dame am Auskunftsschalter, „das soll man endlich vergessen, ein für allemal.“
D
konkret. Monatszeitung für Politik und Kultur 34 vom 16. August 1973, 11.