Materialien 1973

„Noch drei Tote bei BMW?“ ...

stand als Überschrift auf einem Flugblatt der Arbeitersache, in dem die mangelhaften Sicherheits-
vorkehrungen und die gesundheitsschädigende Arbeit bei der BMW kritisiert wurde. Im einzelnen wurde in dem Flugblatt der Fa. BMW vorgeworfen:

▫ Einem türkischen Kollegen wurde die Hand abgequetscht.
▫ In der Halle 17 fallen häufig Frauen um, die ständig die Abgase einatmen müssen.
▫ Die Dämpfe in der Lackiererei, der Chemikaliendunst im Auto beim Putzen des Wagenhimmels verursachen dauernde Übelkeit und Ohnmachtsanfälle.
▫ Beim Wagenreinigen bekommen die Frauen alle Rheuma in den Händen, weil sie dauernd in die kalte Flüssigkeit greifen müssen.
▫ In der Halle 17 beim Einbauen des Fahrgestelles muss ständig unter schwebenden Lasten gear-
beitet werden, obwohl ein Schild dies verbietet.

Das Flugblatt kommt zu dem Schluss, dass der schnelle und der langsame Tod in der Fabrik eine alltägliche Erfahrung sei.

Gegen die Unterzeichnerin des Flugblattes, Gertrud G. erhob die BMW Strafanzeige wegen übler Nachrede. Das Gericht verfasste einen Strafbefehl über 1.000,— Geldstrafe, ersatzweise 50 Tage Freiheitsstrafe. In der Hauptverhandlung über den Einspruch wurde Gertrud G. freigesprochen, da der Amtsrichter meinte, es sei nicht bewiesen worden, dass Gertrud G. das Flugblatt verfasst hat. Als Staatsanwalt Lancelle (in der Verhandlung hatte er eine Geldstrafe von DM 1.800,— beantragt) Berufung einlegte, war klar, dass der Freispruch mit dieser Begründung vor dem Landgericht keinen Bestand haben würde. Daraufhin benannten Gertrud G. und ihr Verteidiger zwölf Zeugen (Meister, Betriebsräte und Arbeiter der BMW) zum Beweis für die Richtigkeit der im Flugblatt aufgeführten Tatsachen. Weiterhin wurde ein richterlicher Augenschein an den Arbeitsplätzen der BMW und ein arbeitsmedizinisches Gutachten beantragt, zu beweisen, dass man die Arbeitsplätze bei der BMW als gesundheitsschädlich bezeichnen kann. Nunmehr bekam es die BMW-Leitung offensichtlich mit der Angst zu tun, dass ihre Arbeitsbedingungen gerichtlich bekannt werden und sie schrieb daher am 16.8.1974 an die Staatsanwaltschaft: ‚Hiermit ziehen wir den Strafantrag gegen Gertrud G., sowie die übrigen Verantwortlichen der Arbeitersache wegen übler Nachrede zurück.’

Schrieb die BMW seinerzeit noch zu ihrem Strafantrag: ‚Eine Strafverfolgung dürfte im öffentli-
chen Interesse liegen, weil die Verletzte eine bedeutende Stellung im Wirtschaftsleben einnimmt und ihre Belegschaft durch das Flugblatt stark beunruhigt wurde’, schreibt sie jetzt: ‚Trotz des unser Erachtens geringen öffentlichen Interesses hat die Staatsanwaltschaft aus uns unverständli-
chen Gründen gemeint … das Verfahren in zweiter Instanz fortsetzen und durchführen zu müssen.’

In der offiziellen Begründung der BMW für die Rücknahme des Strafantrages wird gesagt: ‚Uns ist in Aussicht gestellt worden, dass zu der Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht Mitglieder unseres Vorstandes hätten als Zeugen zur Vernehmung geladen werden müssen. Allein dieser Um-
stand war für uns Anlass genug, aus verständlichen Gründen für eine Beendigung des Verfahrens Sorge zutragen.

Daraufhin stellte das Landgericht Mü I das Verfahren gegen Gertrud G. ein und verdonnerte die Fa. BMW dazu, die gesamten Kosten des Verfahrens zu bezahlen.

Ebenfalls um die gesundheitsschädigenden Auswirkungen der Fa. BMW ging es im Prozess vom 22.10.74 gegen Wolfgang B., der in der Berufungsinstanz vor dem Landgericht verhandelt wurde. Wolfgang B. wurde vorgeworfen, bei der Versammlung vor dem Tor der BMW in der Riesenfeld-
straße die gegen die Lärmbelästigung durch die BMW-Transporter und LKW’s gerichtet war, eine Bierflasche in die Tür des vom Fahrer Windschüttel gesteuerten LKW geworfen zu haben.

In der ersten Verhandlung war Wolfgang B. freigesprochen worden, der Staatsanwalt legte Beru-
fung ein und forderte in seinem Plädoyer 10 Monate Gefängnis wegen Landfriedensbruch und anderer Vorschriften.

Nachdem sechzehn Zeugen gehört wurden, davon zwölf von der Verteidigung benannte, musste Wolfgang B. erneut freigesprochen werden. Es stand fest, dass der Polizist Straßer, der unter Eid ausgesagt hatte, Wolfgang B. habe die Flasche direkt unter seinen Augen in die geöffnete Beifah-
rertür geschleudert, die Unwahrheit sagte. Die Beifahrertür war nämlich geschlossen und verrie-
gelt, außerdem war der Transporterfahrer ohne anzuhalten mit hohem Tempo durch die Menge, die vor dem BMW-Tor versammelt war, gefahren, so dass es gar nicht möglich gewesen wäre, die Flasche in das Fahrerhaus zu werfen. Auch BMW-Werkschutzboss Schmitz konnte die klaren Aussagen der als Zeugen geladenen Bewohner der Riesenfeldstraße nicht erschüttern, obwohl er versuchte, Schauermärchen von Angriffen auf den LKW zu erzählen und aussagte, der LKW sei ‚sehr zart und vorsichtig’ durch die Menge gefahren.

Der Freispruch darf jedoch nicht vergessen lassen, dass das Verfahren gegen den LKW-Fahrer, der brutal in die Menge, die ihre berechtigte Forderung nach Abbau des gesundheitsschädlichen Lärms und der Abgase vertraten, gefahren war, nunmehr schon das zweite Mal eingestellt wurde.

Natürlich ist auch weder im Fall Lärm- und Geruchsbelästigung in der Riesenfeldstraße, noch im ersten Fall angesichts der massiven Vorwürfe gegen die Arbeitsbedingungen, der Staatsanwalt-
schaft eingefallen, gegen die BMW zu ermitteln.

Arno


Blatt, Stadtzeitung für München 32 vom 1. November 1974, 11.