Materialien 1973

Dank F.J. Strauß & „Bayern-Kurier“: Fronten werden immer klarer!

Mitbestimmung an der Politik ihrer Partei entwickelt sich bei Mitgliedern und Delegierten der CSU nur äußerst zäh. Kein Wunder bei einem Parteivorsitzenden, der Mitbestimmung für ein böses Wort hält. Und der schon vor dem letzten Parteitag der CSU voraussagte, es werde „keinen links- und keinen Rechtsruck“ geben. Wohin nach rechts wollte eine Partei, deren Leitblatt „Bayernku-
rier“ heißt, auf demokratischem Boden auch noch rucken? Bliebe die Frage: nach „links“?

Es gab einige Versuche der Christlich-Sozialen Arbeitnehmerschaft, die Diskussion der Mitbestim-
mung in Gang zu bringen. Doch Franz Josef Strauß blockte ab. Nur aus taktischen Gründen, um nach dem Streit zwischen SPD und FDP über diese Frage als „Retter des Vaterlandes“ mit einem eigenen Konzept aufzutreten?

Oder weiß die CSU wirklich nicht, wie sie sich in der Mitbestimmungsfrage ausdrücken soll?

Wer „die CSU“ sagt, muss den inneren Aufbau dieser Partei berücksichtigen. Herrscht doch in ihr eine Art von schrittweiser „Gewährungsdemokratie“ von oben nach unten. Will man wissen, was „die CSU“ von Mitbestimmung der Arbeitnehmer und von den Gewerkschaften hält, hält man sich am besten an die CSU-Wochenzeitung „Bayernkurier“, für die Franz Josef Strauß als Herausgeber verantwortlich zeichnet.

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Über Gewerkschaften wird im „Bayernkurier“ oft geschrieben.
Von vielen Autoren, aber mit immer derselben Tendenz:
Vor ihnen und einem nicht näher beschriebenen „Gewerkschaftsstaat“ wird gewarnt.

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CSU-Führung und „Bayernkurier“ behandeln Fragen der Gewerkschaften keineswegs stiefmütter-
lich. Im Gegenteil. Ein ganzer Strauß verschiedener Autorennamen vertritt im Strauß-Blatt zwar nicht unbedingt eine Vielfalt von Meinungen dazu, ganz gewiss aber eine einfältige und auf Leser-
einfalt hoffende andauernde Politik der „Warnungen“ vor dem „Gewerkschaftsstaat“. Wenn das zu einem Gesetzentwurf reifen würde, was in und zwischen den Zeilen des „Bayernkurier“ steht, dann wäre die Bezeichnung der CSU als „Unternehmerpartei“ eine sanfte Untertreibung. So wird erklär-
lich, dass Strauß die Mitbestimmungsfrage auf die lange Bank geschoben hat.

„IG Metall pokert mit wilden Streiks.“ So lautete die Überschrift im „Bayernkurier“ vom 15. Sep-
tember, und der Untertitel fasst den Inhalt des Artikels zusammen: „Hohe Lohnforderungen gegen Stabilitätspolitik.“ Der gleichförmige Singsang von den immer nur stabilitätsgefährdenden Lohn-
forderungen der Gewerkschaften ist im „Bayernkurier“ bei jeder Lohnrunde fast mit gleichen Wor-
ten zu vernehmen. Vom üblichen Text wich die Zeitung nur während der Wirtschaftskrise von 1966/67 geringfügig ab. Damals wurde das Wort „Stabilität“ lediglich durch die Begriffe „Konjunk-
tur“ und „Vollbeschäftigung“ ersetzt. Lohnerhöhungen – das ergibt sich aus einer regelmäßigen Lektüre des „Bayernkurier“ – sind immer gefährlich: Sei es, dass sie die Vollbeschäftigung oder die Stabilität gefährden. Gerechtfertigt sind sie laut „Bayernkurier“ nur dort, wo sie als Folge einer „verfehlten Wirtschafts- und Steuerpolitik der liberalsozialistischen Koalition“ gewissermaßen als unvermeidliches Übel darstellbar sind.

Klar, dass im „Bayernkurier“ zu aktuellen Tarifkämpfen jeweils Unternehmer-Stellungnahmen zi-
tiert werden. Konsequent. Während die gewerkschaftlichen Begründungen für ihre Forderungen und Maßnahmen jeweils unterschlagen werden. Ebenso konsequent.

Dies gilt auch für diesen Kommentar: „Sowohl die Höhe dieser Forderung wie auch ihre Begrün-
dung entsprechen in keiner Weise den Erfordernissen einer stabilitätsorientierten Einkommenspo-
litik, sagten die bayerischen Metallunternehmer in einer ersten Stellungnahme. Was keineswegs auf die gegenwärtigen Tarifauseinandersetzungen gemünzt ist, sondern schon auf die letzte Lohn-
runde bezogen war. Es stand unter dem Datum vom 16. Dezember 1972 in Straußens Hausblatt. Auch die angeblich durch die Gewerkschaften – durch wen auch sonst? – „gefährdete Tarifauto-
nomie“ wurde schon damals vom „Bayernkurier“ beschworen:

„Die Tarifbewegung in der Metallindustrie – in Bayern wie im Bund – ist ohne Zweifel eine Be-
währungsprobe für die Tarifautonomie. Bei Inflationsraten von sechseinhalb Prozent ist eine Neubesinnung und Neubestimmung in der Tarifpolitik erforderlich, wenn die autonomen Lohn-
entscheidungen nicht zu selbstzerstörerischen Kräften in unserer sozialverpflichteten Gesell-
schaftsordnung werden sollen. In den vergangenen zwei Jahren forderten die Gewerkschaften additiv (Anm: zusätzlich) zum Produktionszuwachs jeweils die volle Inflationsrate … Ebenso fragwürdig wie das Rechnen mit Inflationsraten ist die Behauptung, es seien heute Lohnerhö-
hungen von mindestens neun Prozent notwendig, damit der Arbeitnehmer keinen ‚Reallohnver-
lust’ erleide.“ Einen eigenen Vorschlag der CSU, wie hoch denn Lohnerhöhungen aus der Sicht des „Bayernkurier“ sein dürften, sucht man – natürlich – vergebens. Hier haben Franz Josef Strauß und seine Kommentatoren ein besonders ausgeprägtes Schamgefühl.

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Lohnerhöhungen – so der „Bayernkurier“ – sind immer gefährlich.
Entweder gefährden sie die Vollbeschäftigung oder die Stabilität.

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Erinnern wir uns aber: Die Folge der Abschlüsse von damals war, dass etliche Unternehmer nur kurz danach über Tarif zu zahlen begannen. Was Wunder, dass die von solchen Verbesserungen nicht begünstigten Arbeitnehmer – die ja weder blind noch gehörlos sind – auch darin Gleichstel-
lung verlangten und dies durch spontane Arbeitsniederlegungen bekräftigten.

Wenn es also überhaupt einen Vorwurf geben kann, der die damalige Lohnrunde betrifft, dann allenfalls der, dass die doch offensichtlich vorhanden gewesenen Reserven des Kapitals nicht hart genug herausgefordert worden waren.

Tarifverträge haben eine bestimmte Laufzeit, Preise nicht. Die strukturell bedingte Preis-Lohn-Spirale wird dem Leser des „Bayernkurier“ immer wieder irreführend als Lohn-Preis-Spirale vor-
gegaukelt. Dennoch scheut sich der Herausgeber Franz Josef Strauß nicht, im Bundestag genau jenen Reallohnverlust gegen die Bundesregierung ins Feld zu führen, den sein „Bayernkurier“ in Gänsefüßchen setzte – was nach dessen Gänsefußübung (denken wir an die „DDR“) ja wohl be-
deuten soll, dass man ihn nicht anerkennt. Auf diese Art und Weise kann man sich immer hinter Unternehmerzitaten verschanzen, um das Gespenst des „Gewerkschaftsstaates“ an die Wand malen und doch sagen zu können: „Ich war’s ja gar nicht!“

Noch ein Beispiel: „Unser System der sich immer mehr verfeinernden sozialen Marktwirtschaft ist in den Augen der Gewerkschaftsideologen selbstverständlich kapitalistisch. Durch ‚Demokratisie-
rung’ sollen die ,Ausgebeuteten’ befreit, gleichgemacht und im Ergebnis ärmer werden.“ So steht’s im „Bayernkurier“ vom 23. Dezember 1972, vermutlich zum grundsätzlichen Nachdenken in der besinnlichen Weihnachtszeit bestimmt. Dass „Demokratisierung“ in Gänsefüßchen gesetzt ist, kennzeichnet den „Bayernkurier“.

Versteht sich, dass im „Bayernkurier“ „die Frage nach der Neutralität“ der Gewerkschaften (28. Oktober 1972) natürlich nicht – wie es gewerkschaftliches Selbstverständnis ist – als Unabhängig-
keit von Parteien erklärt wird. Der „Bayernkurier“ wünscht sie sich „als ein Ordnungsfaktor beim Aufbau der Demokratie und der Wirtschaft“. Was die Zeitung unter „Ordnungsfaktor“ versteht, erläutert sie nicht.

Dennoch scheint selbst der „Bayernkurier“ die Hoffnung aufgegeben zu haben, die Gewerkschaften jemals zum Aufpasser für Arbeitnehmer herabwürdigen zu können Neuerdings schlägt die CSU eine Konkurrenz zu den Gewerkschaften vor. Mit Beschluss vom 27. September 1973 fordert der CSU-Landesvorstand ein Gesetz zur Errichtung von Arbeitskammern. Diesen Kammern soll jeder Arbeitnehmer zwangsweise angehören. Und er soll sie, ebenfalls zwangsweise, mit einem Jahres-
beitrag von rund 100 DM mit finanzieren. Die Zielrichtung dieser CSU-Politik geht eindeutig auf Entmachtung dessen, was man nicht an die Kandare kriegen kannte: die Gewerkschaften. Was ich nicht umbringen kann, mache ich schwächer, lautet die Devise.

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Neutrale Gewerkschaften wünscht sich der „Bayernkurier“ als „Ordnungsfaktor“.
Was er darunter versteht, schreibt der „Bayernkurier“ nicht.

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Unser System, das wir im Ernst nur mit Mühe ein marktwirtschaftliches nennen können, wird ständig mehr ausgehöhlt durch internationale Kapitalkonzentration. CSU und „Bayernkurier“ wollen nun auch noch die Absicherung dieser Entwicklung durch Schwächung der Gegenkräfte – der Gewerkschaften.

Die Fronten werden immer klarer. Dem „Bayernkurier“, dessen gewerkschaftsfeindliche Haltung immer deutlicher wird, sei für seine Offenheit gedankt.

Carl-Friedrich Ponn


Metall 23 vom 13. November 1973, 13.