Materialien 1973
Schwule wachen auf ... wo denn?
„Ich toleriere ja die Homosexuellen … aber man soll mit diesem Thema nicht in die Öffentlichkeit.“ „Ach ja, Pädophilie … die alten Griechen.“ „Schweinereien!“ „Es wird endlich Zeit, dass die Homos auf die Straße gehen … ich bewundere ihren Mut.“ - „Stimmen des Volkes“ bei einer Flugblattaktion der HAM: Homosexuelle Aktion München in der Münchner Fußgängerzone im April 1973.
Wir sind schwul. Auf Toleranz, die sich als Scheinliberalität, Vorurteilsschwamm, Unwissenheit, Abwehr oder Sensationsgeilheit entlarvt, können wir verzichten.
Wir sind gern schwul!
Mitleid, Toleranz, Krankenbehandlung, Tabuisierung, Strafgesetze sind die Methoden unserer „freien“ Demokratie gegen die Interessen der homosexuellen Minderheit. Wir wollen unser Recht. In Erziehung, Massenmedien, am Arbeitsplatz, bei Bekannten, Verwandten und vor dem Gesetz werden wir diskriminiert. In unserer Gesellschaft, die scheinbar so sexualfreundlich geworden ist, aber in Wirklichkeit jede Sexualität in gesellschaftsregelnde Leistung pervertiert, muss die „ehezerstörende“ Lust der Schwulen verdrängt werden. Halbe §-Änderung kann nicht über die Benachteiligung gegenüber den Heterosexuellen hinwegtäuschen kann ein 16-jähriger Junge nicht genauso frei über seine persönliche Sexualpraxis entscheiden wie ein 16-jähriges Mädchen?! Gesetzliche Reformstümperei und Toleranzgefasel hat seit 1969 (Änderung des §175) wieder die reale Diskriminierung der Schwulen in der „normalen“ Gesellschaft noch die menschenunwürdigen Kontaktmöglichkeiten der Homosexuellen untereinander verändert.
Wir wollen unsere Situation verändern.
Dazu müssen zuerst die Schwulen einig werden. Sie sollten sich ihrer unterdrückten Situation bewusst werden: sollten solidarisch gegen jede Form von Diskriminierung kämpfen. Wir haben mit der Veränderung begonnen. Unser Sexualleben muss nicht mehr vom übrigen Alltag getrennt werden wir haben die Nase voll von Toiletten, Parks und Homokneipen. Nicht erst seit Praunheims TV- Film wissen wir Schwulen, dass nicht wir selbst, sondern die Moral der Gesellschaft gegen Minderheiten pervers ist. Doch seit Praunheims Film entstehen in der BRD (Berlin, Münster Bonn, Hamburg u.a.) Gruppen von Homosexuellen, die ihre Sexualität so selbstverständlich leben wollen, wie sie ist. In München entstanden im Frühjahr 1973 die HOMOSEXUELLE AKTIONSGRUPPE = HAG-München
Wir wollen:
- die Gleichberechtigung mit Heterosexuellen auf allen Ebenen unserer Gesellschaft,
- die Öffentlichkeit über unsere reale Situation informieren,
- mit Aktionen die Gleichsetzung des „Schutzalters“ mit Heterosexuellen auf 16 (bzw. 14) Jahren erreichen
mit den Schwulen:
- ein Bewusstsein über unsere unterdrückte Situation im Zusammenhang mit den Machtmechanismen einer kapitalistischen Gesellschaft erarbeiten
- ungekünstelt schwules Verhalten in der Öffentlichkeit praktizieren und damit unser Sexualleben als normal erleben und zeigen
- bei konkreten Konfliktfällen helfen
- alternative Treff- und Gesprächsmöglichkeiten für Schwule schaffen.
In der HAM gibt es zehn Kleingruppen mit unterschiedlicher Zielsetzung, (Selbsterfahrung, Aktionen, Theater, usw.), die sich wöchentlich treffen. Die gesamte HAM trifft sich jeden letzten Sonntag im Monat um 19 Uhr (vorläufig in der Kaulbachstraße 22). Kontakt: Gustl Angstmann 3515936, Horst Ludwig, 8 Mü. 40, Elisabethstr.7, Tel.371314.
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Blatt. 14 Tage Münchner Möglichkeiten 1 vom 6. Juli 1973, 4.