Materialien 1973

Eigennutz geht stets voran

Zur Geschichte des Hauses Amalienstraße 45

Die AKTION MAXVORSTADT hat in einer ganzen Reihe von Fällen versucht, Mietern zu helfen, die von den Eigentümern aus ihren Wohnungen vertrieben werden sollten, und ebenso versucht, Hauseigentümer daran zu hindern, ihre Häuser verkommen zu lassen. Wir beschreiben hier nur einige Fälle als Beispiel.

Das Haus Amalienstraße 45 wurde im Februar 1972 von der langjährigen Besitzerin an einen uns bis dahin unbekannten Dr. Rüdiger Renner senior verkauft. Wir sollten ihn bald kennenlernen. Dadurch, dass ich seit 1938 in der Amalienstraße wohne und mit einem Teil der Mieter sowie der Gewerbetreibenden bekannt war, wandten sich die Mieter des verkauften Hauses zunächst an mich. Sie wussten, dass ich in der Bürgerinitiative Aktion Maxvorstadt tätig war, und sie suchten Hilfe und Rat, weil Dr. Renner senior bereits im März 1972 versuchte, den Mietern, die z.T. jahre-
lang dort gewohnt hatten, einen neuen Mietvertrag aufzuzwingen. Als Jurist wusste er natürlich, dass bei einem Hausverkauf die alten Mietverträge laut § 571 BGB weitergelten.

Im Rahmen der Aktion Maxvorstadt fand im Pfarrsaal von St. Ludwig eine Mieterversammlung statt, mit Juristen, auch einem zugelassenen Rechtsanwalt; es wurde nach rechtlichen Möglichkei-
ten gesucht, den Mietern zu helfen. Gleichzeitig wurde Kontakt mit Politikern, z.B. dem Oberbür-
germeister und einigen Stadträten aufgenommen.

Auch die Presse wurde informiert, denn Dr. Renner senior war inzwischen dazu übergegangen, den Mietern das weitere Wohnen in dem Haus so ungemütlich wie möglich zu machen: Speicherabteile wurden niedergerissen, die Kellerabteile ereilte ein ähnliches Schicksal. Briefkästen wurden aufge-
brochen, Bauschutt u.a. Dreck blieben wochenlang liegen, die Haustür wurde ausgehängt, das Treppenlicht ging nicht mehr. Es half auf die Dauer nicht, dass das Amt für soziale Wohnungsfra-
gen in einem Fall – als das Wasser durch die Decke lief – eine einstweilige Verfügung gegen Dr. Renner senior erließ. Ihm fiel immer etwas Neues ein. Er ist Besitzer weiterer fünf Miethäuser in München, alle im Jahre 1972 erworben, und ging in allen Häusern mit den Mietern in ähnlicher Weise um.

Ein Drittel der Bewohner des Hauses Amalienstraße 45 war, als Dr. Renner senior das Haus kaufte, über 70 Jahre alt. Diese waren die ersten, die um „ihre Ruhe“ zu haben, aufgaben und auszogen. Sie waren dem psychischen Druck von Kündigungsschreiben, einstweiligen Verfügungen, Aufhe-
bung derselben, Drohbriefen von Seiten des neuen Hausbesitzers nicht gewachsen, vor allem da sie auch keinerlei – wenigstens moralische – Unterstützung von den zuständigen Behörden erhielten. OB Kronawitter antwortete auf einen Brief, in dem die Verhältnisse im Hause geschildert wurden, nur, dies sei eine rein privatrechtliche Angelegenheit. Kein Wort der Teilnahme, kein Wort darü-
ber, dass man versuchen könne, müsse, sollte, auf gesetzlichem Weg Abhilfe zu schaffen.

Als die Mieter versuchten, andere Wohnungen zu finden, wurde ihnen vom Wohnungsamt mitge-
teilt, sie hätten ja eine Wohnung, und daher bestünde kein Notstand, der eine bevorzugte Behand-
lung durch das Wohnungsamt rechtfertigen würde.

Auf der Bürgerversammlung des 5. Stadtbezirkes am 24. März 1973 stellte ich einen Antrag, dessen wichtigste Punkte waren:

1) den Mietern der Amalienstraße 45 auch ohne Vorliegen eines Räumungsurteils Dringlichkeits-
stufe 1/S zu geben,

2) die Mieter, die gerne im Viertel wohnen bleiben wollen, in das leerstehende Haus Amalienstraße 37 umzuquartieren, das der Stadt gehört.

Die Antwort lautet:

Das Sozialreferat nimmt wie folgt Stellung:

Zu 1.:

Nach der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 3. Januar 1969 i.d.F. vom 13. Dezember 1971 Ziffer 3.1.2. zum Vollzug des Wohnungsbindungsgesetzes 1965 (WoBindG) sind die Wohnungssuchenden nach der sozialen Dringlichkeit ihrer Bewerbung zu berücksichtigen.

Ein Wohnungsfall ist insbesondere dann dringlich, wenn der Wohnungssuchende seinen gegen-
wärtigen Wohnraum aufgrund eines Nutzungsverbotes, einer Beseitigungsanordnung oder eines gerichtlichen Räumungstitels räumen muss.

Es sind zwar Kündigungen im Anwesen Amalienstraße 45 bekannt geworden; bisher ist aber kein Mieter aufgrund eines Räumungstitels wegen Unterbringung beim Amt für soziale Wohnungsfra-
gen vorstellig geworden.

Andere Dringlichkeitsmerkmale, wie z.B. Überbelegung, liegen bei den deutschen Mietern nicht vor. Nach den Feststellungen des Amtes für soziale Wohnungsfragen sind die deutschen Mieter des Anwesens räumlich ausreichend untergebracht.

Im Frühsommer 1973 veröffentlichten wir mit Hilfe des Münchener Forums die Schrift: Private Profitgier. Am Beispiel Amalienstraße 45 München. Dokumentation von Ingeborg Schellmann und Georg Eschenbeck, in der die hier aufgezählten Fakten ausführlich dargestellt und mit Briefen, Fotos usw. dokumentiert worden sind. In dieser Dokumentation kann man auch feststellen, dass die Münchener Presse sich ausführlich mit dem Thema und dem Problem als solchem beschäftigt hat, wofür wir damals wie heute dankbar sind.

Es konnte nicht ausbleiben, dass irgendwann Herr Dr. Renner senior öffentlich behauptete, wir seien eine kommunistisch infiltrierte Bürgerinitiative. Die Aktion Maxvorstadt erhob Klage wegen Beleidigung, da die Behauptung nicht stimmte und nur in diffamierender Absicht gemacht worden war. Wir wurden vom Staatsanwalt belehrt, dass wir als Gruppe keine Anklage erheben könnten, sondern nur jeder einzelne Mitarbeiter der Aktion Maxvorstadt, worauf wir meinten, dazu sei uns unsere Zeit zu schade, und die Angelegenheit auf sich beruhen ließen.

Dafür erstattet die Bürgerinitiative Aktion Maxvorstadt am 27. September 1972 zunächst eine An-
zeige gegen den Verwalter des Hauses Amalienstraße 45, Brehme, wegen Körperverletzung, Nöti-
gung und Betrug. Diese Anzeige wurde am 21. Januar 1973 auf den Hausbesitzer Dr. Renner senior ausgedehnt. Am 12. Oktober 1976 verurteilte ein Schöffengericht Dr. Renner senior wegen fortge-
setzten Betrugs und Nötigung zu einem Jahr Freiheitsstrafe, die gegen eine Geldstrafe für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Hausverwalter Brehme wurde mit derselben Begrün-
dung zu einer Geldstraße verurteilt.

Am 6. Mai 1977 hob die 24. Strafkammer beim Landgericht München I das Urteil „wegen Mangel an Beweisen“ wieder auf.

Nach der Räumung des Hauses renovierte Dr. Renner senior die Fassaden und sollte den Fassa-
denpreis erhalten. Auf Intervention der AM bei OB Kronawitter wurde Dr. Renner senior der Preis aberkannt, was Dr. Renner senior aber nicht hinderte, den Preis für sich auf dem Klagewege zu bekommen.

Heute, 1981, sieht es auf Amalienstraße 45 so aus:

Im Haus befinden sich sieben Gewerbebetriebe und drei Läden mit öfter wechselnden Besitzern, die aufgeben, wenn die Miete immer wieder gesteigert wird.

Es gibt keine Namensschilder am Eingang, die darauf schließen lassen, dass im Haus noch Mieter wohnen.

Nachdenklich geworden durch diesen und ähnliche Fälle in unserem Viertel, wie z.B. die Häuser Amalienstraße 85, 87, 89, der heutigen „Amalienpassage“, die auch mit sehr rüden Methoden für die Mieter unbewohnbar gemacht worden sind oder für die Häuser Amalienstraße 42, 46, 48, in den 60er Jahren von der Universität gekauft, verfallen gelassen, so dass sie jetzt abbruchreif sind, hat mich veranlasst, auf der Bürgerversammlung vom 4. Dezember 1979 einen Antrag zu stellen mit der Forderung, die Stadt möge anlässlich der Mietwohnungssituation in München eine Stel-
lungnahme zu Art. 106, Abs. 1 der Bayerischen Verfassung abgeben. (Dort heißt es: Jeder Bewoh-
ner Bayerns hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung). Ich erhielt folgende Antwort: „Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichts begründet der erwähnte Artikel kein subjektives-öffentliches Recht auf eine Wohnung. Außerdem ist Miet- und Wohnungsrecht heute Bundesrecht, welches auch der Bayerischen Verfassung vorgeht.“

Nach 10 Jahren Beschäftigung mit dem Thema Mieter/Vermieter/Wohnungsnot, heute aktueller denn je durch die sogenannte Luxusrenovierung von Altbauten, kann ich aus meiner Sicht nur jedem Mieter raten, es sich bei einer Kündigung zu überlegen, ob er die Gerichte bemühen will. Das ist ein Weg, der viel Nerven, Zeit und Geld kostet. Und beim Landgericht I hat noch nie ein Mieter recht bekommen. Die Einschaltung einer weiteren Instanz, nämlich des Oberlandesge-
richts, hat bisher an diesem Zustand nichts geändert.

Eine Änderung des bestehenden Mietrechts kann nur auf politischem Weg erfolgen.

Georg Eschenbeck


10 Jahre Aktion Maxvorstadt 1971 – 1981, 151 ff.

Überraschung

Jahr: 1973
Bereich: Stadtviertel

Referenzen