Materialien 1973

Organisation, Ziele und Methoden

Aktion Maxvorstadt. Wir über uns

Seit ihrem Bestehen hat sich an der inneren Struktur der Bürgerinitiative im Grunde nichts geändert, abgesehen von einer gewissen Fluktuation der Mitarbeiter, bedingt durch den steten Konflikt zwischen dem Engagement in der Aktion und den beruflichen und häuslichen Pflichten. Denn gerade nach größeren Aktionen wie Ausstellungen, Informationsveranstaltungen und Bürgerfest treten stark Engagierte mehr zurück, neu Dazugestoßene setzen andere Akzente. Aber nach wie vor ist die Aktion Maxvorstadt kein Verein, hat weder Vorstand noch Satzung, ist an keine Partei oder Konfession gebunden, stellt keine Aufnahmebedingungen und schließt niemand aus. Sie erhebt keine Mitgliedsbeiträge und verleiht keine Ämter und Ehren. Den äußeren Rahmen für die Arbeit schafft das wöchentliche Treffen und die freundschaftliche Atmosphäre, die gewachsen ist durch die gemeinsame Erfahrung der Hilflosigkeit des Einzelnen gegenüber der Macht der Behörden und der Wirtschaft, durch den Druck von außen und durch gemeinsame Aktionen. So lebt die Bürgerinitiative praktisch nur von der Einsicht Einzelner und ihrem gemeinsamen Engagement.

Dieser schwache äußere Rahmen bedeutet ein Risiko für die Kontinuität der Arbeit und eventuell auch im Fall von Prozessen, hat aber auch erhebliche taktische Vorteile: Die Gruppe ist rechtlich und politisch schwerer zu fassen. Einfluss, Größe und Grenzen der Aktion sind für die „Gegner“ nicht leicht kalkulierbar. Die Gruppe kann die gesamte Energie nach außen richten, ist spontan handlungsfähig, kann Anregungen von außen leicht aufgreifen und lässt der Phantasie viel Spielraum. C. Offe wies darauf hin, dass eine besondere Stärke der Bürgerinitiativen darin liegt, dass sie Formen der Selbstorganisation und des Handelns hervorbringen, die im System der politischen Institutionen nicht vorgesehen sind. So gibt diese Organisationsform die Möglichkeit, auf Herausforderungen schnell und überraschend zu reagieren und die jeweils angemessene Taktik zu verwenden.

Selbstverständlich benötigt auch eine Bürgerinitiative ein erhebliches Maß an Koordinierung und Leitung. In der Aktion Maxvorstadt werden diese Funktionen bislang problemlos – ohne Wahlvorgang nach dem „Leistungsprinzip“ verteilt. Starker persönlicher und zeitlicher Einsatz bewirkt einen Informationsvorsprung, der Koordinierung und Leitung ermöglicht. Solche Personen repräsentieren die Aktion Maxvorstadt nach außen und üben verstärkten Einfluss auf die Planung und Durchführung der Aktivitäten aus. Auch wenn sich auf diese Weise immer wieder ein Hauptverantwortlicher herauskristallisiert, so wurden bei wichtigen Entscheidungen und größeren Aktionen die Verantwortung in der Regel auf einen engeren Kreis von drei bis fünf Personen verteilt. Es kam bisher nie zu sogenannten Alleingängen. Da die Leitungsfunktion sehr viel Zeit beansprucht, kommt es nach einigen Monaten immer wieder zu einem Wechsel. Auf diese Weise haben schon mehrere Mitarbeiter Leitungserfahrung gesammelt.

Die lockere Organisationsstruktur ermöglicht relativ vielen Mitarbeitern, ihre Vorstellungen von der Arbeit in einer Bürgerinitiative weitgehend zu verwirklichen. Das ist vermutlich ein Grund für die seit Beginn unverändert starke soziale Heterogenität der Aktion Maxvorstadt. Nur rund ein Drittel der Mitglieder sind Studenten, neben denen nicht weniger engagiert und aktiv Handwerker, Beamte, Hausfrauen, Angestellte, freie Berufe und alte Menschen mitarbeiten. Es gibt kein Generationenproblem. Wie in den meisten Bürgerinitiativen fehlen aber die Arbeiter und Gastarbeiter. Der aktive und kontinuierlich mitarbeitende Stamm der Aktion Maxvorstadt hat trotz vorhandenem Interesse die Zahl vierzig nicht überschritten, wohl deshalb, weil diese Organisationsform und Zusammensetzung nicht mehr an Integration und Koordination zu leisten vermag.

Alle wichtigen Aktivitäten sind bisher mit Einverständnis aller Beteiligten durchgeführt worden. Meinungsverschiedenheiten werden ertragen, wohl deshalb, weil in der Gruppe sehr pragmatisch gedacht und gearbeitet wird und ideologische Verabsolutierungen fast überhaupt nicht und wenn, dann nur in Streßsituationen, auftreten. Dabei kommt der Bürgerinitiative sicher zugute, dass in der Gruppe radikale Parteien überhaupt nicht und die anderen Parteien zahlenmäßig nur sehr schwach vertreten sind. Das hat die Aktion Maxvorstadt vor Streitigkeiten bewahrt, die in anderen Bürgerinitiativen viel Energie verbraucht haben.

Neben den vorhin genannten politischen Zielen zur Erhaltung der Maxvorstadt, sieht die Bürgerinitiative ihre Aufgabe in der Aufklärung und Mobilisierung der Öffentlichkeit, sie versucht die Isolation der Bürger zu überwinden, Resignation abzubauen, Solidarisierung zu fördern und betroffene Hausgemeinschaften zu gemeinsamem Handeln zu veranlassen. In Zusammenarbeit mit anderen Bürgerinitiativen wird die übergreifende Problematik verdeutlicht, werden Konflikte aufgezeigt und im Machtkampf der Interessen Widerstand geleistet.

Um diese Aufgaben zu erfüllen, taktiert die Aktion mit den vielfältigen Methoden, die die Bürgerinitiativen in den letzten Jahren entwickelt oder aus der gewerkschaftlichen, studentischen oder parteipolitischen Arbeit übernommen haben:

(1) Aufbau eines Informationsnetzes unter Einbeziehung von Schlüsselpersonen in den verschiedenen Behörden und Institutionen, durch verteilte Beobachtungsaufgaben und engen Kontakt mit der Bevölkerung.

(2) Information und Aufklärung der Bevölkerung durch Flugblätter, eine eigene Stadtteilzeitung, Informationsveranstaltungen und Ausstellungen, durch enge Kontakte zu Presse, Rundfunk und Fernsehen.

(3) Solidarisierung und Aktivierung der Bevölkerung durch eigene Zusammenkünfte mit Hausgemeinschaften, durch ein Bürgerfest auf den Straßen des Wohnviertels, Hilfe bei Protestschreiben und im Papierkrieg mit Behörden.

(4) Herstellung eines Meinungsdruckes und einer Gegenlobby, die die Interessen und Bedürfnisse der Wohnbevölkerung vertritt. Unterschriftensammlung, die Organisation einer Demonstration (so fand im Juli 1971 ein gemeinsamer Sternmarsch Münchner Bürgerinitiativen statt, mit großer und vielbeachteter Abschlusskundgebung in der Fußgängerzone), Weitergabe von Informationen an die Medien, Eingaben, Anzeigen, Dienstaufsichtsbeschwerden und durch die Herstellung einer kritischen Öffentlichkeit, z.B. bei Kommunalwahlen.

Zu härteren Kampfmaßnahmen, etwa einer Hausbesetzung, konnte sich die Aktion bisher nicht entschließen, weil sie davon in der konkreten Münchner Situation eine politische Isolierung fürchtet und der Ansicht ist, dass man nur das tun kann, was der eigentliche Bewusstseinsstand einer Stadtteilbevölkerung erlaubt. Die Arbeit der Aktion Maxvorstadt orientiert sich nicht an ideologischen Wunschvorstellungen, sondern an den realen Veränderungsmöglichkeiten.

Dementsprechend steht im Mittelpunkt des wöchentlichen Treffens der Austausch und die Einordnung von Informationen, die Planung neuer und die Kontrolle laufender Aktionen, Berichte und Stellungnahmen zum Münchner Planungsalltag. Grundsätzlichere Fragestellungen ergaben sich oft unvorhergesehen aus konkreten Aktionen und aus der immer wieder notwendigen Auseinandersetzung mit anderen Bürgerinitiativen, in denen vielfach die DKP mitarbeitet.

Im Laufe der Zeit geraten die Mitglieder in einen Lern- und Entscheidungsprozess: sie mussten Stellung beziehen, Argumente prüfen, liebgewordene Ansichten fallen lassen und Enttäuschungen aushalten. Sie begannen auch, an gewissen Regeln unserer parlamentarischen Demokratie zu zweifeln und entwickelten ein neues Verhältnis zur Obrigkeit. Dieser Prozess ist nicht durch theoretische oder ideologische Spekulationen in Gang gekommen, sondern infolge der praktischen Kleinarbeit. Erfahrungen sind allerdings der Ausgangspunkt für grundsätzlichere Überlegungen über gesellschaftliche Zusammenhänge. So entstehende mögliche Zukunftsperspektiven verhelfen dem Einzelnen und der Gruppe zu langfristigen Zielvorstellungen und zu einer gewissen inneren Sicherheit.


O. Soeber/Y. Spiegel (Hg.), Behindert. Süchtig. Obdachlos, München 1973, reprintet in 10 Jahre Aktion Maxvorstadt 1971 – 1981, 235 ff.

Überraschung

Jahr: 1973
Bereich: Stadtviertel

Referenzen