Materialien 1973

Mittelalter

Bayerns oberster Schulmeister, Hans Maier, kommt mit seinem Coup nicht recht an. Fast alle sind gegen seine neue „Allgemeine Schulordnung“ (ASchO), SPD, Jusos, DGB, Jungdemokraten und vor allem die Schüler.

Was steht nun in dieser komischen „Schulordnung“? Verschiedene Bezeichnungen wurden ausge-
tauscht. Statt Strafe heißt es jetzt Ordnungsmaßnahmen, Vertrauenslehrer sind jetzt Verbindungs-
lehrer usw …

Gestrichen wurde dagegen in der neuen „Schulordnung“:

→ das Recht der Schüler, ihre Meinung frei zu äußern (§ 36),
→ die Interessenvertretung der Schüler als Aufgabe der Schülervermittlung (§ 57 ff.),
→ die politische Bildung als Aufgabe der Schule (§ 3).

Dafür wird der Strafenkatalog erweitert:

→ Versetzung in eine Parallelklasse durch den Rektor,
→ Ausschluss vom Unterricht für 2 – 4 Wochen,
→ Ausschluss von allen Schulen einer bzw. mehrerer Schularten.

Als Beitrag zur Resozialisierung soll jeder Schüler, der zu mindestens 6 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt ist (auch bei Bewährung), automatisch von allen weiterführenden Schulen ausgeschlos-
sen werden.

Dass man so eine mittelalterliche Sauerei natürlich nicht ganz reibungslos über die Bühne ziehen kann, hat der Maier gemerkt. Überall in ganz Bayern verteilen Schüler Broschüren. die über die „ASchO“ aufklären. Denn Bayerns gesamter Schülerschaft hat man vom Kultusministerium ein Exemplar der Schulordnung zugesandt. Und gegen diejenigen Schüler, die gegen diesen bayrischen Schulabsolutismus protestieren, greift Maier hart durch: In Regensburg flog ein Schulsprecher von der Schule, nachdem er Broschüren zur ASchO verteilt hatte. Im Münchener Max-Planck-Gymna-
sium fand kürzlich auf dem Pausehof eine Protestversammlung statt. Ein Schüler, der auf der Ver-
sammlung sprach, wurde wegen „Hausfriedensbruch“ angezeigt.

Zur Illustration, von wem tatsächlich die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ bedroht ist, drucken wir ein Rundschreiben des Kultusministeriums, in dem der Zusammenschluss von Schul-
sprechern zu Bezirksschulsprechern für illegal erklärt wird und vor dem Flugblatt-Verteilen gegen die neue „Schulordnung“ gewarnt wird:

An die Gymnasien in Bayern

Propaganda von Schülern gegen die Allgemeine Schulordnung

In einem Schreiben an die Schülersprecher der Münchener Gymnasien haben 2 Münchener Schüler für Dienstag, den 2.10.1973, eine Flugblattaktion des sog. Zusammenschlusses der bayerischen Bezirksschülersprecher zur Allgemeinen Schulordnung angekündigt.

Dazu wird festgestellt: Die Verteilung von Flugblättern ist im Schulbereich nicht zulässig.

Die Schüler, die das genannte Rundschreiben unterzeichnet haben, sind nach der hier vorliegen-
den Information nicht berechtigt, als Bezirksschülersprecher zu fungieren, weil sie schon vor längerem bei Wahlen an ihren Schulen nicht mehr als Schülersprecher bestätigt worden waren. Damit besteht der Verdacht, dass in dieser Aktion Amt und Informationsmöglichkeiten des Be-
zirksschülersprechers für die Gymnasien missbraucht worden sind.

Das genannte Rundschreiben, in dem für den nach der Schulordnung nicht zulässigen Zusam-
menschluss der Bezirksschülersprecher und für eine propagandistische Aktion geworben wird, ist nicht an die Schülersprecher weiterzugeben. Flugblattaktionen im Schulbereich sind zu unterbin-
den; im übrigen sind die Schüler ggf. daran zu erinnern, dass gemäß KMS vom 30.5.1973 Nr. 11/9-8/ 71 680 auch Flugblattverteilungen von Schülern vor der Schule einer Würdigung durch die Schule unterliegen können. Dies gilt insbesondere dann, wenn zu schulordnungswidrigen Handlungen aufgefordert wird.

I.A. gez:
Dr. Kitzinger, Ministerialdirigent


Blatt. Stadtzeitung für München 8 vom 12. Oktober 1973, 5 f.

Überraschung

Jahr: 1973
Bereich: SchülerInnen

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