Materialien 1974

Von heute an gibt's mein Programm!

Seit einiger Zeit tauchen Publikationen des Verlags „Frauenoffensive“ auf: ein Buch, die Frauenplatte, Journal Nr. 1 und jetzt das 2. Journal. Die Frauenoffensive ist ein reiner Frauenverlag: Frauen verlegen, was Frauen für Frauen geschrieben haben. Warum ein eigener Frauenverlag? Zwei Leute von der Frauenoffensive erzählten uns, wie es dazu gekommen ist, von ihrem Selbstverständnis, ihren Problemen, ihren Perspektiven.

BLATT: Verlag Frauenoffensive – wem gehört der eigentlich, wer arbeitet da mit?

FRAUENOFFENSIVE: Wir sind heute achtzehn Frauen, alle sind aus verschiedenen Münchner Frauengruppen, d.h. wir sind einerseits aktiv in der Frauenbewegung tätig und machen zum anderen den Verlag. Drei Frauen arbeiten dort hauptberuflich, die anderen neben ihrem sonstigen Beruf.

BLATT: Seit wann gibt’s Euch denn schon?

FRAUENOFFENSIVE: Im Frühling 1974 haben wir uns als Verlagsreihe innerhalb des trikontverlages konstituiert …

BLATT: Aber ihr seid doch jetzt ein autonomer Frauenverlag?

FO: Ja, wir bekamen die Chance, als eigenständiger Verlag in eine Produktions- und Vertriebsgemeinschaft mit dem trikont einzusteigen. Der trikont finanziert uns zwar auf Darlehensebene vor, – wir fingen ja ohne Eigenkapital, ohne die Aussicht auf größere Darlehen (allerdings immer auf der Suche nach Kleinen!), ohne eigene Produktionsmittel, also mit eigentlich überhaupt nichts an -, wir sind aber rechtlich und inhaltlich autonom.

BLATT: Welche Gründe haben Euch denn dazu gebracht, euer Verlagsprojekt auszuweiten und den Schritt in Richtung Verlagsautonomie zu wagen?

FO: Da spielten mehrere Faktoren zusammen: Die autonome Frauenbewegung, die sich in ihrer Politik und Organisation von allen männlichen Institutionen abgesetzt hat, begegnete uns mit viel Mißtrauen und deshalb wurden wir quasi dazu gezwungen, selbständig zu werden. Das war für uns erstmal ein negativer Druck; als positiver kamen unsere eigenen Erkenntnisse über die Inhalte einer feministischen Politik, die uns existentiell betrifft, aus der wir Kraft und eine neue Identität schöpfen, dazu.

BLATT: Nach welchen Kriterien stellt ihr denn Euer Programm zusammen?

FO: Wir wollen versuchen, eine gute Mischung zu machen. Einmal: Aufarbeitung der Theorien der Frauenbewegung – was sind für Theorien-Analysen da? Wie ist auch der internationale Stand? – Also Austausch von Informationen und Diskussion. Z.B. stellt sich das Journal Nr. 2 die Fragestellung über das Verhältnis zwischen Feminismus und Ökologie. Zum andern versuchen wir auch Texte zu publizieren, die eine konkrete Hilfestellung darstellen, z.B. beim Problem der Sterilisation. In der Broschüre bringen wir

 Informationen über die rechtliche Situation, über Methoden und Kosten der Sterilisation,
 ideologiekritische Überlegungen zum Sterilisations-Tabu,
einen Aufsatz über die „Politik der Kinderlosigkeit“,
 die Erzählung einer Arbeiterfrau, die trotz ihrer vier Kinder und trotz ihrer schwierigen Lage nicht sterilisiert wurde,
 den Bericht einer jungen, unverheirateten und kinderlosen Frau, die sich nach ihren demütigenden Erfahrungen schließlich in Holland sterilisieren ließ.

BLATT: Wendet ihr Euch mehr an Frauen; die schon in der Frauenbewegung sind, oder versucht ihr ein breiteres Publikum anzusprechen?

FO: Wir versuchen unser Programm so auszuwählen, daß es verschiedenen Ebenen von Fragestellungen gerecht wird und daß nicht nur Frauen in der Bewegung etwas damit anfangen können. Da sind also diese praktischen Sachen, wie über Sterilisation oder allgemeinere, wie über Mädchenerziehung, eine Broschüre die eigentlich für alle interessant und wichtig ist, die sich mit Kindern und Erziehung beschäftigen, für Frauen wie für Männer.

BLATT: Ich glaube, ihr bringt auch noch historische Sachen, z.B. über die Hexenverfolgung?

FO: Ja, gerade die Geschichte der systematischen Unterdrückung und Ausrottung der sog. Hexen ist interessant. Schon immer waren Frauen Heilkundige, sie halfen Kinder zur Welt zu bringen, und abzutreiben, sie pflegten, linderten Schmerzen, sammelten Wissen über Heilkräuter und gaben die Geheimnisse ihrer Anwendung weiter. Das Volk nannte sie die „weisen Frauen“, das Establishment „Hexen“ oder „Quacksalber“. Heute ist die Medizin und speziell die Gynäkologie das Eigentum von Männern. Frauen sind die Angestellten in dieser Industrie, ihre Bosse Männer. Die Geschichte der Hexenverfolgung zeigt den brutalen Kampf der Männer um die endgültige Vorherrschaft, die nur dann zu erringen war, wenn die letzte Bastion der Frauen fiel, die Kenntnis ihres eigenen Körpers und die Kontrolle über das Gebären.

BLATT: Welchen Stellenwert gebt ihr denn dem historischen Aspekt, auch im Hinblick auf euer Selbstverständnis heute?

FO: Wir haben erkannt, daß unsere Geschichte wichtig ist, also daß wir nicht uns jetzt 1975 hinsetzen und glauben, wir sind die ersten Frauen die zum ersten Mal alles kapieren, den ganzen Komplex unserer Unterdrückung, sondern wir haben gemerkt: vor uns, so lang wir zurückdenken können, gab es individuelle sowie kollektive Machtkämpfe von Frauen. Wenn wir heute eine feministische Politik machen wollen, dann ist es wichtig für uns, daß wir die Auseinandersetzungen, die gelaufen sind, aufarbeiten. Daß wir ein Geschichtsbewußtsein kriegen, was uns selber als Frauen in der Bewegung noch mal eine Sicherheit und eine Stärke für die Berechtigung unseres Kampfes gibt. Zum anderen gibt es uns die Chance zu reflektieren: was haben andere gemacht: aufzuarbeiten, warum es falsch gelaufen ist. Die Geschichte der Frauen ist bis jetzt totgeschwiegen worden, wir haben sie in der Schule nicht gelernt, wie ja auch die Geschichte und die Kultur aller unterdrückten Minderheiten nicht. Aber wir sind noch dazu eine unterdrückte Mehrheit!

BLATT: Bringt ihr auch Belletristik, Romane, Gedichte etc. heraus?

FO: Wir wollen auch Texte veröffentlichen, die den Frauenstandpunkt literarisch ausdrücken. Und überhaupt auf den Ebenen arbeiten, die uns als Verlag möglich sind, d.h. der literarischen, der gestalterischen und auch der musikalischen.

BLATT: Wollt ihr besonders die deutschen Frauen, die schreiben, unterstützen?

FO: Vor allem das Journal soll perspektivisch Frauen die Möglichkeit geben, mit Artikeln zu Wort zu kommen, wir halten es für sehr wichtig, daß Frauen überhaupt mal anfangen zu schreiben, weil sie ein ziemlich gebrochenes Verhältnis zum Schreiben haben; weil sie Schwierigkeiten haben, sich auszudrücken, zu formulieren. Dabei hat natürlich auch die bestimmte Funktion der Frauen, nämlich die, Kinder zu gebären, die Opferbereitschaft, die Hingabe an den Mann, die Identität über den Mann, verhindert, daß sie sich auszudrücken gelernt haben, auch schon aus reinem Zeitmangel …

BLATT: Aber ich denke, der Zeitmangel ist da wohl nicht das Entscheidende …

FO: Ja klar, es kommt dir gar nicht in den Sinn zu schreiben, verstehst du. Die ganze Kultur war bisher von männlichen Prinzipien geprägt, die haben die Romane geschrieben; die haben die Philosophie gemacht, die ganze Meinungsbildung auf allen künstlerischen Ebenen. Wir haben uns auch zum größten Teil bisher gemessen an den Werten der Männer und deshalb gab es auch nur wenige Frauen, die sich innerhalb der männlichen Werteskala getraut haben, zu schreiben. Und wir müssen lernen Mut zu haben zum Schreiben und die männlichen Werte umzuwerfen. Für uns sind neue Werte, Kriterien, wenn z.B. ein Roman die Realität der Frau so vielschichtig wie sie erlebt wird, in allen Widersprüchen widerspiegelt, wenn er die Chance gibt sich zu erkennen, zu reflektieren, wenn die Inhalte zu autonomer Identität verhelfen.

BLATT: In welchem Verhältnis steht ihr als Verlag zur gesamten Frauenbewegung?

FO: Wir verstehen den Frauenverlag als Ausdruck der Frauenbewegung, der deutschen, der internationalen als Ausdruck ihrer Geschichte, ihrer Realität wie ihrer Utopie. Das ist ein dialektisches Verhältnis zwischen Publikation und Bewegung, der Verlag steht und fällt letztlich mit der Bewegung. Wir sehen uns im Zusammenhang mit der Münchner Frauenbewegung. Da gibt’s den Plan eine Frauenbuchhandlung zu machen, sie wird Anfang Oktober eröffnet werden. Damit ist die Chance gegeben, einen gesamten Überblick über die Literatur von Frauen zu geben; Themen, die Frauen interessieren, Themen, die sich in der Bewegung herauskristallisieren werden.

BLATT: Sind Verlag und Buchhandlung personell identisch?

FO: Nein, die Projekte laufen personell getrennt, aber wir sind beide Teil der gleichen Bewegung.

BLATT: Gibt es außer Verlag und Buchhandlung noch Projekte?

FO: Ein Frauenkulturzentrum wird geplant. Wir haben gemerkt, daß, über den Rahmen unserer kleinen Gruppen hinaus, wir uns als Teil einer Bewegung verstehen, wir wollen versuchen, die Ergebnisse unserer Gruppen in Zukunft schneller und besser als bisher anderen Frauen wieder zur Verfügung zu stellen, d.h. daß wir mehr kleinere Veranstaltungen planen und auch dazu geeignetere Räume als bisher brauchen.

BLATT: Wahrscheinlich gibt’s bei so einem Frauenverlagsprojekt doch auch Schwierigkeiten?

FO: Sicher. Wir haben als Frauen nie gelernt, und niemand gab uns die Chance, Verantwortung im sog. „Geschäftsleben“ zu übernehmen. Wir haben überall nur „mitgearbeitet“. Jetzt müssen wir lernen, über unseren „Mitarbeiterinnenstatus“ hinauszuwachsen, auf eine Ebene von Initiative, von technischem know-how, von ökonomischer Einschätzung und Kalkulation, zum Mut zu anderen literarischen und gestalterischen Ausdrucksformen.


Blatt. Stadtzeitung für München 45 vom 9. Mai 1975, 7 f.

Überraschung

Jahr: 1974
Bereich: Frauen

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