Materialien 1974

Seit neun Wochen steht das riesige Gasteigspital in Haidhausen leer!

Der Abbruch droht!

Die Fußböden sind gebohnert, Wasser läuft, die Heizung funktioniert. Die alten Leute die hier wohnten, sind umquartiert worden.

Mitte September wird im Stadtrat darüber entschieden, ob der Gebäudekomplex des Gasteig-Spitals (5.000 qm. bestens gepflegter Nutzfläche, Kapelle, Waschhaus, Innenhof, Grünflächen) den Baggern und Planierraupen zum Opfer fällt.

An die Stelle des für die längst überfälligen Bedürfnisse der Haidhauser Bürger voll nutzbaren Gasteig-Spitals würde dann eine Art Haidhausia 2000 hingeklotzt, ein Kulturama mit Konzertsälen zum projektierten Preis von hundertzwanzig Millionen.

Wem dieser Kulturbetonklotz nützt, ist wohl klar: ganz bestimmt nicht den Haidhauser Bürgern! Haidhausen braucht keinen 120-Millionen-Palast für den dort nicht ansässigen Kulturkonsumier-Set. Dringend erforderlich ist ein Bürgerzentrum für

* die viertausend Haidhauser Jugendlichen, die sich bisher mit einem Raum von 30 qm im Turm der Johanniskirche am Preysingplatz bescheiden müssen,
* die älteren Haidhauser, die sich bisher nur im Klosterpark treffen und in Ruhe unterhalten können – vorausgesetzt, es regnet nicht,
* die Kinder, für die zu wenig Kindergartenplätze da sind,
* die ausländischen Arbeiter, die im „Franzosenviertel“ zu fünft und sechst in einem Zimmer leben müssen,
* alle, die die Isolation in zu kleinen Wohnungen und traurigen Kneipen leid sind.

Das ehemalige Gasteigspital muß zu einem Bürgerzentrum werden! Um diese Forderung durchzusetzen, hat sich der VEREIN BÜRGERZENTRUM HAIDHAUSEN gebildet. Zum harten Kern dieses Vereins zählen ungefähr fünfundzwanzig Leute aus verschiedenen Gesellschaftsschichten und politischen Gruppen: Es machen mit Jusos, Jugendliche der von Pfarrer Stübe geleiteten Gruppe IM TURM (die hatten schon vor der Bürgerversammlung in der sich der Verein konstituierte, achthundert Unterschriften für das Bürgerzentrums-Projekt gesammelt), eine Gruppe türkischer Arbeiter, Eltern der Kinder aus dem Kindergarten Trogerstraße, Leute vom Arbeiterbund und andere Haidhauser Bürger. Diese Gruppe hat ein Funktionsprogramm für das Bürgerzentrum ausgearbeitet, das sie dem Stadtrat vorlegen wird.

Das Programm „richtet sich nicht nur an bestimmte Minderheiten, sondern an die breite Bevölkerung Haidhausens. Es geht aus von den Bedürfnissen der Haidhauser und setzt sich zum Ziel, die Haidhauser in einen stärkeren Kontakt zueinander zu bringen, um damit dem drohenden Zerfall des Viertels entgegen zuwirken.“

Als Träger des Bürgerzentrums bietet sich eine öffentliche Körperschaft wie die Volkshochschule an, die auch Kurse geben kann, besonders Deutsch-Kurse für Ausländer – das sind hier meist Türken.

Für sie soll es auch ein Dolmetscherbüro, eine Bibliothek mit Zeitungen, Folklore- und Theaterabende und Möglichkeiten zur Übernachtung von Landsleuten, die aus anderen deutschen Städten zu Besuch hier her kommen, geben. Die mindestens hundert türkischen Kinder in Haidhausen sollen stundenweise in ihrer Muttersprache unterrichtet werden, im übrigen sollen die Kindergruppen multinational gemischt sein. Türkische Lehrer und Lehrerinnen sind vorhanden.

Kinder im Vorschulalter fänden ein ideales Spielgelände im großen Garten; für Schulkinder ist zum Beispiel an Foto- und Druckarbeiten und Nachhilfestunden gedacht.

Für die Erwachsenen sind vom Verein geplant Diskussionsgruppen über Erziehungs- und Schulprobleme in Zusammenarbeit mit der (dann ehemaligen) Elterninitiative Trogerstraße, Entwicklung von Selbsthilfen wie Kleidertauschaktionen, Konsum- und Steuerberatung, Mieterberatung, ein kreatives Zentrum (Theaterspielen in Zusammenarbeit mit der Münchner Volkstheaterkooperative), maltherapeutische Gruppen und allgemeine Unterhaltungsangebote, z.B. Filmvorführungen in Zusammenarbeit mit dem Nachbarschaftskino.

Am Samstag, dem 21. Juli wollten die Haidhauser im Innenhof des Gasteig-Spitals ein Bürgerfest mit Musik und Brotzeit feiern. Am Vormittag hat es aber geregnet. Deshalb ist das Fest jetzt am Samstag, 25. August, 15.00 Uhr.   Am Gasteigspital, Gasteig 2. Wer sich über die Treffen des Vereins informieren möchte, ruft 601 3451 an und spricht mit Willi, Christoph oder Wolfgang. Die Nummer vom Haidhausenbüro, das auch Bescheid weiß: 44 19 55. Der Schlüssel zum Gasteig-Spital wird bisher im städtischen Liegenschaftsamt verwahrt gehalten.


Blatt. Alternative Stadtzeitung 4 vom 17. August 1973, 6 f.