Materialien 1974

Gasteig-Spital

Das Gasteig-Spital in Haidhausen steht noch immer leer. Seid Mai 1973 wohnt in den über hundert Räumen niemand mehr, obwohl der ganze Bau, einschließlich der sanitären Anlagen total in Ord-
nung ist.

Der Bürgerverein für ein Bürgerzentrum im Gasteig-Spital (siehe 4. Blatt) versucht schon seid Monaten durch Verhandlungen mit der Clique der Stadträte die Nutzung des Hauses zu erwirken. Die Pläne der Stadtverwaltung laufen auf die Ausweisung der Haidhauser in die Trabantengettos hinaus: Die Verwaltungs- und Bankzentren in der Innenstadt – die ganze City bracht mehr Platz. Haidhausen und das Westend wurden zur Kernzone erklärt. Hier werden die Kapitalisten saniert.

Wir wollen in Haidhausen bleiben und wir wollen ein Bürgerzentrum. Wir haben Feste im Gasteig-Spital gemacht und dabei über zweitausend Unterschriften gesammelt, die wir am 30. November OB Kronawitter vorgelegt haben. Statt mit uns über die Nutzung zu diskutieren, verlangte der OB bloß eine verantwortliche Person, die garantiert, dass zum Abrisstermin alle wieder draußen sind!

Am 2. Dezember 73 sollte ein Tag der offenen Tür stattfinden, damit sich alle selber überzeugen können, dass das Gasteig-Spital keine Spur baufällig ist. Wie die Leute im Stadtrat immer behaup-
ten. Stadtrat Sieber, unser Sozialreferent, gab die Schlüssel nicht raus, weil 1. keine Aufsichtsper-
son da wäre und 2. es in einem leeren Haus sowieso nichts zu sehen gäbe!

Am Tag der geschlossenen-offenen-Tür klebten wir dann doch Plakate an die Gasteig-Mauer und hängten Transparente über die Straße. Mit der Wastl-Musik und Glühwein mussten wir aber auf der Straße feiern, weil wir zwar schon ganz schön viele, aber immer noch nicht genug sind.

Am Sonntag, dem 9. Dezember, machten wir eine Demonstration mit Spruchbändern durch Haid-
hausen in die Innenstadt und riefen: „Das Gasteig steht leer, das Gasteig muss her! Wird das Ga-
steig abgerissen, ist unser Geld hinausgeschmissen!“

Die alten Haidhauser lachten aus ihren Fenstern, Jugoslawen, Türken und Griechen kamen aus den Kneipen, viele schlossen sich uns an. Auf dem Weg zur Schlusskundgebung in der Fußgänger-
zone überfiel uns die Polizei, zerriss uns unsere Transparente und trampelte darauf herum. Die Pollis griffen sich sieben Leute und setzte sie bis zehn Uhr nachts in der Ettstraße hinter Gitter. Sie wurden „erkennungsdienstlich behandelt“ (Fingerabdrücke, Fotos) und teilweise ganz schön ge-
schlagen.

Als sich am nächsten Tag ein Stadtrat vom Bezirksausschuss erkundigte, sagten ihm die Beamten, die Festnahmen wären notwendig gewesen, weil die später Inhaftierten die Personalienfeststellung der Transparentträger verhindern wollten. Während der Kundgebung nach der Demonstration wollte die Polizei noch einen Fotografen, von dem sie annahm, dass er alle Vorfälle fotografiert hatte, die Kamera entreißen und ihn festnehmen. Das gelang ihr aber wegen der allgemeinen Em-
pörung nicht.

Man will uns einschüchtern und von der Bevölkerung isolieren. Aber das geht schon gar nicht mehr so einfach. Die Stadträte können sich eine hastige Entscheidung gar nicht mehr erlauben, sie schieben das Gasteig-Problem von einem Ausschuss zum anderen.

Am 13. Dezember war eine öffentliche Sitzung des Sozialausschusses im Rathaus, wo trotz Antrag von Stadtrat Kripp (Wahlbezirk Haidhausen) eine Entscheidung über die Nutzung vertagt wurde. Man bildete einen Gesamtausschuss, weil die Zuständigkeit nicht feststehe. Bis dahin war das Sozialreferat allein zuständig. Für ein Bürgerzentrum ist jetzt plötzlich auch das Kulturreferat zu befragen und das Schulreferat darf auch nicht übergangen werden, weil im Gasteigspital ja auch Jugendarbeit gemacht werden soll. Das Liegenschaftsamt (verantwortlich für Abrissgenehmigung) muss noch warten, bis das Haus baufällig wird.

Wir wollen aber nicht mehr lange warten. Am   Wochenende vom 15. und 16. Dezember machten wir in Haidhausen Informationsstände und merkten dabei, dass wirklich alle Haidhauser wissen, um was es geht. Demnächst wollen wir eine Bürgerversammlung machen und bereden, wie wir in das Haus rein kommen. Der Termin erscheint dann im BLATT-Kalender.

Erich


Blatt. Stadtzeitung für München 14 vom 2. Januar 1974, 5.

Überraschung

Jahr: 1974
Bereich: Hausbesetzungen

Referenzen