Materialien 1974

Modell Maxvorstadt

Die „Aktion Maxvorstadt“ hat einen Plan erarbeitet, um zu zeigen, wie man den Autoverkehr in Wohngebieten eindämmen kann. Wir stellen den etwas gekürzten Plan zur Diskussion:

Im Baureferat der Stadt München wurde wiederholt die Zielvorstellung formuliert, den motorisierten Individualverkehr auf relativ wenigen Achsen zu kanalisieren und dafür die Wohnviertel vom Durchgangsverkehr freizuhalten. Leider ist es bisher bei dieser Willenserklärung geblieben; Möglichkeiten der Durchführung werden erst jetzt erwogen.

Da aber die Weiterexistenz der innerstädtischen Wohnviertel nicht zuletzt auch davon abhängt, ob es gelingt, den motorisierten Verkehr einzudämmen, und langfristig die Zahl der Kraftfahrzeuge in München entscheidend zu verringern, haben wir uns entschlossen, den modellhaften Plan einer Verkehrsregelung in der Maxvorstadt, genauer im Wohnbereich rund um die Universität, vorzulegen, der darauf abzielt, den Durchgangsverkehr aus diesem Viertel völlig zu verdrängen. Bei Bewährung sollte er auf weitere, möglichst auf alle Wohnbereiche der Stadt ausgedehnt werden.

Grundlage des Plans ist der Umstand, dass die Maxvorstadt durch öffentliche Verkehrsmittel ausreichend erschlossen ist. Jeder Punkt des Viertels ist von U-Bahn, Bus- und Straßenbahnhaltestellen aus schnell und bequem zu erreichen.

Der motorisierte Privatverkehr ist unter diesem Gesichtspunkt völlig überflüssig. Die Wunschvorstellung einer autofreien Maxvorstadt scheitert jedoch sowohl am gewerblichen Lieferverkehr wie auch an der großen Zahl der im Viertel beheimateten Privatkraftwagen.

Es stellt sich also die Aufgabe:

1. den unerwünschten Durchgangsverkehr auszusperren,

2. dem unvermeidlichen Ziel- und Quellverkehr den Zugang nicht zu verwehren,

3. dem nichtmotorisierten und Fußgänger die notwendige Bevorrechtung zurückzugewinnen, die in den zurückliegenden Jahrzehnten stillschweigend der Vollmotorisierung geopfert wurde.

Dieses dreifache Ziel wird erreicht durch ein System gegenläufiger Einbahnstraßen, die ein bloßes Durchqueren des Wohnbereichs im Auto illusorisch machen, andererseits aber dem Liefer- und Anliegerverkehr das Erreichen jeden beliebigen Punktes erlauben wenn auch unter erschwerten Bedingungen.

Der entsprechend ausgearbeitete Straßenplan ist durchaus nicht die einzig mögliche Lösung. Er weist nur die generelle Richtung, die unseres Erachtens eingeschlagen werden muss. Sollten sich die vorgesehenen Hindernisse zur völligen Unterbindung des Durchgangsverkehrs nicht als ausreichend erweisen, so kann die Schraube durch die Schaffung von Sackgassen und durch die Schließung verschiedener Aus- und Eingänge am Rande des Wohnbereichs beliebig weiter angezogen werden.

Folgende flankierende Maßnahmen erscheinen uns jedoch unumgänglich notwendig:

1. Durch amtliche Einfahrtsverbote von denen allein der Bus- und Anliegerverkehr ausgenommen bleibt, wird der Wohnbereich zusätzlich gegen Durchgangsverkehr abgeschirmt.

2. In der Theresien- und Barerstraße, wo der Betrieb öffentlicher Verkehrsmittel eine gegenläufige Einbahnregelung verbietet, wird durch Abbiegegebote, von denen allein Bus bzw. Straßenbahn ausgenommen bleiben, jeglicher Durchgangsverkehr verhindert.

3. Im gesamten Wohnbereich gilt für Kraftfahrzeuge eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 20 km/h, von der allein Bus-, Rettungs-, Not-, und Polizeifahrzeuge ausgenommen sind.

4. Ebenso gilt im gesamten Wohnbereich für alle Motorfahrzeuge ein absolutes Nachtfahrverbot von 24.00 bis 6.00 Uhr, von dem allein Bus-, Rettungs-, Not-, und Polizeifahrzeuge ausgenommen sind.

5. Alle Kreuzungen werden mit Zebrastreifen versehen. Dafür können die Lichtanlagen entfernt und anderweitig verwendet werden.

6. Eine lückenlose Überwachung des ruhenden Verkehrs muss verhindern, dass der verkehrsverdünnte Wohnbereich zu einem riesigen Parkplatz umgestaltet wird. Eine wesentliche Verschärfung der gegenwärtigen Praxis der Parküberwachung sowie eine spürbare Erhöhung der auszusprechenden Strafen wird dabei nicht zu umgehen sein.

Der Durchgangsverkehr wird abgedrängt auf Achsen, die den Wohnbereich begrenzen – in unserem Falle Ludwig-, Gabelsberger-, Arcis-, und Franz- Joseph-Straße – und auf denen sich der Durchgangsverkehr abspielt wie bisher.

Es liegt auf der Hand, dass sich durch diese Regelung auf den Achsen eine merkbare Verkehrsverdichtung ergeben wird, ja dass der Verkehr in den Stoßzeiten stellenweise ganz zum Erliegen kommen wird.

Von Grund auf falsch wäre es jedoch, sich dadurch zu Kompromissen oder gar zu neuen Straßenbaumaßnahmen verleiten zu lassen. Eine spürbare Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs, die das Ziel jeder modernen Verkehrsplanung sein muss, kann unter den heutigen Voraussetzungen nur dann erreicht werden, wenn dem Autofahrer die Schwierigkeit weiterer motorisierter Fortbewegung täglich von neuem drastisch vor Augen geführt und ihm gleichzeitig unmissverständlich klargemacht wird, dass der vorhandene Verkehrsraum keinesfalls mehr zu seinen Gunsten erweitert wird.


Blatt. Stadtzeitung für München 6 vom 14. September 1973, 14 f.

Überraschung

Jahr: 1974
Bereich: Stadtviertel

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