Materialien 1975

Offener Rundbrief der Aktion Solidarität

Keine Angst, Herr Heinz Karst (pensionierter General der Bundeswehr, Ausbildungsoffizier für Veteranen), wir werden das größte Problem der Bundeswehr, der Verlust des Feindbildes, in absehbarer Zeit lösen können. In der Atmosphäre der detente (Ostpolitik, Interessensannäherung USA-UdSSR) „getraut sich (noch) niemand, den jungen Soldaten zu sagen, wer der potentielle Feind ist“.1 Denn tagtäglich fließen Meldungen durch unsere Medien: Der neue Konflikt wird in Richtung Nord-Süd, nicht mehr Ost-West ausgetragen. Entwickelte Länder gegen „Unterentwickelte“. Europäer, Nordamerikaner, Japaner gegen Schwarze, Gelbe, Rote, Gastarbeiter, Sozialisten. Allgemein: gegen unterentwickelte Menschen. Die sind die wahren Unruhestifter unserer heilen Weltordnung.

Da müssen auch im Lande die entsprechenden Maßnahmen getroffen werden. Die Verwaltung zum Beispiel begnügt sich nicht damit, in München privaten Gaststättenunternehmern die „individuelle Freiheit“ einzuräumen, die ihnen offen lässt zu entscheiden, ob Ausländer, gemeint sind hier ausländische Arbeiter, denen man ihre Arbeit mit den Händen ansehen kann, ihr Lokal betreten dürfen, oder nicht, Eine Gaststätte solcher Art ist zu besichtigen in der Nähe des Viktualienmarktes in München, Dies wird nicht nur „legal“ geduldet, nein es bedarf der rückhaltlosen Förderung. Im Stadtteil Haidhausen (einem Stadtteil. mit hohem Gastarbeiteranteil) hat kürzlich die Bezirksinspektion Ost der Wirtin Frau L. bei der Neuvergabe einer Lizenz (für ein Lokal, das vordem hauptsächlich von türkischen Arbeitern besucht wurde) die Auflage gemacht, keine ausländischen Arbeiter zu beschäftigen. Sicherlich ist es purer Zufall, dass dieselbe Wirtin, die die Gaststätte am Viktualienmarkt betreibt, die Lizenz erhält. Frau L. hat auch diesen Wink sofort richtig verstanden. Sie heftete, für alle die es sehen sollten, an sämtliche verfügbaren Fenster und Türen den unmissverständlichen Text: NUR FÜR DEUTSCHE! Diese drei erniedrigenden Worte sprechen für sich selbst, Sie erinnern uns teuflisch an unsere Vergangenheit, oder auch vielleicht an Südafrika.

Im Namen der AKTION SOLIDARITÄT fordern wir hiermit die Stadtverwaltung München und deren verantwortliche Vertreter auf, zu diesem ungeheuerlichen Vorgang Stellung zu nehmen, seine Rechtmäßigkeit zu prüfen, sowie die notwendigen Maßnahmen zu treffen, Diskriminierungen solcher Art im Keim zu ersticken.

Im Grundgesetz steht doch der Art. 3, 3: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Lasst uns danach handeln!

Aktion Solidarität2
A. Bastian, 8 M. 90, Münchner-Kindl-Weg 36.

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1 Love that Army, Newsweek vom 14. Juli 1975.

2 „Die Aktion Solidarität ist im herkömmlichen Sinne eine Anti-Organisation … Jeder, wirklich jeder ist aufgefordert, seine Beobachtungen und Überzeugungen … an alle diejenigen Stellen mitzuteilen, die ihn in die Lage versetzen, Öffentlichkeit zu bekommen. Jeder bearbeitet seinen eigenen ‚Fall’. Und die Solidarität entsteht dadurch, dass er oder sie, anonym oder nicht, im Namen der Aktion Solidarität schreibt, redet, dokumentiert etc. … Eine Verbindung der einzelnen oder Gruppen untereinander soll und kann bestehen, ist aber keinesfalls Bedingung und auch keine Voraussetzung.“ Blatt. Stadtzeitung für München 54 vom 3. Oktober 1975, 15.


Blatt. Stadtzeitung für München 52 vom 29. August 1975, 3.

Überraschung

Jahr: 1975
Bereich: AusländerInnen

Referenzen