Materialien 1975

Schwanthaler Höh'

„Es gibt bereits griechische Häuserblocks und türkische Straßen.“ (Ex-Oberbürgermeister Vogel) „Ohne gleich das Schlagwort von den Ausländerslums zu verwenden …“, so Stadtentwicklungsreferent Detlef Marx, „könnte in dieser Entwicklung eine ernste Gefahr liegen.“

Gemeint sind die „fremden Elemente“, wie man auf einer Erklärung der Hacker-Pschorr-Bräu AG anlässlich einer Diskussion über die Zukunft der Schwanthaler Höh’, „die amtlich auch Westend genannt wird,“ lesen konnte. Da spricht Oberbürgermeister Kronawitter schon von „ausländischen Bürgern“. Wider seiner Sozialstaats-Vorstellung, muss auch er die Unterentwicklung von Infrastruktureinrichtungen in den Ballungsgebieten Wiesenviertel, Altstadt, Marsfeld, Isarvorstadt, Schlachthofviertel und „Westend“ zugeben.

In diesen Stadtvierteln wohnen und arbeiten Ausländer; sie machen knapp über dreißig Prozent der Bevölkerung aus, speziell im „Westend“ etwa dreiunddreißig Prozent inklusive der „Illegalen“. Diese werden von der Hacker-Pschorr-Bräu AG so eingeschätzt: „Täglich treffen fünfzehn Omnibusse mit Leuten ein.“ Doch Joseph Niggl vom Ausländeramt meinte Ende 1974: „Eine konsequente Ausländerüberwachung wird für uns erst dann möglich sein, wenn die Daten über die EDV für uns verfügbar sind.“

Sie sind jetzt verfügbar und die Repression nimmt zu. Die permanente Kontrolle durch die’ Stadt, die verschärfte Konfrontation mit Behörden, Arbeitsamt etc., die einschränkende Auslegung der Ausländergesetzgebung zum Beispiel die Verkürzung der Aufenthaltsgenehmigung durch Ministererlass, kaum bezahlbare Mieten und die gesellschaftliche Diskriminierung fördern zum einen den Aufbau sozialer Netze unter den ethnischen Gruppen, begünstigt durch die fortschreitende räumliche „Ghettoisierung“.

Aber was entscheidender ist: cirka ¾ der Arbeitsemigranten haben eine vorindustrielle Herkunft. Die ehemalige Gruppe „Arbeitersache München“ schreibt dazu in ihrem Buch „Was wir brauchen müssen wir uns nehmen“, erschienen im Trikont-Verlag: „Schließlich ist der Entfremdungsgrad der Arbeit in ihrer früheren Beschäftigung als Bauern und Handwerker geringer gewesen auf Grund der weniger fortgeschrittenen Arbeitsteiligkeit und der untergeordneten Rolle der Maschinerie.“

Diese un- bzw. angelernten Emigranten arbeiten auch in der Gummifabrik Metzeler AG. Mit einem Belegschaftsanteil von über fünfzig Prozent schuftet dort der überwiegende Teil der in der Schwanthaler Höh’ lebenden Türken, Griechen, Jugoslawen etc.

An Werktagen weht ein übler Reifengestank aus der Fabrik – früher wurden hier auch Gasmasken produziert – in die werksnahen Ausländerwohnheime in der Landsberger-, Trappentreu-, Heimeran-/Bergmannstraße und etliche mehr.

Aber der Wind im Betrieb weht schärfer: als unterprivilegierteste Schicht bekommen die „Emigranten der Arbeit“ am härtesten die verschärften Akkord- und Schichtsysteme zu spüren und müssen außerdem noch als Lohndrücker fungieren. Die Methoden der Betriebshierarchie, die Spaltung der Arbeiter zu vertiefen, beschreibt ein deutscher Arbeiter bei Metzeler so:

„Auf der letzten Weihnachtsfeier gab ’s eine Tombola! Weil ein Grieche den Hauptgewinn gezogen hat, hat sich der Karst (?) hingestellt und erklärt, er stifte jetzt aus seiner Tasche nochmals einen Preis, der aber nur von einem Deutschen gewonnen werden könne. Ja, so ist das, so spielen sie jetzt die Ausländer und die Deutschen gegeneinander aus.“ (Kühn)

Die isolierte Situation erklärt die Notwendigkeit einer gut funktionierenden Gemeinschaft im Ghetto, denn die Ausländer können nur in der Familie und über Kontakte zu Verwandten und Freunden einen Rückhalt finden.

„Die Griechen und Türken, die direkt von ihrer Heimat an unsere Fließbänder geschafft wurden, haben natürlich kein Wort Deutsch gesprochen, so dass wir uns mit denen wenig unterhalten konnten. Die ersten deutschen Kollegen sind damals weggegangen von uns. Sie haben gesagt, neben einem Ausländer wollen sie nicht arbeiten … etliche von den Deutschen haben eben gesagt, wenn das schon ein Türke macht, muss ich sehen, dass ich eine bessere Arbeit bekomme … Und die Deutschen, die noch da sind, glauben fast alle, sie wären jetzt so was wie halbe Chefs und führen sich auch entsprechend auf.“ (Kühn)

Bei den Entlassungen 1974 – Metzeler ließ kurzarbeiten – waren sie als erste draußen und ihre Landsmänner und -frauen in den Mittelmeerländern standen vor verschlossenen Anwerbebüros.

Aber trotz Ausländerstopp und regionaler Zuzugssperre stellen Stadtrat, Stadtentwicklungsreferat etc. beängstigt einen Ausländerzuzug fest, dem sie mit Maßnahmen entgegentreten wollen wie folgt:

„Bei nicht integrationswilligen und integrationsfähigen Ausländern ist in Anbetracht der derzeitigen Situation auf dem Arbeitsmarkt durch verstärkte Maßnahmen ihre Rückkehr zu fördern und zu erleichtern.“

Aus diesem Grund wird auch die „klare gesetzliche Definition der Tatbestände für Aufenthaltsgenehmigung, -berechtigung und Ausweisung“ gefordert.

Weiter heißt es: man könne für die Ausländer keine Infrastrukturabgaben von den Arbeitgebern verlangen. Diese Forderung widerspräche dem Gleichheitsprinzip, denn die Deutschen würden dafür auch nichts bekommen.

Außerdem müsste „jede Maßnahme die Interessen von ausländischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern berücksichtigen.“ Dagegen werden aber „Staatliche Hilfen für die Verlagerung von lohnintensiven Betriebsteilen in die derzeitigen Hauptabgabeländer von ausländischen Arbeitnehmern“ vorgeschlagen. (Aus Münchner Ausländerprogramm 1975)

Als Begründung der verschärften Ausländerpolitik führte Staatssekretär Heubl an: „Dazu zwingt uns aber auch die Erkenntnis, dass es gilt, die Entstehung eines neuen (!) Proletariats zu verhindern, das als Außenseiter am Rande unsrer Gesellschaft dahinvegetiert. Die sozialen Spannungen, die sich daraus ergeben, müssten auf die Dauer den sozialen Frieden ernstlich gefährden.“ (Münchner Stadtanzeiger, 20. Juli 1973)

In der Schwanthaler Höh’, wie auch in einigen anderen Innenstadtrandgebieten ist schon seit Jahren folgende Entwicklung festzustellen: die Zahl der kinderreichen deutschen Familien – und nicht nur diese – nimmt ständig ab, etwa dreißig Prozent der Bevölkerung sind alte Leute. Der Ausländeranteil nimmt ständig zu, vor allem durch die hohe Geburtenrate, wenn auch der Ausländerzuzug 1975 erstmals etwas zurückging.

Angewiesen auf eine Unterkunft, zahlen sie horrende Mieten für die zerfallensten Häuser, die meist nur ein Klo pro Etage haben. Neben Sonderabmachungen zwischen Hausbesitzern und Mietern, gibt es auch den Trick, durch eine Teilmöblierung- meist stehen gelassene Möbelteile von Vormietern – die Mietpreisbindung (jetzt durch Vergleichsmieten festgelegt) zu umgehen. Die Firma Metzeler zum Beispiel pachtet Altbauhäuser, die sie dann als Ausländerwohnheime vermietet. Besondere Bedingungen: wer schon neun Monate bei ihnen gearbeitet hat, braucht statt 170 DM für elf qm nur noch 110 DM zu zahlen. (Münchner Post 1973)

Fast fünfzig Prozent der Emigranten Münchens wohnen in Unterkünften mit mehr als fünfzig Bewohnern. Ein Großteil von diesen befindet sich auf Werksgeländen und nicht auf Wohngebietsflächen.

„Und dann hat Metzeler an der Gollierstraße ein eigenes Heim für sie gebaut, das ist aber nur zum Herzeigen. In dem Heim haben sie unten einen Pförtner, damit keiner von den anderen Arbeitern mit auf sein Zimmer kann. Auch Ausländer, die ihre Frauen mit im Betrieb haben, dürfen nicht mit ihnen zusammen wohnen.“ Diese Zustände bedingen einerseits eine verstärkte Wohnungsnachfrage. Und für die noch durch Länder voneinander getrennten Familienmitglieder ist der Nachweis einer angemessenen Wohnung überhaupt erst die Voraussetzung für die Genehmigung des Familiennachzugs. Aber was heißt eigentlich angemessen: Für Erwachsene beträgt die gesetzlich festgelegte qm-Zahl 12, die für Kinder bis sechs Jahre 8 qm – ehemals erst ab acht Jahren – und zusätzlich getrennte Zimmer für Jungen und Mädchen.

Im Viertel gibt es ausländische Familien, die schon mehrmals umziehen mussten, nur weil ihnen ein paar qm fehlten. Die Familien haben zwei Möglichkeiten: entweder ziehen sie in mehr oder minder abbruchreife Häuser – günstige Wohnungsangebote bleiben ihnen grundsätzlich vorenthalten -, in die die Hausbesitzer mangels ausreichendem Komfort keine Deutschen mehr reinkriegen oder sie mieten noch teuere Neubauwohnungen. So mussten viele Schwanthaler Familien in den Olympia-Park umziehen. Bei genauerer Betrachtung kann man feststellen, dass sich die von Emigranten bewohnten Häuser über das ganze Viertel verteilen. In einem Häuserblock an der Landsberger Straße 137 wohnen zum Beispiel sechsundzwanzig Familien, am Kiliansplatz siebzehn. Weitere Beispiele ließen sich nennen. Im letztgenannten Haus prozessierte ein Ausländer gegen seinen Hauswirt und zahlte nur den gesetzlich festgelegten Mietpreis – bis er endlich nach zwei Jahren Prozessdauer „Recht“ bekam. Diesem guten Beispiel wollen nun auch die restlichen Hausbewohner folgen!

Der verstärkte Familiennachzug erfolgte im Januar 1975, also zu einem Zeitpunkt, der in das offizielle Krisenjahr fällt. 1973 arbeiteten noch 2,6 Millionen ausländische Arbeiter in der BRD – bisher höchster Wert – 1975 waren es nur noch 2,10 Millionen.

Als Grund für den Nachzug wird die „verbesserte Kindergeldregelung“ bezeichnet – für die Kinder in den Heimatländern gibt’s weniger Geld als für die hier Lebenden. Jedoch hat schon früher „das wachsende Interesse an weiblichen ausländischen Arbeitern unfreiwillig die Familienzusammenführung gefördert.“ (Arbeitersache)

Das vom westdeutschen Kapital erwünschte Rotationsprinzip – auch als Steuerungsinstrument für ihre Krisen gedacht – , konnte sich auf die Dauer nicht halten: aus dem „Gastarbeiterproblem „wurde ein Einwanderungsproblem“. Die Arbeitersache schreibt dazu: „Die Einsparung an Reproduktionskosten würde durch die Sesshaftigkeit der ausländischen Familien aufgehoben werden. – Durch den Rückgang der Fluktuation zwischen BRD und Herkunftsland würde die günstige Verbindung des Arbeitsmarktes mit der Reservearmee der Peripherieländer weitgehend unterbrochen werden …“

Nun wächst der Emigrantenanteil ständig, die Zahl der Erwerbstätigen sinkt jedoch rapide seit 1974/1975. Für Kapital und Staat war die hohe Erwerbstätigkeit der ausländischen Familien – wesentlich höher als bei den Deutschen – wegen des Extra-Profits und den Steuereinnahmen (Stadt München kassiert jährlich cirka 100 Millionen DM – Stadtentwicklungsreferat) von besonderer Bedeutung – das ist zumindest jetzt vorbei. (Von 1973 bis 1975 sank die Erwerbstätigkeitsquote von fünfundsechzig Prozent auf fünfzig Prozent. 1975: Zwei Millionen ausländische Beschäftigte und zwei Millionen ausländische Unbeschäftigte.)

„Entfielen früher Grundausbildungs- und Aufzuchtskosten, da die ‚Gastarbeiter’ ja als fertige Arbeitskräfte … in die BRD kamen“ (Linksbuch-Kollektiv), sind halt jetzt Aufwendungen für die hier aufwachsenden Kinder und Jugendlichen erforderlich.

Dieser zweiten Generation geht es am dreckigsten. Die Diskriminierung, die ihre Eltern durch die Aufrechterhaltung ihrer Tradition zum größten Teil kompensieren können, bricht bei ihnen voll durch – Identitätskrisen treten auf. Der Hass auf Kinder ist im Viertel besonders schlimm und ausländische Jugendliche, die sich in Gruppen wie der „Black Spider“ zusammentun, werden einfach ausgewiesen.

Ein 9-jähriger Türke: „Fünf Jahre bin ich da und geh in die 3. Klasse. Zuerst bin ich in Schule gegangen und da hat Lehrerin gesagt, weil ich nicht deutsch rede und nicht schreiben kann, muss ich in den Kindergarten. Da war ich acht Monate. Aber reden konnte ich nicht, dann bin ich in die erste Klasse gekommen, konnte aber immer noch nichts.“

„Schulnotstand auf der Schwanthaler Höh’“ konnte man in der Süddeutsche Zeitung vom 7. August 1975 lesen: Bürgerversammlung fordert Erweiterung der Ridlerschule, was auch auf der diesjährigen Bürgerversammlung unterstrichen wurde – kommt jedoch nur den deutschen Kindern zugute. Vierhundert Griechen haben in diesem Jahr ausschließlich Nachmittagsunterricht. 1973 gingen von 1.258 Schülern nur einhundertelf ausländische in die Ridler-, Guldein-, und Bergmannschule. Hinzu kommt noch, dass der Prozentsatz der ausländischen Kinder in München, die nicht in der ihrem Alter entsprechenden Klasse sind, sich auf 61,6 Prozent beläuft. Eine der Gruppen, die mit ausländischen Kindern und Jugendlichen zusammenarbeitet, ist die Initiativgruppe – Betreuung von ausländischen Kindern e. V. in der Landwehrstraße 32 b, München 2, Tel. 59 55 44 (liegt am Rand der Schwanthaler Höh’) Aus ihrer Zeitung: „Auch in der Schule können die Kinder keine Anerkennung finden, sie ernten trotz Bemühungen oft nur Misserfolge. Sie leiden unter der Unfähigkeit , ihre Gedanken, Gefühle und Wünsche ausdrücken zu können … Warum bin ich hier? Wo gehöre ich eigentlich hin? Was wird aus mir ? Wir müssen den Kindern bei der Beantwortung dieser Fragen helfen.“ Die IG hilft auch Jugendlichen bei der Lehrstellensuche.

Nun ist die Ausbildungssituation ihrer Kinder neben der Wohnsituation das Hauptproblem der Ausländer. Über die oben erwähnte Schulmisere haben sich vor allem die Griechen politisiert. Sie gründeten Elterninitiativen und -Vereine, ließen sich in den Elternbeirat wählen und vertreten darin aktiv die Interessen ihrer Kinder.

Die Eltern engagieren sich auch für die Kindergärten. Mit denen ist der Stadtteil gut versorgt, da immer mehr Plätze durch die Abwanderung deutscher Familien frei werden. Darin liegt mit ein Grund, weshalb die Schwanthaler Höh’ mittlerweile eine bessere soziale Infrastruktur hat als zum Beispiel die Trabantenstadt Neuperlach.

Und es hat sich einiges verändert: so haben die Ausländer durchgesetzt, dass ihren Kindern kostenloser Nachhilfeunterricht an der Bergmannschule erteilt wird. Sie entwickelten auch Kampfformen gegen Behörden: als zwei fortschrittliche Lehrer fliegen sollten, drohten die Griechen mit einem Schulstreik. Für den Fall, dass dieser nichts nütze, planten sie einen Freiluft-Unterricht mit den beiden Lehrern auf der Theresienwiese. Alle Griechen aus München sollten dazu kommen.

Die Behörden reagierten wie gewohnt taktisch und entließen die Lehrer erst ein halbes Jahr später zum neuen Schuljahr.

Das Griechische Konsulat versucht ständig die Aktivitäten der Schwanthaler zu bremsen. Feierlich und regelmäßig werden Familien eingeladen, mit Handschlag begrüßt und mit Höflichkeit überschüttet. Der Konsul verspricht dann, sich auch für deren Wünsche einzusetzen. Recht beeindruckt von dem ganzen Tam-Tam ziehen sie dann wieder ab, aber: in Diskussionen mit Kollegen und Freunden haben sie bisher immer die Taktik entlarvt. Einstimmig ist die Meinung, dass das Konsulat sie bloß hinhalten will und dass sie ihre Forderungen selbst durchsetzen müssen!

Ermutigend ist auch das demokratische Verständnis der Ausländer: Sie verwechseln „Recht“ mit Gerechtigkeit in „unserem Staat“. Dementsprechend sind ihre Forderungen „radikal“, d. h. sie kümmern sich nicht um die Kompetenzlage, wenn es um ihre Gerechtigkeit geht.

Noch mal zurück zur Elternbeiratswahl: Für die meisten Griechen war es das erste Mal überhaupt einen Kandidaten vor sich zu haben, dem sie ihre Stimme geben konnten. Diese Kandidaten hielten keine großen Reden, im Gegenteil: „Ich werde meine Sache gut machen“ – fertig. Da die soziale Struktur bei den Griechen und Türken den traditionellen Dorfgemeinschaften und damit den Familienverbänden entspricht, ist die Kontrolle über die Gewählten immer gewährleistet.

Die Initiatoren des Griechischen Hauses in der Bergmannstraße 46 unterstützen die Griechen bei der Entwicklung zu Selbstorganisationen. Träger des Hauses ist die evangelische Kirche – mit linkem Mäzen sieht es ja schlecht aus! Aber als Einrichtung mit Sozialbetreuung und -beratung hat es eine wichtige Funktion, vor allem für die Organisation von Selbsthilfegruppen: die Griechen – im „Westend“ etwa viertausend -, die hierher kommen und Rat suchen, sei es in Wohnungsangelegenheiten, der Vorbereitung von Arbeitsprozessen, in gesetzlichen Bestimmungen sich nicht auskennen, dazu noch die ganzen sprachlichen Schwierigkeiten – sehen sich nicht einer nur karitativen Institution gegenüber: Das Griechische Haus ist ein Treffpunkt, ein Freizeitzentrum für viele Griechen nach der Arbeit. Besonders am Wochenende ist viel los. Folkloristische Veranstaltungen stehen regelmäßig auf dem Programm unter anderem Filme, Vorträge …

Die Griechen kommen zusammen mit ihren Familien. Für die Frauen hat sich dadurch einiges verändert, verbrachten doch früher ihre Männer die arbeitsfreie Zeit meist in Kneipen und Cafes beim Kartenspiel, die ihnen auf Grund der patriarchalischen Strukturen verschlossen blieben.

Weitere Aktivitäten im Griechischen Haus: Kinderspielgruppe, Deutschkurse und Hausaufgabenhilfe.

Die ethnischen Gruppen in der Schwanthaler Höh’ haben untereinander kaum Kontakt; Sprachschwierigkeiten und vielleicht auch das „Nationalbewusstsein“ sind Gründe dafür.

Zumindest in der Freizeit – im Betrieb sind sie sehr kollegial – bleiben die Griechen, Jugoslawen, Türken, Spanier etc. nur unter sich: sie haben ihre eigenen Kneipen, Cafes und Lebensmittelläden. Zu den Deutschen haben die verschiedenen Gemeinschaften schon etwas mehr Kontakt. Aber es sind eigentlich auch nur diejenigen Ausländer, die über berufliche Qualifikation und „besseres Auftreten“ Aufsteiger wurden und somit der Diskriminierung entgehen konnten.

Den mangelnden Kontakt zu Deutschen will das Griechische Haus überwinden. Zu zahlreichen Veranstaltungen wurden diese eingeladen. Bis jetzt erschienen meist alte Frauen, die Kleidungssachen herschenkten und Griechenlandfans, die sich von der Atmosphäre wahrscheinlich eine Auffrischung ihrer Urlaubserlebnisse erhofften.

Das Konzept, vorerst nur mit Griechen und nicht zugleich noch mit anderen ethnischen Gruppen zusammenzuarbeiten, ist bedingt durch die erwähnte Abkapslung von anderssprachlichen Emigranten.

Bei den ausländischen Kindern und Jugendlichen ist das anders. Unabhängig ihrer Nationalität treffen sie sich im Freizeitheim Westend, dessen Veranstaltungen multinational sind. In den letzten Jahren war dieser Treffpunkt dauernd von einer Schließung bedroht. Der Grund dafür: es kommt eben billiger, Jugendliche einfach auszuweisen (siehe „Black Spider“), als ein Heim zu unterhalten, das effektiv mit diesen zusammenarbeitet. Seit Jahren schon organisieren sich die Ausländer in folkloristischen Vereinen, Elternvereinen etc. Laut Verfassungsschutz bestehen in der BRD elftausendachthundert Vereine. Der Versuch der Parteien, insbesondere der kommunistischen Parteien, diese in ihre Hand zu bekommen, bereitet ihnen genauso Schwierigkeiten, wie ihr früheres Bemühen, die Ausländer in ihre Organisationen einzubeziehen. Da sich die Organisationsstruktur der Vereine besser durchschauen lässt, können ihre Mitglieder auch leichter die Lösung von Problemen gemeinsam angehen. Mittlerweile gibt es erste Kooperationen zwischen den Vereinen.

Im Alltag ist die gegenseitige Hilfe selbstverständlich. Wohnungs- und Arbeitsstellentipps werden untereinander ausgetauscht. Wird zum Beispiel eine Wohnung leer, dann denkt man gleich an die Verwandten und Bekannten, die eine suchen, und handelt entsprechend. Mindestens alle zwei Wochen gibt es große Familienfeste; außerdem besuchen sich die Familien oft gegenseitig. Isolation kommt auf Grund dieser Gemeinschaftsstruktur selten vor.

Auf den Straßen merkt man ebenfalls: in Gruppen gehen sie spazieren – die Straße ist ein Aufenthaltsort und dient zumindest in der arbeitsfreien Zeit nicht der Streckenüberwindung!

Auch in den vielen ausländischen Kneipen und Cafes ist Leben: im Fernsehen läuft gerade „Unter unserem (bayrischen) Himmel“, dazu Sirtaki aus der Musikbox, ein Grieche am Nebentisch zeigt uns sein silbernes Tischfeuerzeug und malt mit dem Finger eine „20“ auf den Tisch.

Der Wirt steht mit seiner Familie hinterm Tresen. Wie die anderen Wirte kann auch er kaum ein Geschäft machen, denn das „Gesetz“ verbietet ihm selbständige Arbeit. Mit dem „Gesetz“ auf der Seite, haben Deutsche die Kneipen gepachtet und Emigranten reingesetzt, die sie dann abkassieren. Laut „Gesetz“ dürfen Ausländer nur Schneidereien betreiben. Diese existieren massenhaft im Viertel – übrigens ein guter Tipp.

lm- und Exportgeschäfte findet ihr in nahezu jeder Straße. Die florieren deshalb so gut, weil viele Ausländer Angst haben, wegen ihrer mangelnden Sprachkenntnisse von Deutschen beschissen zu werden. So kaufen sie dort ein und werden erst recht beschissen.

Nicht so in den Lebensmittelläden: Das Warenangebot zu „normalen Preisen“ ermöglicht es den Ausländern, auch bei uns nicht auf ihre heimische Küche verzichten zu müssen.

Zum Bedauern von Karstadt, Kaufhalle und dem Deutschen Supermarkt. Die beiden Kaufhäuser gehören zu dem riesigen Hacker-Pschorr-Komplex auf der Theresienhöhe, in den die Brauerei mittlerweile 84,5 Millionen DM investiert hat und der unter sich zweitausend Garagenplätze beherbergt. Die Hacker-Pschorr-Bräu-Verwaltung ist dort auch ansässig, gepaart mit der Verwaltung ihre hundertprozentigen Müho-GmbH-Tochter. Über alles ragt ein Gebäudekomplex mit Appartements, die den etlichen Warenvertretern und Managern als Domizil dienen, befindet sieh doch gleich daneben das Messegelände der Messegesellschaft.

Nun soll aber das Projekt laut Bräu AG die „größte Fehlinvestition der letzten zwanzig (!) Jahre sein“.

Zwar vermietet die Aktien-Gesellschaft schon fünfundneunzig Prozent des Komplexes „langfristig“ – „jährliche Mieteinnahme vier Millionen, im Optimalfall sieben Millionen“ – aber die Schwanthaler Höh’ ist ihr noch nicht Geschäftsviertel genug. Und außerdem „leide das Image der Theresienhöhe, die ja auch als Ausstellungs- und Kongreßzentrum diene, unter einer überdurchschnittlichen Konzentration an Bierlokalen“ und der angesprochenen Basarstimmung“.

Angesprochen wurden in der eben zitierten Diskussionsveranstaltung über die Zukunft der Schwanthaler Höh’ die anfangs erwähnten fünfzehn Busse, „deren Insassen die Straßen in Basare verwandelten.“ Die Diskussionsteilnehmer meinen wahrscheinlich die Halbwelt von ausländischen Import-Export-Händlern und ihrer Kundschaft, die scharenweise als Touristen anreisen um sich einen Mercedes zu kaufen. Sie haben mit ausländischen Arbeitern nichts zu tun.

Die weitere Entwicklung des Arbeiterviertels soll ungefähr so aussehen: in der nördlichen Zone Lagerhallen mit Gleisanschluss, in der westlichen ein Industriepark und Metzeler will expandieren. In den Schubfächern liegen Pläne zur Verbreiterung der Trappentreustraße um zwei weitere Spuren – dazu müssten vorher noch einige Häuser weg – und zum Bau der T3, einer Autobahnverbindung quer durchs Viertel.

Und die neuesten Projekte: ein neues Kongreßzentrum soll auf der Theresienhöhe gebaut werden. Baukosten dreißig Millionen, die Stadt zahlt zwanzig Millionen, der bayrische Staat zehn Millionen. Und für eine bessere Anbindung wird auch gleich gesorgt:

„EIN VERBINDUNGSGLEIS mit einer Zug-Abstellanlage zwischen den U-Bahn-Linien 6/3 und 5/9 sehen die Pläne der Stadt unter der Theresienwiese vor. Sie liegen gegenwärtig der Regierung von Oberbayern zur Genehmigung vor. Das Verbindungsgleis soll einen Pendelbetrieb zwischen den U-Bahn-Bahnhöfen Implerstraße und Messegelände ermöglichen und später die betriebliche Voraussetzung dafür schaffen, dass auf der U 5/9 zwischen dem Westend und dem Stachus im voraus ein Teilbetrieb aufgenommen werden kann.“ (Süddeutsche Zeitung vom 2. Juni 1976)

Noch mal Ex-Oberbürgermeister Vogel: „Noch vor einigen Jahren habe ich gesagt, München ist nicht New York. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher!“ Sein damaliger Planungschef Abreß: „Was die Neger für Amerika sind, sind die Ausländer für uns, wir müssen aufpassen, dass wir kein zweites Harlem heranziehen.“

Und noch etwas deutlicher: „Gastarbeiterprobleme können zu Gastarbeiteraufständen führen, wie in Amerika Negerprobleme zu gewaltsamen Negeraufständen geführt haben. Diese Befürchtung von Experten wurde zu einer Befürchtung von Millionen, als sich vor einigen Wochen (Ford-Streik) Gastarbeiter als radikale Speerspitze bei den wilden Streiks präsentierten. Angst davor, wozu Gastarbeiter sonst noch fähig sein könnten, breitet sich aus.“ (Quick Nr. 39, 1973) – aber wohl nur bei den „oberen Zehntausend“.

Die räumliche Ghettobildung wird fortschreiten. Wir glauben, wir können von den Ausländern lernen. Es gibt ja schließlich schon das Squatter-Viertel in London und Christiania in Kopenhagen!

Anmerkung: Die deutsche Bevölkerung wurde nur am Rande erwähnt, da wir die Situation der Emigranten schwerpunktmäßig hier behandeln wollten. Unseres Erachtens müssten Diskussionen über Möglichkeiten der Kooperation zwischen Deutschen und Ausländern intensiviert werden. In diesem Zusammenhang wäre der Ghettobegriff zu differenzieren.


Peter Schult/Ralph Schwandes/Herbert Straub/H.-Rainer Strecker/Ursula Wolf, Stadtbuch für München 76/77, München 1976, 108 ff.

Überraschung

Jahr: 1975
Bereich: AusländerInnen