Materialien 1975
Saubermann für DM 1,10
in den medien ist man voll des lobes über resozialisierung und resozialsierungsbemühungen der ach-so-vielen-stellen von privater und administrativer seite. und gerade im knast, kurz vorm „abgang“, liest sich das natürlich besonders gut, und man denkt da so in seiner natürlichen unbefangenheit, dass schon alles gut werden würde, und kommt auch endlich raus und glaubt ohne argwohn, wenn es mal so weit sei, könne man ja beruhigt zu diesen mittlerweile bekannten sowie verantwortlichen stellen gehen, und dass da schon alles werden würde, und schließlich, nichts schlechteres ist zu tun.
macht man sich auf den weg zum arbeitsamt in der thalkirchener straße, scheut sich nicht, diesen alten häßlichen bau zu betreten, läßt sich arglos und vorerst unbekümmert durch diesen amtsmief von zimmer x zu raum ypsilon schicken, wiederholt seinen mittlerweile langweilig und langweilend gewordenen spruch von seinem bedürfnis nach einer arbeit, und dann wird schließlich gefragt, irgendein alter typ in dümmster stereotype, wo man denn in den letzten drei jahren versicherungs-
pflichtig beschäftigt war. auch die antwort ist mittlerweile langweilend, denn es ist genügend bekannt, dass vom knast-arbeitslohn, ein tagesverdienst von einigen pfennigen, nicht möglich war, sozial- und arbeitslosenversicherung zu zahlen.
nach einigen stunden warten und einigen kurzen sätzen mit diesen beamten arbeitsvermittlern wird dann klar, dass die beim arbeitsamt gar nicht zuständig seien. der herr rattenhuber vom arbeitsamt, mit üblem stolz von seinem sozialen engagement und seinem rundgang durch stadelheim erzählend, macht sich mühe, weiß noch nicht, dass guter rat im rahmen der preis-
erhöhungen auch teurer geworden ist, schickt mich eilig zu herrn fritz nowak in die „münchner zentralstelle für strafentlassenenhilfe“ in der heimhauserstrasse 13, Zi. 24. während der eineinhalb stunden des wartens darauf, dass man auch mal drankommt, lerne ich durch meine mitwartenden leidensgenossen auch die knastverhältnisse in anderen gefängnissen kennen, bringe meinen beitrag über stadelheim in den esoterischen erfahrungsaustausch.
schließlich ist die reihe an mir, und dann bekomme ich erst ‚mal gesagt, dass man sich hier erst mal anmelden müsse’, die anmeldung auf zimmer 10 dauert nur 10 sekunden, aber dafür darf ich dann wieder eine gute stunde warten. der herr nowak ist sehr nett, anstrengend bemüht, und sicher noch nicht sehr lange in dieser zentralstelle für strafentlassene, denn es gelingt ihm erst nach längerer zeit, mir klarzumachen, dass auch sie niemanden helfen können: wenn ich keine wohnung hätte, könne ich ja in die pilgersheimerstraße, wobei aus den vorsichtigen andeutungen herauszuhören ist, dass das da in der pilgersheimerstrasse nichts außergewöhnliches, sondern nur ein obdachlosenasyl sei, in dem ich ja auch schlafen, billiger essen und auch arbeit finden könne.
der sozialarbeiter fritz nowak ist sehr erfreut über seinen erfolg, als er hört, dass ich es doch lieber mal alleine versuchen wolle, eine wohnung und arbeit zu finden: wozu habe man denn sonst freunde.
einige wochen später, das entlassungsgeld in höhe von dm 71,56 ist auch schon ein wenig aufgebraucht, bin ich „polizeilich“ gemeldet und wohne immer noch bei meinem freund heinz jacobi, der als schriftsteller selbst von der schmutzigen „hand in den kariösen mund“ lebt (so seine darstellung seines savoir vivre), mache mich bei akuter nahrungsmittelknappheit auf in das für mich „zuständige“ sozialamt in der beethovenstraße. dort trifft man sich, und gemeinsam ist das den-arsch-auf-den-amtsbänken-breit-sitzen leichter erträglich.
fräulein reisböck und herr brandhofer auf zimmer 64 sind auch nur beamte, haben u.a. auch ihre schwierigkeiten mit diesem komischen papier-, formular- und antragskram, und so braucht alles seine zeit. und die draußen noch wartenden werden um 12 uhr weggejagt, denn „parteienverkehr“ ist am montag, mittwoch und freitag bis nur 12 uhr. ich bekomme geld, endlich. ganze 55,- dm wechseln den besitzer, und ich muß mich verpflichten, für die stadt münchen jede „zumutbare tätigkeit“ auszuüben. sie drohen mir, die „sozialhilfe“ zu streichen, wenn ich einmal nicht zu dieser mir zugewiesenen arbeit als putzmann zu dieser olympia G.m.b.H in die olympia-halle gehen sollte.
froh, mir endlich mal was zu essen kaufen zu können und dabei nicht ahnend, worauf ich mich
da eingelassen habe, bin ich vorerst mit allem einverstanden, erkläre mich bereit, „jede mir zu-
gewiesene arbeit“ (das vokabular erinnert stark an den stil der „verhaltensvorschriften“ in stadelheim) auszuführen.
am nächsten morgen um acht melde ich mich bei herrn rath in der olympiahalle, herr rath ist sehr klein und scheint von dem wahn besessen, nur mit äusserst lauter stimme kommunizieren zu können. seine art, mit menschen umzugehen (ein mittelding zwischen knastwächter und sauber-
keitsfanatiker) ist, und das muß zu seinem besseren verständnis gesagt werden, bei dieser masse arbeitsloser, asylbewohner, alkoholiker, kurz, all die, die man so im allgemeinen als asoziale bezeichnet, ab und zu angebracht, wenn man dafür sorgen muß, dass die olympia-halle für die nächste holli-day-on-ice-show oder für den stargast peter alexander gesäubert sein muß. dazu sind nun die täglich siebzig, neunzig oder gar hundertfünfzig erscheinenden „sozialarbeiter“ verpflichtet.
fast alle sind bewohner des obdachlosenasyls in der pilgersheimerstraße, die dort von so ’nem boss ein papier bekommen, das sie berechtigt, bei herrn rath in der olympia-halle (evtl. auch noch in einer stadtgärtnerei zum unkraut rupfen) zu putzen. dafür bekommen sie 12,- mark. von diesen 12,- mark müssen sie für das schlafen in diesem obdachlosenasyl nur zwei mark zahlen, für das essen einen ähnlich geringen preis, so dass noch ein wenig für ein bier und eine schachtel zigaretten übrig bleibt. diejenigen, die vom sozialamt eine sozialhilfe (!) erhalten (wir sind insgesamt fünf bei diesem herrn rath), die monatlich 258,- mark vom sozialamt erhalten, bekommen einen stundenlohn von einer mark und zehn pfennig. für diese 120 mark in der stunde müssen wir von acht uhr bis halb eins mit besen und schrubber den dreck von holliday-on-ice und die wahrheit über peter alexander wegsäubern. (auf zimmer 64 des sozialamts bat ich, mir doch für das putzen einen angemessenen stundenlohn zu geben, damit ich nicht bei ihnen für einige pfennige herumkriechen muß. – das ginge nicht.)
meine analfixiertheit reicht einfach nicht aus, als dass ich mich da mit freude dem säubern und putzen hingebe, und so lungern wir herum auf dem olympiagelände, erwecken den etwas komischen eindruck des arbeitens, einige klauen hier was, brechen dort was auf und warten letztlich darauf, dass das endlich vorbei sei. wir selbst sehen uns einfach als die sklaven, unter-
scheiden uns in nichts von denen im antiken olympia, wo man auch so von den sozialen errungenschaften und verhältnissen und diesem ungeheuren demokratieverständnis schwärmte und schwätzte.
nach einer woche war ich geschafft, ein arzt diagnostizierte einen „nervösen erschöpfungszustand“, schrieb mich arbeitsunfähig und verschonte mich so von herrn rath und seiner sauberen olympia-
halle. von 258,-mark sozialhilfe im monat dämmere ich nun so vor mich hin und sinne über die leute, die bei den bekannten zahlen über arbeitslosigkeit noch immer behaupten, dass derjenige, der arbeiten will, auch eine arbeit finden würde.
armin witt, 8 m 2, martin-greif-str. 3,
ich suche noch leute, die bei einer knastgruppe mitarbeiten.
tel. 53 58 59.
Blatt. Stadtzeitung für München 42 vom 21. März 1975, 4.