Materialien 1975
„Uns konn nix passiern, mia san ja versichert“
Die Wiedmaier-Sheriffs als schwarzer U-Bahn-Schrecken
Am 1. November fahren wir zu dritt, abends um 18 Uhr mit der U-Bahn zum Goetheplatz. Als wir aussteigen, laufen wieder mal zwei von den „schwarzen Sheriffs“ mit Hund herum zwecks Auf-
rechterhaltung von „Ruhe und Ordnung“ und so. Wir fahren die Rolltreppe hoch, schon froh, die unangenehmen Gestalten hinter uns zu haben, als wir sehen, wie einer der schwarzen einen Penner aufstöbert, der auf einer Wartebank liegt. Der Penner, ein einarmiger Typ, lässt sich zwar auf-
scheuchen, kommt aber bloß noch ein paar Schritt weit und sackt zusammen. Too much alcohol — offensichtlich. Anstatt dem Penner hochzuhelfen, stößt der Wiedmaier-Söldner ihm mit dem Fuß in die Steißbeingegend und plärrt: „Auf! Auf! Los! Gemma!“ Klar, das steht einem Sheriff auch besser zu Gesicht.
Wir denken, es ist besser, den Penner zu holen, bevor ihm Schlimmeres passiert. Denn wie brutal die Wiedmaiers gegen Penner vorgehen, darüber gibt’s inzwischen genug Horrorgeschichten. Wir gehen also runter, heben den Penner hoch und fahren mit ihm die Rolltreppe rauf. Rainer fragt den Sheriff nebenbei, warum er dem Penner nicht aufgeholfen hätte. Das ist dem Wiedmaier-Mann zuviel:
WIEDMAIER-SHERIFF: Ihr könnt’s ja jede Nacht mit uns mitgehen und die Typen raufholen, die gehören doch in ein Arbeitslager.
HERBERT: Schmarrn.
WIEDMAIER-SHERIFF: Was? Die gehören nicht ins Arbeitslager?
HERBERT: Nein, und Nazis wollen wir auch keine mehr.
WIEDMAIER-SHERIFF: (höhnisch) Seid’s wohl Jusos?
Wir lassen’s gut sein und passieren die Sperre. Wir sind schon an der Treppe zur Kapuzinerstraße rauf, als uns plötzlich die zwei Wiedmaier-Sheriffs umringen.
WIEDMAIER-SHERIFFS: Stehenbleiben! Zeigen’s uns mal Ihre Fahrausweise?
BEATE: Wieso? Wir sind ja schon längst außerhalb vom Sperrbereich. Warum wollen Sie da kon-
trollieren?
WIEDMAIER-SHERIFF: Wegen dem „Nazi“. Damit Sie es genau wissen. Das lassen wir uns nicht bieten, das ist eine Beleidigung.
BEATE: Und von dem „Nazi“ fühlen Sie sich betroffen?
WIEDMAIER-SHERIFF: Jawohl.
Wir finden, es ist seine Sache, ob er sich betroffen fühlt oder nicht. Jedenfalls weigern wir uns, die Fahrscheine herzuzeigen. Denn erstens sind wir schon aus dem Sperrbereich, und zweitens ist der Grund für die Kontrolle der, dass ein bisschen Terror gemacht werden soll. Nach dem Motto: Wenn du unser brutales Vorgehen gegenüber einem Penner kritisierst, bist du gleich das nächste Opfer. Da wir nicht bereit sind, jedem X-beliebigen außerhalb vom Sperrbereich unseren Fahr-
schein unter die Nase zu halten, finden es die zwei Sheriffs angebracht, unsere Personalausweise sehen zu wollen. Gefragt nach dem Grund, erklären uns die schwarzen Kontrolleure, das sie eine Anzeige wegen Beleidigung und Fahrscheinerschleichung erstatten wollen. Wir glauben unseren Ohren nicht trauen zu können: „Beleidigung?“ „Fahrscheinerschleichung“? — Da ist’s doch besser, den Ausweis in der Tasche zu lassen. Wir bieten den Wiedmaiers ein faires Geschäft an: Wir tau-schen die Personalien aus. Freilich wollen die da nicht drauf eingehen: „Wir kriegen Ihre Persona-lien, aber Sie unsere nicht.“ Da wir das immer noch nicht einsehen wollen, alarmieren die Sheriffs die Polizei. Wir aber sollen bis zu deren Ankunft im Häuschen fürs U-Bahn-Personal aufbewahrt werden.
Wer weiß, wie Wiedmaier-Sheriffs trotz der Gegenwart von Zeugen es wagen, lästig zu werden, kann sich vorstellen, dass wir keine Lust haben mit ihnen hinter geschlossenen Türen beisammen zu sein. Wir sagen den Wiedmaiers, dass wir nicht mitgehen wollen, aber die klären uns gleich in zweifacher Weise auf, warum wir mitgehen müssen. Einer meint, das sei wegen „Fluchtgefahr“ und der andere packt gleich H. am Mantel und zerrt ihn in Richtung Personalaufenthaltsraum. Unter diesen Umständen gehen wir mit, und endlich beschließt auch der Wiedmaier-Mann seine Finger vom Mantel anderer Leute zu lassen.
Drinnen im Personalaufenthaltsraum: Rainer wird an die Wand geschubst, ein Stuhl wird uns vor die Füße geknallt. „Hinsetzen!“ Keiner setzt sich. Beate zündet sich eine Zigarette an.
WIEDMAIER SHERIFF: Machen Sie die Zigarette aus! Das ist kein Gasthaus, hier wird nicht ge-
raucht.
Wir wollen wissen, warum wir hier festgehalten werden. Die Sheriffs reden was von Beleidigung und irgendwelchen Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch.
WIEDMAIER-SHERIFF: Das gibt eine Anzeige und einen Prozess mit Vorstrafe und allem drum und dran. Merken Sie sich das. Sie sind nicht die ersten, die sich mit uns angelegt haben. Wir ha-
ben schon zehn Prozesse gehabt und noch jeden gewonnen. Uns konn nix passiern. Mia sind ja ver-
sichert. Aber Ihnen kann schon was passieren.
Herbert setzt sich.
WIEDMAIER-SHERIFF: Ist das so selbstverständlich, dass man sich hier hinsetzen darf?
HERBERT: Wenn ich am Tag arbeit, werd ich am Abend wohl sitzen dürfen.
WIEDMAIER-SHERIFF: Das ist gar nicht selbstverständlich.
So vergeht eine geschlagene halbe Stunde, wo uns die Wiedmaiers immer wieder klar machen, wer Herr im Haus ist. Es ist kurz vor 19 Uhr. In einigen Minuten haben die Sheriffs Dienstschluss. Es gibt Unstimmigkeiten zwischen den beiden. Der eine will auf alle Fälle pünktlich Feierabend ma-
chen und nicht länger auf die Gerechtigkeit warten: „Brauch koan Richter. Ich bin mein eigner Richter.“ Bevor die Western-Atmosphäre total wird (das Gesetz bin ich), kommt dann die sonst schnellere Polizei. Ein blauer und ein schwarzer scheinen alte Bekannte zu sein: „Servus, Peter“, heißt’s da. Unsere Personalien werden aufgenommen. Wir werden in einen anderen Raum geführt, damit die Polizei ungestört telefonieren kam. Endlich kriegen wir unsere Personalausweise zurück. Wir verlangen die Personalien der schwarzen Sheriffs, da wir Gegenanzeige erstatten wollen. Aber der Polizist erklärt uns, dass er die Personalien des schwarzen Sheriffs nicht feststellen könne. Schon sehr seltsam, dass die staatliche Polizei angeblich nicht mehr zur Personalienkontrolle eines Privatpolizisten befugt ist. Also erhalten wir lediglich die Nummern der Wiedmaier-Sheriffs (026 und 044), mit dem Hinweis, beschweren könnten wir uns beim „Zivilen Sicherheitsdienst, 8 München 40, Olympiagelände Radstadion“.
ZEUGEN GESUCHT !!!
Nachdem die Wiedmaier-Söldner vorhaben, uns eine Anzeige aufzuhängen, wäre es ganz gut, wenn wir Zeugen für den Vorfall hätten. Wir wissen, dass einige Leute die Geschichte mitbekommen ha-
ben. Deshalb: Wer am 1. November um ca. 18 Uhr in der U-Bahn Station Goetheplatz den Vorfall mitgekriegt hat, melde sich bitte bei uns. Belohnung: möglicherweise Zeugengeld aus der Justiz-
kasse …
Herbert Kapfer, Rainer Roßmanith, Beate Schuler
8 München 2, Kapuzinerplatz 4
Blatt. Stadtzeitung für München 57 vom 14. November 1975, 4 f.