Materialien 1975

Liebe Autoren und Mitarbeiter ...

Werner Raith Verlag – 813 Starnberg, Possenhofener Straße 36
1. Juli 1975

An alle Autoren und Mitarbeiter
des Raith Verlages
An alle Autoren und Mitarbeiter
des Weismann Verlages

Liebe Autoren und Mitarbeiter,

schon einmal geschlagen durch die staatsanwaltschaftliche Beanstandung und schließliche Ein-
stampfung eines unserer Bücher (als in einem zur Mädchen-Sexualaufklärung publizierten Band vor allem klassenkämpferische Aufrufe und Tendenzen zur Organisierung Unterdrückter gesehen wurden), kann ich nicht umhin, Sie auf mögliche Konsequenzen der derzeit schon in erster Lesung durch den Bundestag gegangenen sogenannten Anti-Terror-Gesetze aufmerksam zu machen, die die Veröffentlichung und Verbreitung bestimmter Schriften unter schwere Strafe stellen.

Zu Ihrer Information habe ich die Alternativ-Vorschläge der Bundesregierung und des Bundesrates in Kopie beigefügt. Beide stimmen in der Grundtendenz überein, mithin sind wesentliche Milde-
rung nicht mehr zu erwarten.

Diese Gesetze stellen nun z.B. auch die Erörterung gesellschaftlicher Auseinandersetzungen unter Strafe, sofern man dabei irgendwo auch nur die Spur von Gewaltanwendung entdecken kann. Das-
selbe gilt, wenn man politische Umstürze etwa in Griechenland oder Lateinamerika billigt oder nicht nachdrücklich genug ablehnt. Damit steht faktisch die gesamte Tendenz-Presse und das ein-
schlägige Verlagswesen in Frage.

Erste Auswirkungen zeigen sich für unseren Verlag bereits heute: eine Anzahl von Autoren hat derzeit bei uns in Produktion befindliche Arbeiten, obwohl bereits fertig gesetzt und umbrochen, nachträglich so gravierend verändert, dass faktisch ein Neusatz notwendig wurde.

Die hierbei sichtbar werdenden Besorgnisse und verschiedene Anfragen veranlassen mich zur notwendigen und unmissverständlichen Feststellung, dass der Verlag im Falle eines staatlichen Zugriffs nicht imstande sein wird, die Autoren wirksam zu schützen – weder besitzen wir die finanziellen Mittel noch die juristischen und politischen Verbindungen, etwa mithilfe öffentlicher Kampagnen eine extensive Auslegung der Gesetze zu verhindern.

Dies klingt wie eine Bankrotterklärung (und zum Teil ist es dies auch) aber es hat ja auch keinen Sinn, Autoren in eine Sache hineinzuhetzen, die sie vorerst selbst vielleicht noch nicht überblicken können.

Mit den besten Grüßen
Werner Raith


Material Franz Gans