Materialien 1975

Gespräch mit Siegmar Geiselberger

zu Problemen von Kommunalpolitik und Stadtplanung

FRAGE: Letztlich hast Du auf einer Veranstaltung des Münchner Forums zur Frage „Bestimmen die Münchner Unternehmen die Stadtentwicklung“ u.a. gesagt, „dass das in der BRD herrschende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem den Unternehmern einen Einfluss ermöglicht, der die Grenzen möglicher Entscheidungen der Gemeinden und Städte in Fragen der Kommunalpolitik sehr eng zieht.“ Was würdest Du unter diesen Grenzen verstehen und was heißt das konkret für die parlamentarische Arbeit?

GEISELBERGER: Für ein solches Gespräch eine ziemlich komplizierte Frage: man muss das so sehen, dass durch den Gesamt-Kapitalismus z.B. das Steuersystem bei uns ebenso einseitig ausgerichtet ist, dass die Gemeinden zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht genug Gelder bekommen aus dem, was an Steuern insgesamt vorhanden ist, wie ein großer Teil der Steuergelder z.B. in die Rüstung direkt, in Industriesubventionen einfließt oder indirekt durch Unterstützung von Industrieforschung etc. verwendet wird. Es sind also sowohl die Steuern und ihre Verteilung als auch die Gesetze so zugeschnitten, dass die Gemeinde überhaupt keine Planungshoheit hat, sondern in allen möglichen Rahmenbedingungen drin steckt, die ihr Grenzen setzen und dann kommt noch hinzu, dass grad in so aktuellen Krisenzeiten die Argumente der Arbeitsplatzsicherung zur praktischen Erpressungspolitik benutzt werden kann, weil Sie sagen, wenn Ihr uns jetzt nicht unterstützt – etwa bei der Baulandbeschaffung oder der Gewerbesteuer oder sonstwo – dann verringern wir einfach die Arbeitsplätze oder investieren nicht mehr oder ziehen gar unsere Arbeitsstätten ab, Dann kommen die Politiker natürlich ins Schleudern, weil sie ja auf die Massenloyalität angewiesen sind, die ja ihren Arbeitsplatz brauchen und dann lassen sie sich erpressen oder gehen Bindungen ein, die dann von der Stadt nicht verkraftet werden können. Man muss nämlich bedenken, dass die Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes die Stadt ca. 20.000.— an Nachfolgelasten kostet, die durch das, was dieser neue Arbeitsplatz an Steuern einbringt, einfach nicht finanziert werden können.

FRAGE: Letztendlich ist also die im Grundgesetz festgelegte Gemeindeselbstverwaltung zur Farce geworden.

G’BERGER: Ja, die ist natürlich nur noch auf dem Papier, deshalb müsste es meiner Meinung nach im Stadtrat darauf ankommen, den Leuten die Grenzen klar zu machen, über die Folgen des Kapitalismus aufzuklären und andererseits, das ist das, was ich versucht habe, ganz konsequent die noch vorhandenen Möglichkeiten ausnützen, z.B. in der Verkehrspolitik. Ich kann z.B. die Bodenpreise dadurch bestimmen, dass ich die Verkehrserschließung in einer ganz bestimmten Weise ordne. Wo ich etwa eine U-Bahn- oder S-Bahn-Kreuzung hinlege, da steigen die Bodenpreise ins Unermessliche, aber ich kann mir genau überlegen, wo ich diese Kreuzung hinmache, die Freiheit hab ich. Dadurch kann ich etwas Einfluss nehmen, aber das ist natürlich begrenzt, darüber muss man sich im Klaren sein und darf keine Illusionen verbreiten.

FRAGE: Ja, aber ergeben sich nicht noch weitere Restriktionen durch die ständig sich offenbarende Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Kapital – Beispiel: das Baureferat will der Bayrischen Versicherungskammer gestatten, im allgemeinen Wohngebiet ein Verwaltungsgebäude zu errichten.

G’BERGER: Das glaub ich, ist zu einfach betrachtet. Die These, dass die Verwaltung mit dem Kapital zusammenarbeitet, stimmt nur teilweise, denn man kann die Verwaltung genauso dazu bringen, dass sie im Sinne der Bürger arbeitet, jetzt mal abgesehen von dem Rahmen, den die Gesetze setzen. Also den Spielraum, der noch übrigbleibt, kann man entweder auch für das Kapital oder für den Bürger nutzen und diese Möglichkeit ist in der Verwaltung drin, und es ist auch in den letzten zwei Jahren doch verhältnismäßig weit gelungen, z.B. die Stadtplanung auf einen Kurs zu bringen, der im Sinne einer vernünftigen Stadtentwicklung gelegen wäre. Andererseits stimmt tatsächlich – da ist die BVK nur ein Fall von hunderten, dass man grad in München den großen Unternehmen gegenüber unheimlich großzügig war und z.T. heute immer noch Zusagen von vor zehn Jahren eingelöst werden müssen, zumindest argumentiert die Verwaltung so. Aber wenn man das jetzt alles sieht und einkalkuliert, dann spielt es doch noch eine ungeheure Rolle, welche räumliche Planung man macht: Wenn ich z.B. alle Schulen in Harlaching ansiedle und am Hart, wo die Arbeiter wohnen, keine – zu einem solchen Unfug zwingt mich keiner, ich kann es genauso gut anders herum machen und die Schulen so setzen, dass die Arbeiterviertel prima versorgt sind. Diese Möglichkeit habe ich als Stadtrat und das wirkt sich natürlich unheimlich aus auf die Bewusstseinslage der Leute, auf ihre Fortbildungsmöglichkeiten, auf ihr Klassenbewusstsein und all das, was ihr politisches Handeln bestimmt und da gibt’s halt doch noch eine Fülle von Möglichkeiten.

FRAGE: Du hast eben gesagt, dass sich in der Stadtplanung noch viel für die Bürger machen lässt. Ein Entwurf sich mehr an den Bedürfnissen der Bürger zu orientieren, war ja der Rosa-Zonenplan. Dieser Plan sollte die weitere Vertreibung der Wohnbevölkerung aus den Cityrandbereichen unterbinden. Hierin waren all die Gebiete, die primär dem Wohnen vorbehalten sein sollten, „rosa“ angelegt, die anderen Gebiete, die sonstige Funktionen aufnehmen sollten, „grau“ gezeichnet. Jedoch habe ich den Eindruck, dass sich über diesen, seit einiger Zeit ein „Grauschleier“ legt. Würdest Du überhaupt eine Chance sehen, dass dieser bisher noch unverbindliche Entwurf eines Tages Rechtskraft bekommt?

G’BERGER: Der Rosa-Zonenplan hat leider nie eine rechtliche Verbindlichkeit gehabt und jetzt wird er tatsächlich noch weiter ausgehöhlt. De rund dafür liegt nicht so sehr in der Verwaltung, sondern vielmehr im Opportunismus der Stadträte, von der rechten SPD bis zur CSU, die dauernd die Vorlagen der Verwaltung in dem Sinne verändern, dass man letztendlich doch den Kapitalinteressen nachgibt. Die Verwaltung reagiert dann mit dem Vorwurf, dass der Stadtrat seine eigenen Beschlüsse gar nicht ernst nimmt und nicht einsieht, wieso sie die Vorlagen positiv verändern soll, wenn diesen dann hinterher nicht zugestimmt wird. Aus diesem Grund verändert sich auch das Verwaltungshandeln. Wenn man eine Bilanz aufstellt, was eine gezielte Strukturpolitik bedeutet hätte und was getan worden ist, so ist das Ergebnis traurig. Denn gerade von der SPD-Rechten wurden unheimlich viele Rückzieher gemacht. Was seinerzeit von Abreß (Stadtentwicklungsreferent) entwickelt worden war, wurde nicht durchgehalten, so dass der Flächennutzungsplan, der jetzt gemacht werden soll, auf der Grundlage des Rosa-Zonenplans praktisch keine vernünftigen Änderungen beinhaltet. Der schaut zwar äußerlich besser aus, da die früher ausgewiesenen Kerngebiete zwar reduziert, aber nicht etwa als Wohngebiete festgesetzt wurden, sondern als Mischgebiete. In Wirklichkeit ist es aber eine Verschlechterung, weil im Mischgebiet außer Büronutzung auch Gewerbe, sogar störendes, zulässig ist. Es wird also alles noch miserabeler als es bisher schon war.

FRAGE: Seit Jahren existiert eine weitere gesetzliche Handhabe, die für den Bürger angewendet werden kann, die so genannte Zweckentfremdungsverordnung, mit der die Stadt Hausbesitzer bestrafen kann, wenn sie ihre Wohnräume in Büros etc. umwandeln oder leer stehen lassen. Durch diese Verordnung konnte sicherlich die Vertreibung der Bevölkerung aus den City-Randgebieten eingeschränkt werden, denn man hat sie, zumindest was die privaten Hausbesitzer betrifft, häufig angewendet. Aber wenn es um den Hausbesitz der Stadt selbst geht, ist man da viel großzügiger. So konnte z.B. die Stadt ihr Altenheim am Gasteig ungestraft zunächst mal eine Zeitlang leer stehen lassen und es dann sogar abreißen, obwohl auf diesem Grundstück frühestens in zwei bis drei Jahren wieder gebaut werden soll.

G’BERGER: Ja, man muss sehen, dass sich die Stadt bei ihren eigenen Häusern genau so verhält wie ein privater Hausbesitzer, d.h. nur nach Rentabilität entscheidet. Es ist klar, dass da Widersprüche auftauchen. Beim Gasteig kommt noch dazu, dass es eine reine Prestigeangelegenheit war, das geplante Kulturzentrum dahin zu bauen und dazu noch eine Vorleistung für die Schallplattenindustrie, die dort teure Anlagen installiert bekommt, die sie selbst nicht zu bauen braucht. Ja und was die völlig unvernünftige Haltung betrifft, die Leute nicht in das Altenheim reinzulassen, obwohl man weiß, dass man dort erst später bauen kann: der Grund dafür liegt wahrscheinlich in der Angst, dass die Leute dann nicht mehr aus dem Altenheim rausgehen werden. Das ist halt eine dieser Sachen, in der Kronawitter sich in seiner sehr beschränkten Einsichtsfähigkeit durchgesetzt hat, denn innerhalb der Verwaltung waren durchaus Tendenzen da, dort eine Zwischennutzung zuzulassen.

FRAGE: Ein anderes Problem: die Bebauung des Leopoldparks. Warum hat man im Stadtrat nicht auf die gesetzliche Möglichkeit der Veränderungssperre für dieses Grundstück zurückgegriffen? Damit hätte man zumindest für zwei wenn nicht sogar vier Jahre eine Bebauung verhindern können, ohne dass die Stadt etwa entschädigungspflichtig geworden wäre. Vielleicht hätte man damit die Bebauung ganz verhindern können, weil sich dann evtl. die Bauherrn gesagt hätten, wenn wir dort erst in zwei oder vier Jahren hinkönnen, dann bauen wir lieber gleich woanders.

G’BERGer: Eine Möglichkeit wäre es gewesen. Aber man muss sehen, dass, was da nach außen hin deklamiert worden ist, auch von der SPD im Grunde nur ein Scheinwiderstand war, in Wirklichkeit haben sie gar keinen Widerstand geleistet. Deshalb wurde diese Möglichkeit nicht ergriffen. Es ist ja auch der Antrag von Delonge (CSU) abgelehnt worden, einen Bebauungsplan aufzustellen, obwohl es wirklich ein sinnvoller Antrag war, wenn er von Delonge auch nur als Alibi gedacht war.

FRAGE: Es gab vor Jahren Pläne zur Dezentralisierung und Demokratisierung der Münchner Verwaltung mit dem Ziel, die Kompetenzen des Stadtrates nur noch auf regionale Fragen zu beschränken und in den einzelnen Stadtbezirken eigene vom Volk gewählte „Stadtteilräte“ zu bilden. Was ist aus diesen Plänen geworden, sind sie nun endgültig in der Schublade verschwunden?

G’BERGER: Diese Pläne haben damals zwei Wurzel gehabt. Die eine war, dass man versuchte, eine vernünftige Regionalentwicklung zu schaffen, das hätte bedeutet, dass München und die sieben bis acht Landkreise drumherum eine einheitliche Region werden und dass dann München auch kleiner untergliedert wird, also nicht die riesige Stadt den Landkreisen gegenüber steht, sondern zehn Teilstädte München den Landkreisen gegenüberstehen. Ja und die andere Wurzel war, z.T. von den Jusos, dass man verlangte, dem Bürger mehr Möglichkeiten zu geben, mitzuentscheiden bei Stadtangelegenheiten. Das wäre aber überhaupt nur möglich gewesen, wenn so eine Art Bezirksbürgermeistereien und Stadtteilräte, wie wir das damals vorgeschlagen haben – gebildet worden wären. Aus der ganzen Sache wird jetzt nichts werden, denn die Regionalverfassung, die Bayern von der CSU aufgebürdet worden ist, lässt eine vernünftige Entwicklung überhaupt nicht zu. Andererseits ist die Aufwertung der Bezirksausschüsse und der Bürgerversammlungen, die da jetzt im Stadtrat beschlossen worden ist, so minimal, dass also letztendlich keine vernünftige Entscheidungsbefugnis nach unten verlagert worden ist und letztendlich alles beim alten bleibt. Das ist also in der Schublade verschwunden, da kommt nichts mehr nach.

FRAGE: Apropos Bürgerversammlungen, einst hat sich der OB darüber beklagt, dass die Bürger in den BV’s den Stadtrat und die Verwaltung mit einer allzu großen Antragsfülle überfluten und dazu aufgefordert, das doch einzuschränken. Inzwischen ist die Beteiligung an den BV’s entschieden zurückgegangen und jüngst konnte man vom OB dazu hören, dass das wohl daran liegt, dass die meisten Forderungen der Bürger inzwischen eingelöst worden seien. Würdest Du das auch so sehen?

G’BERGER: Na ja, am Beispiel der Maxvorstadt sieht man doch, dass das etwas anderes ist, als es der OB darstellt. Am Anfang haben die Bürger der Maxvorstadt einen unheimlichen Nachholbedarf gehabt, da ja der Vogel jahrelang keine BV abgehalten hat. Da haben sie natürlich alle Probleme auf eine BV bringen müssen und dann haben sie erlebt, dass ihre ganzen Anträge so routinemäßig unter den Tisch gebügelt wurden. Darauf sind auf einer zweiten BV noch mehr aufgetreten. Sowohl die Aktion Maxvorstadt als auch die SPD aus dem Wählerviertel und die Bürger haben also nachgeforscht, was aus ihren Anträgen eigentlich geworden ist, und bei der dritten Veranstaltung haben sie dann einfach aufgegeben. Sie haben das Gefühl gehabt, dass die ganze Arbeit, die sie gemacht haben, völlig umsonst war, ihre Anträge vom Stadtrat und der Verwaltung nicht ernst genommen werden, sondern einfach als irgendein Bürgerquatsch abgetan werden, um den man sich nicht kümmern braucht, außer dann, wenn man es selber vielleicht mal für politisch opportun hält, wie die Geschichte um den Leopoldpark, die ja teilweise aufgegriffen, aber nicht weiter durchgezogen worden ist. Und so wird es sehr vielen anderen Bürgern auf anderen BV’s auch gegangen sein. Sie haben gemerkt, dass ihre Anträge nicht ernst genommen werden und stellen deshalb jetzt auch keine mehr. Ich’ halte überhaupt für das Hauptübel dieser ganzen Sache, das man die Leute systematisch in die Resignation treibt, und dann beklagt man sich, dass sie nicht stetig sind, dass sie nichts tun, dass sie sich nicht interessieren, und vergisst, dass man die Leute, wenn sie sich interessieren, so behandelt hat, dass sie ziemlich schnell wieder die Lust verlieren, enttäuscht sind und sich sagen: Nie wieder!

FRAGE: Auffällig ist, dass meistens die Forderungen der Bürger mit dem Hinweis auf die missliche finanzielle Lage der Stadt abgefertigt werden, gleichzeitig werden aber vom Stadtrat immense Summen für andere Projekte ausgegeben oder nach der Devise verfahren „hier und dort noch ein bisschen mehr Grün, Grün beruhigt doch so schön“. Aber auf Forderungen etwa nach Bürgerzentren wird nie eingegangen. Stecken da nicht doch eher politische Erwägungen dahinter?

G’BERGER: Ja, ich könnte mir schon vorstellen, dass da politische Absichten dahinter stecken. Das wird aber ganz anders dargestellt und ganz anders begründet. Die Verwaltung und die Stadträte sind da ganz merkwürdig schizophren. Sie sagen, ein Bürgerzentrum ist ja eigentlich ganz gut, aber das muss dann auch schön gemacht werden. Das kostet dann natürlich einen Haufen Geld und den Haufen Geld haben wir nicht. Typischer Fall war ja das Gasteig. Man hätte ja dafür, dass man dort zeitweilig ein Bürgerzentrum macht, wenig Geld aufwenden müssen und das hätte den Bürgern vollauf genügt. Für solch ein Bürgerzentrum ist ja gar kein Luxus nötig. Die Sache Wilhelmstraße (Depot) ist ja auch an dem Perfektionismus gestorben, weil der nicht mehr zu finanzieren war. Wenn man das so gelassen hätte, wie es ist und nur das Notwendigste geschaffen hätte, wäre das für die Bürger in Schwabing durchaus realisierbar gewesen, Das habe ich in vielen Fällen erlebt, z,.B. in Perlach, wo man ein altes Haus mal wegreißen wollte. Doch dann ist es doch gelungen, dieses zu erhalten und heute ist dort ein Kinderspielhaus drin. Das erlebt man am Hart, wo vom Baureferat gesagt wird, die alte Baracke, in die die Bürger da rein wollen, die muss man wegreißen und wir bauen dafür was Neues, das kostet 50 000. – und die haben wir nicht. Auf diese Weise nimmt man die Bürger auf den Arm, man sagt ihnen, wir wollen für Euch was ganz Gutes machen, in Wirklichkeit macht man aber gar nichts. Und es kann durchaus sein, dass das ein Vorwand ist und man auf diese Weise versucht, solche Bewegungen abzuwürgen.

ausgeführt und aufgezeichnet von Hans Rainer und Ralph Schwandes


Blatt. Stadtzeitung für München 46 vom 23. Mai 1975, 4 ff.

Überraschung

Jahr: 1975
Bereich: SPD

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