Materialien 1975

Priesterseminar oder Leopoldpark?

Mitte März hatten das Münchner Forum und die Schwabinger Bezirksausschüsse zu einem Bürger-
gespräch mit Podiumsdiskussion über die Zukunft des Leopoldparks eingeladen. An dem Gespräch beteiligten sich vom Podium aus zum einen die Vertreter der Bauherren, die den Leopoldpark mit mehreren Institutsgebäuden und einem Priesterseminar zubetonieren wollen, der Konrektor der Universität und sein Kanzler sowie Prälat Maier vom Erzbischöflichen Ordinariat, zum anderen der Münchner OB Kronawitter, sowie Vertreter des Stadtentwicklungsreferates und der Bezirks-
ausschüsse. Auf das mit kaum vorstellbarer Arroganz zur Schau getragene Beharren der Bauwil-
ligen von Uni und Ordinariat auf dem Standort Leopoldpark, der einzigen Grünfläche für über 60.000 Bewohner Schwabings und der Maxvorstadt westlich der Leopoldstr. antwortete ein Schwabinger Bürger mit folgenden Worten:

Liebe Bürger, meine Herren vom Podium, Sie werden gemerkt haben, dass in der Anrede bei mir ein kleiner Unterschied vorhanden ist. Zur Legitimation, hier zu sprechen, möchte ich sagen, dass ich seit 20 Jahren in der Neureutherstraße wohne und mir daher das Recht, hier zu sprechen, ersessen habe, im wahrsten Sinne des Wortes. Man kann mir auch nicht abstreiten, dass genug Verständnis für die Universität oder für die Stadt bei mir vorhanden wäre, denn ich habe schon auf der Universität gesessen, als wir noch Steine geklopft haben und eine Camel für uns ein Glückszustand vom Himmel war. Vielleicht liegt da eine gewisse Berechtigung drin: Ich habe einen Sohn, der immer am Rande eines Herzinfarktes zwischen der Abtstraße, dem Studenten-
zentrum und der Universität hin und her pendelt, aber ich habe noch keine Anzeichen festgestellt, dass er darunter zusammenbrechen wird wegen der räumlichen Entfernung. Ich glaube auch nicht, wenn Teilbereiche der Universität an die Heidemannstraße verlegt werden würden, dass das bei ihm schwerwiegende gesundheitliche Auswüchse haben würde (Klatschen). Ich habe auf der Universität Jura studiert und Philosophie und habe 1950 mein Staatsexamen gemacht. Ich verstehe etwas von Paragraphen einerseits und andererseits von der Dialektik. Aus diesem Grun-
de bin ich auch nicht gewillt, weil ich auch den letzten Punkt studiert habe, in Ihre Dialektik ein-
zutreten, denn dann könnten Sie mich Tag und Nacht mit Ihren Sachverständigen eindecken, da sind Sie überlegen. Ich möchte etwas Grundsätzliches sagen. Ich für meine Person habe es einfach bis oben hin satt, die Kompetenzschiebung zwischen Staat und Stadt, zwischen Parteien und Kommunen, Interessenverbänden und der Kirche hinzunehmen und dabei Tag für Tag zu erle-
ben, wie der Lebensraum zerstört wird. (Tosender Beifall), Und dabei haben Sie alle versagt, meine Herren, alle durch die Bank, denn die Vernichtung der Stadt München und auch des baye-
rischen Umlandes, woran wir ja alle so sehr hängen, ist ja nicht eine Frage von 1975 oder 1971, sondern da ist die Stadt München als Kommune seit vielen Jahren genauso schuld wie die Staats-
regierung, und es besteht gar keine Veranlassung, politisch hin und her die Verantwortung zu schieben, wo wir doch letztenendes diejenigen sind, die darunter zu leiden haben. Es geht letzten-
endes um die Studentenbuden, um die Räume von Rentnern, um Kleinhandwerksbetriebe, um die Wohnung der Bürger und wenn man sich heute darüber so echauffiert und so furchtbar viele gü-
tige und auch kluge Argumente von Ihnen hat, dann muss ich sagen, dass es schon genug Men-
schen gegeben hat, die Sie daran haben verzweifeln lassen und zwar ausnahmslos alle von ihnen. Und wenn das nicht anders wird, gibt es nur eins, dass das Bürgerbewusstsein so erwacht, unab-
hängig von jeder parteipolitischen, interessenpolitischen, glaubensmäßigen und sonstigen Bin-
dung, dass wir uns so zusammensetzen, dass wir gegebenenfalls, wenn es gegenüber der Staats- oder sonstiger anderer Gewalt nicht möglich ist, ein sit-in auf dem Leopoldpark machen (toben-
der Beifall, Klopfen, Pfeifen, Johlen, Klatschen) und wir wollen dann sehen, wo denn alle die Herrschaften bleiben, die so kluge Argumente hatten, um hin und her die Verantwortung gescho-
ben zu haben.

Inzwischen steht für die bayerische regierung fest: der leopoldpark muß sterben – priesterseminar wird gebaut. tip: am 26. april planen die pfadfinder der zuständigen diözese im leopoldpark von 15 bis 18 uhr ein pfadfinderfest. man könnte ihnen zuhauf freundlichen besuch abstatten.


Blatt. Stadtzeitung für München 44 vom 25. April 1975, 6.

Überraschung

Jahr: 1975
Bereich: Stadtviertel

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