Materialien 1975

Nymphenburger Straße 125

Protokoll einer Aufnahme am 5. März 1975, 18 Uhr

Parterre

Wissen Sie, dass das Haus abgerissen werden soll?

Ich weiß nicht.

Haben Sie schon eine Kündigung erhalten

Nein.

Wie groß ist Ihre Wohnung?

Meine Wohnung – etwa 50 qm. Miete zahle ich 260,- DM.

Haben Sie einen Mietvertrag?

Nein, habe keinen.

Was machen Sie, wenn das Haus abgerissen wird?

Weiß nicht.

War die Wohnung in Ordnung oder mussten Sie viel rein richten?

Nein, musste viel selber machen.

Wieviel Geld haben Sie dafür bezahlt?

Ungefähr 700,- bis 800,- Mark und meine Arbeit. War ohne Bad, ohne Wasser, nichts.

Das haben Sie ohne Mietvertrag gemacht, und wenn Sie jetzt gekündigt werden, sind Sie ohne Schutz?

Der Hausbesitzer hat gesagt, er zahlt was.

Aber Sie haben nichts schriftlich?

Nein.

Was für ein Landsmann sind Sie?

Jugoslawe. Ich wohne hier mit meiner Frau und meinem kleinen Baby.

Wieviel Räume haben Sie?

Drei Zimmer.

Wir wollen noch nebenan läuten. Aber da ist niemand da. Wissen Sie, wer da wohnt?

Ja, da wohnt deutscher Mann, alter Mann.

Wissen Sie, wer schon länger hier in dem Haus wohnt?

Nein. Ich glaube, im ersten Stock ist eine deutsche Familie, die wohnt schon lange hier. Und der Hausmeister. Haus kommt weg? Wird abgerissen?

Wissen Sie das?

Es ist ein Antrag gestellt, dass das Haus abgerissen werden soll.

Und wann ungefähr wissen Sie auch nicht?

Nein, aber wir möchten nicht, dass es abgerissen wird. Hier wohnen noch vier jugoslawische Fami-
lien, alle ohne Mietvertrag. Die Wohnung ist schon gut so. Drei Zimmer. Ich habe mit Hausbesitzer geredet, als die Wohnung frei war. Meine Frau war schwanger im achten Monat. Ich habe solche große Wohnung gebraucht.

Danke schön. Und wenn wir nochmal was wissen wollen, kommen wir nochmal vorbei.

Ja, kommen Sie.

_ _ _

Grüß Gott, wir sind von der UZ und möchten ein paar Fragen an Sie stellen.

Ja, aber meine Schwester ist nicht da, die ist im Krankenhaus.

Wohnt Ihre Schwester schon lange da?

Ja, seit ’37.

Und Sie wissen nicht, ob sie schon eine Kündigung gekriegt hat oder nicht?

Ich weiß nicht.

Und dass das Haus abgerissen wird?

Ich weiß nicht. Das hört man so öfters. Ist das was, dass sie eine andere Wohnung kriegen soll oder was?

Nein, wir sind von der Zeitung und wollen darüber was schreiben.

_ _ _

Grüß Gott, vielleicht können wir auch gleich mit Ihnen reden.

Ja, was ist?

Sie wohnen schon lange da herin?

Ja, ich wohn acht Jahr da.

Haben Sie einen Mietvertrag?

Ja.

Was zahlen Sie denn Miete?

130,- DM.

Wie groß ist denn Ihre Wohnung?

Ja, zwei Zimmer. Und den Gang hab ich als Küche.

Haben Sie schon mal was gehört, dass das Haus abgerissen werden soll?

Ja, in der Zeitung hab ich was gelesen.

Was täten Sie machen, wenn Sie raus müssten?

Ja, hoffentlich nicht. Ja, ich habe meine Wohnung wunderbar in Ordnung. Ich habs tapeziert alles.

Ja, das ist ja der Grund, warum der BA1 dagegen ist. Können Sie mir sagen, was Sie alles in die Wohnung reingesteckt haben?

Ja, alle drei Jahr ist tapeziert worden. Schlafzimmer ist tapeziert worden vor zwei Jahren. Da war ich im Krankenhaus. Und dann hats meine Enkelin gemacht. Ja, und dann der Boden heraußen, der ist gerichtet, und im Schlafzimmer (gemeint ist Wohnküche, d. Verf.) hab ich Fliesen drin. Und Teppich. Ich habs sehr nett, wenn Sie’s anschauen wollen.

Täten Sie den BA unterstützen, wenn er will, dass das Haus nicht abgerissen wird?

Ja, das ist selbstverständlich. Ja, das ist ja Blödsinn, wissen Sie, seit ich da herin bin, da ist noch nie was gemacht worden. Noch nie ist was gerichtet worden. Immer hat er gesagt, ja, das und das wird gerichtet. Und es ist überhaupt nichts gemacht worden. Voriges Jahr hat er gesagt zu mir, wir sind drunten gestanden, ja, jetzt ist es aber Zeit, hat er gesagt, dass wir die Haustür einmal strei-
chen lassen und dass der Gang mal gerichtet wird. Aber gemacht hat er gar nichts, überhaupt nichts. Ja, und dann, wo soll man denn hin. So leicht ist das nicht. Ja, für einen Haufen Miete dann. Eigentlich müsste ich ja 160,- Mark zahlen, aber das mach ich nicht, ich habs nicht bezahlt, weil er nie was hat richten lassen. Ich habs ihm auch gesagt. Immer wieder hat er verlangt, dann voriges Jahr 25,- Mark, dann wieder 20,- Mark und hat immer so fort getan. Und dann hab ichs nimmer zahlen können.

Also, Sie haben nicht mehr bezahlt?

Nein, das hab ich nicht getan, weil er immer mehr verlangt hat. Und er lässt überhaupt nichts richten. Und die anderen da – ja ich versteh das nicht, der nimmt doch so viel Geld ein. Von da drüben kriegt er so viel. Ja und die zwei Häuser, da sind zwanzig Parteien herinnen. Manche da oben, die müssen ja viel mehr zahlen (im oberen Stockwerk).

Die Ausländer müssen mehr zahlen?

Die müssen alle mehr zahlen. Ich weiß zwar nicht, was die zahlen.

Finden Sie das gerecht?

Nein. Ich find das nicht gerecht. Das sind ja auch Menschen. Die müssen ja arbeiten. Der Mann da drüben, der muss mehr zahlen. 180,- Mark verlangt er (der Hausbesitzer). Und muss die Hausmei-
sterei machen. Das auch noch. Ist schon ein bissel Ausnützen.

Und wie groß ist dem seine Wohnung – ist die größer?

Ja, es ist eine Küche dabei. Es ist eine schöne Küche dabei, die Küche ist sehr schön. Und da ist ein Bad dabei. Und das Bad, das wär auch nicht da, aber das ist deswegen drin, weil da die Hausfrau, die ist da auf die Welt gekommen, und dann habens deswegen gebaut. Das war die Wohnung von der Hausfrau.

Sie haben kein Bad?

Nein.

Aber die Toilette ist in der Wohnung?

Nein, die Toilette ist da drunten, ich muss da runter gehen. Die ist für zwei Parteien.

Wieviel Geld haben Sie im Monat ungefähr zur Verfügung?

Ja, drum ist ja des. Zum Leben darf ich so rechnen 250,- Mark. So viel hab ich nicht. Die Miete allein sind ja 130,- Mark, und dann hab ich ja andere Sachen auch. Das Licht und alles andere auch noch.

Sind Sie schon in Rente?

Ja, ja, schon lang, ich bin schon 75 Jahr alt.

Haben Sie früher gearbeitet?

Nein, mein Mann ist auf der Post gewesen. Der war Schwerbeschädigter, der ist vierzehnmal ope-
riert worden. Ich hab soviel da mitmachen müssen, dass ichs gar nicht alles sagen kann. Aber trotz-
dem, mir wars lieber, wenn er da war, dann war ich nicht allein.

Aber wenn es jetzt ernst würde, Sie wüssten nicht, wohin?

Nein, ich wüsste nicht, wohin. Weil meine Kinder, meine Enkelkinder, die haben selber bloß soviel Wohnraum, das, was sie brauchen. Ich müsste in ein Altersheim und das wäre mir das Schrecklich-
ste. Das wäre das Letzte.

Was ist der Grund, dass Sie da nicht hin wollen?

Wissens, warum. Ich hab jetzt eine Schwägerin gehabt, die ist vergangene Woche gestorben. Die war im Altersheim. Die war dort. Ich sag Ihnen, schrecklich. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.

Sie sind die Wohnung gewöhnt?

Ja, ich bin des gwohnt. Des Viertel. Ich bin selbständig. Ich hab noch eine Tochter. Eine ist verun-
glückt, die habns mir zsammgfahrn vor drei Jahren, und ist tot, durch des. Jetzt, mein Schwieger-
sohn ist allein. Ich geh dahin und dahin, aber ich kann bei meinen Kindern nicht direkt wohnen. Das kann ich nicht, weil jeder hat seinen Wohnraum selber. Da ist ein Enkel, mein Urenkel da, ist schon 13 Jahre. Aber, wie gesagt, ich bin halt einfach da gwohnt. Ich meine, es ist ja, ich zeigs Ihnen extra, dass Sie’s sehen – sehn Sie, das ist der Gang, den hab ich mir als Kücherl eingerichtet, das heißt, meine Kinder habens gmacht. Schauns, die tapeziern mir immer wieder mal alles, und den Boden hats mir wieder ausglegt.

Von der Nymphenburger Straße ist es Ihnen nicht zu laut?

Ach, ich hab da doppelte Fenster drin. An das gwohnt man sich. Es ist überall was. Da kannst hin-
kommen, wost magst. Ich hab das eigentlich gemietet als Wohnküche und das andere als Schlaf-
zimmer. Ich leb da herinnen. Ich bin zufrieden. Und wenn meine Kinder da sind, ich hab doch einen Platz. Und durch des habens mir das als Küche gemacht. Weil meine Möbel – wenns auch alte Möbel sind. Wissens schon, so leicht hat man sich früher auch nix angschafft.

Und da haben Sie eine Ölheizung?

Ja, alle zweiten, dritten Tag hol ich ein Öl. Aber ich hab keinen Ofen herinnen gehabt, gar nichts.

Und das warme Wasser da?

Das hab ich mir alles selber gerichtet.

Und wenn das abgerissen würde?

Ach, das wäre ja alles kaputt, das wäre ja ein Schaden. Und ich find das ja auch nicht richtig. Wa-
rum sollen die alten Wohnungen … er hätte doch bloß bissel was richten lassen brauchen. Schau-
ens, da ist er hergangen und hat vor 14 Tagen … plötzlich hat er den Speicher leerräumen lassen. Ich hab mir sofort gedacht, da stimmt was nicht. Da hat er selber mitgeholfen mit dem Hausmei-
ster drüben und hat den Speicher leergeräumt. Und ich hab mir gedacht, irgendwas stimmt da nicht, weil er solange herinnen war. Ich hab auch mal mit ihm gesprochen. Im Speicher schaut es entsetzlich aus. Was alles droben ist. Die Leute ziehen alle aus und dann habens alles in den Spei-
cher hinauf.

Also, Sie haben das nur in der Zeitung gelesen, dass da was laufen soll?

Ja, in der Zeitung. Ich selber bin nie gfragt worden. Ganz stillschweigend ist das gangen. Ich hab mir das ausgschnitten (Zeitungsmeldung), weil ichs meinem Enkelkind geben hab, ich habs denen gezeigt.

Jetzt gehen wir noch weiter. Möglich ist, dass der BA eine Unterschriftensammlung macht.

Ja, das wäre richtig.

Also, raus möchte keiner?

Keiner möchte raus. Waren Sie schon bei mehrere herin?

Ja, im Parterre, jetzt gehen wir noch weiter.

Ja, da oben wohnt der, der Herr H. Der ist ja auch schwer geladen auf ihn, weil er ihn bloß für die Miete braucht.

Wie heißt der Hausherr?

Eichmüller.

Was macht der?

Ja, der geht irgendwo in ein Geschäft. Der hat ja draußen einen wunderbaren Bungalow, wo er wohnt. Sehr schöns Haus. Das weiß ich, weil wir draußen waren, wo ich mich vorgestellt hab, ob ich die Wohnung krieg. Weil ich hab in der Kaulbachstraße zuerst gewohnt. Und da ist es genauso gewesen, wie es jetzt wäre. Obwohl, da hab ich drinnen gwohnt 35 Jahre.

Sind Sie auch ausgebombt worden?

Nein. Das Vorderhaus. Wir haben im Rückgebäude gewohnt. Da hab ich 35 Jahre gewohnt. Und da haben wir schnell raus müssen, weil das Haus war abbruchreif. Also, das war’s. Die haben nachge-
holfen, das hätte ich beschwören können. Weil ich oben im dritten Stock gewohnt hab und die sind rauf.

Und die haben das Haus verkommen lassen?

Absichtlich … und der Hausmeister hat da noch hinarbeiten müssen, dass ein richtiges Loch rein-
kommen ist, und da hats natürlich runtergeregnet zu denen Leuten. Es ist unwahrscheinlich! Und ich habs gsagt zu meiner Enkelin, hab ich ihrs gsagt, hab ich wieder des Pech, jetzt schau mal, jetzt lies mal das. Oma, hats gsagt, reg dich bloß nicht auf. Ich kann mich da furchtbar aufregen über des. Wenn ich da dran denk, jetzt bist so alt und musst noch wieder raus, und wo sollst auch hin, net? Kinder sagen, ja Oma, wir können dir nicht helfen – also, wir müssen dir halt dann eine Woh-
nung suchen, das geht nicht, in ein Altersheim brauchst nicht rein. Aber trotzdem. Das ist so schwer. Weil man sagt, das ganze Leben hat sowieso bloß einen Kampf ghabt, bis alles so weit war und jetzt, weils ein bissel ruhiger war und du ein bissel was hättst, werst wieder nausgschmissen. Nur, weil sich der des einbildt. Das ist reine Profitgier. Das ist ein solch geiziger Mensch. Glaubens, vor ein paar Jahren, da waren ein paar junge Leut herin gwohnt, die haben gsagt, der arbeitet bloß auf das hin, der richtet gar nix her, der möchte nur auf das hinarbeiten, dass das Haus verfällt. Und dass er dann wieder aufbauen und recht viel verlangen kann. Der ist so geizig, sagts, der Mann, das ist wahnsinnig.

Ferry Stützinger


kürbiskern. Literatur, Kritik, Klassenkampf 1/1976, 148 f.

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1 = Bezirksausschuss. Bürgervertretung im Stadtteil; er wird gebildet aus Vertretern der in den Stadtrat gewählten Parteien.

Überraschung

Jahr: 1975
Bereich: Stadtviertel

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